Hamburg. Eine einsame Seniorin lernt auf einem Spaziergang Karsten G. kennen. Diese Begegnung wird ihr später zum Verhängnis.

Ellen L. war eine ältere Dame, die glaubte, es gebe einen Menschen in ihrem Leben, dem sie bedingungslos vertrauen kann. Jemand, der das Beste für sie will. Der sich um sie kümmert bis zum bitteren Ende. Doch es ging jenem Mann gar nicht um Freundschaft und Mitmenschlichkeit. Es ging ihm ums Geld. Als die Frau schließlich gestorben ist, kann Karsten G. gar nicht schnell genug an ihr Erbe gelangen. Und wenig später stell sich die Frage: Hat der 74-Jährige sogar beim Tod von Ellen L. nachgeholfen?

„Diese Frau war 91 Jahre alt, als sie starb“, erzählt Rechtsmediziner Klaus Püschel im Abendblatt-Crime-Podcast mit Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher. „Es kommt immer wieder vor, dass bei Menschen, die ein hohes Alter erreicht haben, gedacht wird: Sie oder er hatte ein erfülltes Leben. Jetzt hat vermutlich das Herz schlappgemacht.“

True Crime: Alte Menschen werden oft zum Mordopfer

Dann werde manchmal gar nicht so genau hingeschaut, ob dieser Mensch wirklich eines natürlichen Todes gestorben ist – „oder ob jemand sie umgebracht hat?“, ergänzt Mittelacher. „Es gibt leider immer wieder Fälle, bei denen gerade alte Menschen Opfer eines Mordes werden“, erläutert Püschel. „Wir Rechtsmediziner predigen immer wieder, dass man auch bei Todesfällen, die vermeintlich unverdächtig wirken, sehr, sehr genau hinschauen muss!“

Im Fall von Ellen L. handelt es sich um eine Dame, die am Ende ihres Lebens sehr einsam ist. Schließlich lernt sie bei einem Spaziergang Karsten G. kennen, der sich immer mehr um die betagte Dame kümmert. Irgendwann scheint er in ihrem Leben unentbehrlich zu sein. Als die Frau zunehmend dement wird, ist der Mann als ihr Betreuer eingesetzt. Er bleibt sehr oft bei ihr zu Hause. Und so ist es zunächst unverdächtig, als ausgerechnet Karsten G. es ist, der sich am 7. September 2017 an den Hausarzt von Ellen L. wendet. Der Betreuer teilt dem Mediziner mit, dass die 91-Jährige in ihrer Wohnung verstorben sei. Er habe sie tot in ihrem Rollstuhl vorgefunden.

„Als der Arzt kam, lag die Verstorbene in ihrem Bett“

„Als der Arzt kam, lag die Verstorbene in ihrem Bett“, berichtet Mittelacher. „Der Betreuer sagte, er habe die 91-Jährige aus Pietätsgründen dorthin gelegt. Außerdem drapierte er Kerzen um die Tote.“ Doch Ermittlungen, die später aufgenommen wurden, „ergaben, dass echtes Mitgefühl und Selbstlosigkeit mitnichten die dominierenden Beweggründe für den 74-Jährigen waren“, sagt Püschel. „Die Staatsanwaltschaft ging schließlich davon aus, dass der Betreuer die Seniorin ermordete, und zwar heimtückisch und aus Habgier.“

Zu dieser Einschätzung führen mehrere Verdachtsmomente. Vor allem stellen sich Ungereimtheiten dazu heraus, wie der Betreuer die Verstorbene angeblich genau vorgefunden hat. Am Ende gibt es dazu gleich mehrere, stark voneinander abweichende Versionen. Zuletzt erzählt der Angeklagte, er habe die Seniorin in ihrem umgestürzten Rollstuhl vorgefunden. Sie habe in einer verdrehten Position dagelegen und sei vermutlich mit dem Kopf gegen einen Schrank geschlagen.

Tote vermutlich erstickt worden

„Das passt aber nicht zum Obduktionsergebnis“, betont Püschel. „Es gab keine sturzbedingten Verletzungen am Kopf oder der Wirbelsäule der Frau. Solche Verletzungen wären aber bei einem wie durch den Angeklagten geschilderten Geschehen zu erwarten gewesen.“ Eine eindeutige Todesursache kann in der Obduktion nicht festgestellt werden. „Aber wir in der Rechtsmedizin kamen zu dem Ergebnis, dass viele Befunde an der Toten dafür sprachen, dass sie erstickt worden ist, wahrscheinlich mit einem Kissen.“

„Außerdem gab es Ermittlungen zu dem Umfeld der Verstorbenen sowie zum Leben ihres Betreuers“, erläutert Mittel­acher. Es stellt sich heraus, dass sie ihn als Alleinerben eingesetzt hat. Er verkaufte ihre Wohnung. Und schließlich steht für die Ermittler fest, dass der Mann schon lange zuvor der damals fast blinden Frau Überweisungsträger zur Unterschrift untergeschoben hatte. Irgendwann ist von ihrem Geld so gut wie nichts mehr übrig. Schließlich kommt Karsten G. vor Gericht. Laut Anklage hat der Hamburger die Seniorin, die ihm gegenüber arg- und wehrlos gewesen sei, erstickt.

True Crime: Karsten G. wegen Mordes verurteilt

Dies habe er getan, „um in den Genuss der Erbschaft zu gelangen und sein Geldvermögen zu vermehren“. Zudem wird ihm Betrug in 37 Fällen vorgeworfen. „Die Verteidigung hat die Mord-Vorwürfe im Namen ihres Mandanten entschieden zurückgewiesen“, erzählt Mittelacher. Sehr intensiv in Erinnerung geblieben seien ihr allerdings mehrere Zeugenaussagen im Prozess, unter anderem die von Mitarbeiterinnen des Pflegedienstes. „Diese berichteten, dass es Ellen L. teilweise am Nötigsten fehlte, wofür sicherlich ihr Betreuer verantwortlich war. So sei manchmal der Kühlschrank so leer gewesen, dass die Damen vom Pflegedienst selber Lebensmittel mitbrachten.“

Am Ende verurteilt das Gericht Karsten G. wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Der 74-Jährige habe Ellen L. „aus Habgier und heimtückisch“ getötet. „Der Angeklagte habe sie umgebracht, ,als sie ihre Existenzberechtigung, nämlich als Geldquelle, verloren hatte. Ihr Weiterleben machte für ihn somit keinen Sinn mehr.‘“, berichtet Mittelacher.