Hamburg. Die weltberühmte Nonne, die in Auschwitz ermordet wurde, lebte einst in Eppendorf. Autor Hinrich C. Westphal reist in der Zeit zurück.
Sie gehört zu den großen Märtyrergestalten des 20. Jahrhunderts, und ihr Andenken wird europaweit in Ehren gehalten. Jetzt zeigt sich, dass die 1942 in Auschwitz ermordete Nonne Edith Stein zeitweise in Hamburg lebte. Der bekannte Autor Hinrich C. Westphal hatte sich nach einem anonymen Hinweis auf Recherche begeben und dabei mit viel Aufwand Informationen über diesen Aufenthalt zutage gefördert.
Treffen mit Hinrich Westphal vor dem Mietshaus am Loehrsweg 5 in Eppendorf. Er ist in Hamburg kein Unbekannter: Westphal war 26 Jahre lang Öffentlichkeitspastor der Nordelbischen Kirche und gründete 1998 den gemeinnützigen Verein Andere Zeiten. Doch bei diesem Thema will er eigentlich nicht im Mittelpunkt stehen. „Hier geht es um Edith Stein, nicht um mich“, sagt der Mittsiebziger, den die Abendblatt-Leser seit Jahren auch als Kolumnisten dieser Zeitung kennen.
Nationalsozialismus: Stein wurde 1942 in Auschwitz ermordet
Als Westphal vor einigen Jahren nach Hause kam, war neben der Haustür ein anonym geschriebener Zettel angebracht, auf dem stand: „In diesem Haus wohnte Edith Stein, die heute Geburtstag hätte.“ Westphal war überrascht und auch fasziniert. Die tragische Lebensgeschichte Steins kannte der langjährige Kirchenmann natürlich.
Die Jüdin Edith Stein war zum katholischen Glauben konvertiert und 1942 zusammen mit ihrer Schwester Rosa in Auschwitz vergast worden. 1998 wurde sie heiliggesprochen. „Ich kaufte mir eine Biografie, um mehr über sie zu erfahren“, erzählt Westphal, nun im Sessel sitzend. Er wusste bereits vieles über Stein und war beeindruckt von ihr. Beim Lesen fügten sich weitere Mosaiksteinchen zusammen, und es entstand ein vollständiges Bild – auch das einer engagierten Dozentin und Frauenrechtlerin.
Edith Stein zog als 15-Jährige nach Hamburg
In einem Nebensatz wurde erwähnt, dass die gebürtige Breslauerin als 15-Jährige zu ihrer wesentlich älteren Schwester Else nach Hamburg reiste und dort zehn Monate blieb. Nähere Angaben fehlten. Westphal war elektrisiert. „Sollte sie damals tatsächlich in dem Haus gewohnt haben, das schon seit mehr als 30 Jahren mein Zuhause ist? Ein Journalist, der ebenfalls von Steins Hamburg-Aufenthalt wusste, empfahl ihm den Kölner Prälaten und ausgewiesenen Stein-Kenner Prof. Helmut Moll. Dieser beantwortete die Anfrage sofort. Demnach hat Stein selbst in ihrer Arbeit „Aus dem Leben einer jüdischen Familie“ geschrieben, dass sie von Mai 1906 bis März 1907 bei ihrer Schwester Else Gordon gelebt habe, die in Hamburg „auf dem Loehrsweg 5“ mit ihrem Ehemann Dr. Gordon gewohnt hat.
Allerdings gab es Verwirrung um Jahreszahlen. Diesmal half das Bezirksamt Hamburg-Nord mit Angaben über das Baujahr des Hauses, zusätzliche Infos fanden sich in den digitalisierten Hamburger Adressbüchern. In der Ausgabe für 1907 entdeckte Hinrich Westphal den Schwager von Edith Stein, den „Spezialarzt f. Haut- und Geschlechtskrankh. Dr. med. Max Gordon“ mit seiner Praxis an der Wexstraße 18 und der Wohnung im Loehrsweg 5. Doch dann folgte ein weiterer Rückschritt.
