Bergedorf. Keine Schmerzen nach der OP – Andrea Dams ist am Agaplesion Bethesda Krankenhaus für Gerontoanästhesie zuständig.
Als Andrea Dams 1987 am Agaplesion Bethesda Krankenhaus Bergedorf anfing, hätte sie nie gedacht, dass sie einmal in diesem Bereich tätig sein würde. Damals hieß es noch, diese Patienten seien „tüdelig“, und man behandelte sie nicht groß anders als andere. Heute gibt es ein Wort dafür: Delir. Ein Zustand der Verwirrung, der plötzlich auftritt und Stunden oder Wochen andauern kann.
Gerade ältere Menschen, die bereits an Demenz leiden, drohen nach einer Operation oft ins Delir zu geraten. Doch es gibt Methoden, um diesen Patienten zu helfen und dafür zu sorgen, dass sie keine Schmerzen haben. „Gerontoanästhesie“ heißt dieses Feld der Medizin, für das Andrea Dams, die 35 Jahre als Intensivschwester und seit fünf Jahren in der Anästhesie gearbeitet hat, heute zuständig ist.
Andrea Dams und ihre dementen Patienten hatten Glück
In ihren vielen Jahren als Krankenschwester hat Andrea Dams immer wieder erlebt, dass Patienten nach einer OP ins Delir geraten. „Ich habe mir immer gedacht, dass man da doch irgendwie gegensteuern und den Patienten helfen muss“, sagt Andrea Dams. Nur wie genau? Denn obwohl die Bevölkerung immer älter wird und viele Patienten in Krankenhäusern an kognitiven Einschränkungen leiden, gibt es für diesen Bereich noch keine offizielle Aus- oder Fachweiterbildung.
Doch Andrea Dams und ihre Patienten hatten Glück, wie sie selbst sagt: Ihr Leitender Oberarzt, der zuvor schon im Krankenhaus Bergedorf tätig war, brachte das entsprechende Wissen aus seiner Facharztausbildung mit in die Klinik. Dams war sofort begeistert – und beobachtete schnell Fortschritte. „Es ist unbeschreiblich, wenn ich heute einen Patienten mit Schmerzen besuche und am nächsten Tag spüre, es geht ihm einfach deutlich besser“, sagt die 60-Jährige. „Etwas Schöneres kann ich mir nicht vorstellen.“
Mithilfe von Tests sucht Dams nach Verhaltensauffälligkeiten der Patienten
Eine Methode, um herauszufinden, ob Patienten nach einer OP Schmerzen haben, dies aber nicht ausdrücken können, ist der PAIC-Test. Dabei wird nach 15 Verhaltensauffälligkeiten des Patienten geguckt, jeweils fünf in den Bereichen Gesichtsausdruck, Körperbewegung und Lautäußerungen. Dazu gehören das Zusammenkneifen der Augen, das Hochziehen der Oberlippe, das Einnehmen einer Schutzhaltung des betroffenen Körperteils oder das Äußern von Klagelauten. Wenn eine Auffälligkeit bei einem Patienten zu erkennen ist, werden dafür Punkte vergeben. „Ich führe diesen Test zweimal durch, einmal in Ruhe und einmal in Bewegung“, erklärt Andrea Dams. „In Ruhelage sollte der Patient möglichst null Punkte haben, bei Bewegung maximal fünf. Wenn das überschritten wird, weiß ich, dass ich die Schmerzmedikation umstellen muss.“
Andrea Dams betreut ihre Patienten nach einer Operation in der Regel fünf Tage lang und besucht sie zweimal täglich. Mittlerweile ist sie auch oft schon präoperativ dabei, wenn die Kollegen Vorgespräche für die Narkose führen. Auch für die Krankenpfleger auf den Stationen bedeutet das eine große Entlastung. „Die haben sonst nicht die Zeit, sich so intensiv um diese Patienten zu kümmern“, sagt Andrea Dams. „Die sind natürlich auch sehr erfreut, dass es mich gibt, und wir arbeiten sehr eng zusammen.“
Ebenso wie mit den Kollegen aus der sogenannten Stabstelle Demenz, die in der Geriatrischen Institutsambulanz tätig sind. Dass eine Position wie die von Andrea Dams gerade am Agaplesion Bethesda Krankenhaus Bergedorf geschaffen wurde, liege daran, dass es sich um ein „demenzsensibles Krankenhaus“ handele. „An Demenz Erkrankte erhalten bei uns besondere Aufmerksamkeit“, sagt Dr. Alexander Horn, Leitender Oberarzt der Klinik für Geriatrie. Bereits seit 2012 gebe es die Stabstelle Demenz, die sich darum kümmere, Betroffene auf den einzelnen Stationen zu identifizierten. Das heißt, Pflegekräfte, die besonders in Bezug auf Demenz geschult sind, gucken sich die Patienten mindestens einmal pro Woche vor diesem Hintergrund proaktiv an. „Danach werden den an Demenz Erkrankten verschiedene Behandlungsarten zugeteilt“, sagt Dr. Horn. Dazu gehörten Gruppen- und Beschäftigungstherapien sowie Mobilitätstraining.