Westphals Spurensuche führt nach Eppendorf
Das Adressbuch von 1906 gab als Wohnort überraschend die Hudtwalckerstraße 16 an, und erneut wurde Hinrich Westphal von Zweifeln geplagt. „Sollten die bisherigen Annahmen nicht zutreffen?“ Edith Stein hatte geschrieben, dass sie schon bei ihrer Schwester wohnte, als die ihr zweites Kind bekam, nämlich im Juni 1906. „Sollte die Geburtsurkunde dieses Kindes noch vorhanden sein, wäre darin ja auch der Wohnort der Eltern verzeichnet“, schlussfolgerte Westphal.
„Ich bat das Staatsarchiv um Hilfe und erhielt eine Fotokopie der Geburtsurkunde vom 8. Juni 1906.“ Darin steht, dass der Arzt Max Gordon, „wie seine Frau jüdischer Religion“, beim Standesbeamten erschienen sei, um anzuzeigen, „daß von der Else geborenen Stein, seiner Ehefrau, jüdischer Religion, wohnhaft bei ihm, zu Hamburg in seiner Wohnung am fünften Juni des Jahres tausend neunhundert sechs vormittags um vier drei viertel Uhr ein Knabe geboren worden sei und daß das Kind die Vornahmen Werner Siegfried Ulrich erhalten habe“. Als Adresse war eindeutig der Loehrsweg 5 festgehalten. Erleichterung bei Hinrich Westphal: „Nun war das Ergebnis meiner Recherchen wasserdicht.“
Steins Familienleben in Hamburg
Edith Stein wohnte also am Loehrsweg, kümmerte sich um Hauswirtschaft und Kinderpflege und führte mit ihrer 15 Jahre älteren Schwester Gespräche über deren Eheprobleme. In ihrer Autobiografie kommentierte sie diese schwierigen Monate: „Die Zeit in Hamburg kommt mir, wenn ich jetzt darauf zurückblicke, wie eine Art Puppenstadium vor. Ich war auf einen sehr engen Kreis eingeschränkt und lebte noch viel ausschließlicher in meiner inneren Welt als zu Hause.“
Eine beginnende Sinn- beziehungsweise Lebenskrise spitzte sich hier weiter zu. Stein schrieb: „Außerdem waren Max und Else völlig ungläubig, Religion gab es in diesem Hause überhaupt nicht. Hier habe ich mir auch das Beten ganz bewußt und aus freien Stücken abgewöhnt.“ Und später notierte sie die Erkenntnis: „Meine Suche nach der Wahrheit war ein einziges Gebet.“
9. August: Edith-Stein-Gedenktag
Edith Stein studierte in Breslau und Göttingen Psychologie, Philosophie, Geschichte und Germanistik und promovierte mit Auszeichnung. Während des Studiums begegnete sie überzeugten Christen, die sie tief beeindruckten. 1921 kam es dann bei der Lektüre der Lebensbeschreibung von Theresa von Avila zu ihrer Bekehrung zum katholischen Glauben. Es folgten die Taufe und 1933 der Eintritt in den Karmeliterorden. Bemerkenswert: In Jesus und seiner Mutter Maria sah sie immer auch Menschen jüdischen Glaubens und „jüdischen Blutes“.
Als Stein und ihre Schwester Rosa 1942 aus einem Kloster im niederländischen Echt von der Gestapo abgeholt wurden, soll sie gesagt haben: „Komm, wir gehen für unser Volk.“ Unmittelbar nach ihrer Ankunft in Auschwitz wurden die beiden am 9. August 1942 vergast. Dieses Datum ist heute der Edith-Stein-Gedenktag.
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„Rückblickend war Edith Steins zehnmonatiger Aufenthalt in Hamburg ein schwieriger, aber wichtiger Entwicklungsschritt zu einer tiefgläubigen Christin jüdischer Abstammung“, sagt Westphal. Das sei Grund genug, sich auch in Eppendorf ihrer Anwesenheit und ihrer beeindruckenden Persönlichkeit zu erinnern.
Um das zu erreichen, nahm Westphal Kontakt zu Peter Hess auf, der einst Gunter Demnigs Projekt Stolpersteine nach Hamburg geholt hat. Gemeinsam verständigte man sich darauf, vor dem Haus eine Gedenktafel anzubringen. Auch die Hauseigentümer waren einverstanden, sodass demnächst für alle sichtbar an Edith Steins Hamburger Zeit erinnert werden wird.