Dams: Theoretisch kann es jeden Patienten treffen
Ganz wichtig seien im Alltag auch Orientierungshilfen: So gibt es in der Klinik laminierte Bilder, zum Beispiel von einer Blume oder einem Tier, die an das jeweilige Krankenzimmer angebracht werden, damit die Demenzkranken ihr Bett wiederfinden. Auch die Waschräume sind so gekennzeichnet. Zudem können die Patienten Karten mit Abbildungen hochhalten, mit denen sie zeigen können, dass sie Hunger haben, auf die Toilette müssen oder duschen möchten. Und natürlich, dass sie Schmerzen haben.
„In der Klinik für Geriatrie findet die dort übliche ,aktivierend-therapeutische Pflege‘ besonders einfühlsam und an die kognitiven Einschränkungen individuell angepasst statt“, sagt Horn, den es sehr bewege, wenn ein dementer Mensch, der sich im Krankenhaus wohlfühle, das auch zeige – beispielsweise durch ein spontanes Lächeln oder die „überraschend auftretende Suche nach Nähe“. Durch den besonderen Einsatz der Gerontoanästhesie gelinge es immer wieder, „dieser vulnerablen Gruppe von Patientinnen und Patienten würdevoll gerecht zu werden“.
Doch nicht nur ältere Menschen können in ein Delir geraten. Theoretisch könne es jeden Patienten treffen, so Andrea Dams, und es sei immer eine akute Notfallsituation, die man nicht unterschätzen dürfe. „Ein Delir kann organische und psychische Ursachen haben“, sagt die examinierte Krankenschwester. Die körperlichen Ursachen könnten zum Beispiel eine Sepsis, eine Harnwegsinfektion, Flüssigkeitsmangel durch eine Magen-Darm-Erkrankung oder eine Stoffwechselstörung sein. Zu den psychischen Ursachen gehörten Schlafentzug, ein Ortswechsel – vor allem bei Patienten, die aus einem Heim kommen – und eben eine Narkose und eine Operation.
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Bethesda Krankenhaus: Braucht Zeit, Vertrauen der Patienten zu gewinnen
Um herauszufinden, ob sich ein Patient in einem Delir befindet, gibt es eine weitere Methode: den Nu-Desc-Test. Dabei wird wieder auf Verhaltensauffälligkeiten geachtet: Ist der Patient desorientiert? Versucht er einfach, aus dem Bett zu steigen oder sich den Verband abzunehmen? Halluziniert er? Oder reagiert er kaum oder stark verzögert? „Für jede Auffälligkeit vergibt man Punkte“, erklärt Andrea Dams. „Bei mehr als zwei Punkten ist die Gefahr eines Delirs vorhanden.“ In diesem Fall mache man sich auf die Suche nach der Ursache, um diese entsprechend zu behandeln.
Unterscheiden müsse man das hyperaktive und das hypoaktive Delir: Bei Ersterem sei der Patient sehr aufgebracht, so Dams, er reiße sich die Zugänge heraus, stehe aus dem Bett auf, obwohl er das nicht dürfe. Gefährlicher sei aber das hypoaktive Delir. „Das ist der stille Patient, der ganz ruhig im Bett liegt, vielleicht ein bisschen desorientiert, aber total unauffällig“, sagt Andrea Dams. „Diese Patienten gehen oft unter.“
Den Wechsel von der Intensivstation hat Andrea Dams nicht bereut. Die Arbeit mit älteren Patienten liegt ihr sehr, auch wenn es nicht immer leicht sei, einen Zugang zu ihnen zu bekommen. „Es ist wichtig, ruhig mit ihnen umzugehen“, sagt Dams. Viele wollten auch gar nicht angefasst werden – doch nach einer Zeit schaffe sie es meist, das Vertrauen zu gewinnen, und könne ihre Hand halten. „Ich freue mich jeden Tag über die Fortschritte meiner Patienten.“