Hamburg. Auf der Cabrio-Barkasse haben bis zu 120 Passagiere Platz. Die 27-Jährige liebt ihren Beruf genauso innig wie Hamburg.

„Frau Kapitän, wie lange dauert die einstündige Alsterrundfahrt?“. „Arbeiten Sie hier wirklich?“. Oder: „Wo ist vorn?“. Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern. Keine Angst, keine Angst, Miriam. Denn wer am Anleger Jungfernstieg nicht stabile Nerven, reichlich Geduld und Frohsinn parat hat, müsste die Hand lieber vom Zündschlüssel für die Alsterbarkassen lassen. Furcht vor maskulinen Berufsbezeichnungen wie Decksmann oder Matrose sollte man bereits während der Ausbildung über die Reling gekippt haben. Miriam Lunau steht von jeher über solchen Dingen.

Passender: Sie sitzt dort. Erhaben, auf einem erhöhten Drehstuhl, unter einem weißen Sonnensegel, am Heck. Vor ihr auf der Cabrio-Barkasse können bis zu 120 Passagiere Platz nehmen. Mit der Hand am Steuerrad dirigiert sie das schnittige Schiff Richtung Kennedybrücke, an der Fontäne vorbei. Sommer in Hamburg. Ein maritimer Traum. Nicht nur die Touristen haben Spaß daran. Zumal Frau Lunau eine Menge Wissenswertes auf Lager hat – und via Bordlautsprecher kundtut. Im Gegensatz zu manchem „He Lücht“ auf den Hafenbarkassen werden auf der Alsterflotte flott verpackte Fakten serviert, kein Seemannsgarn.

Traumjob in Hamburg: Mit der Cabrio-Barkasse über die Alster fahren

Treffpunkt an diesem Ferientag ist das Betriebsgebäude der ATG Alster-Touristik am Jungfernstieg. Das knuffige, mit dunklem Holz verkleidete Gebäude, ganz bewusst mehr eine Bude, wird intern „Bastion“ genannt. Von dieser Kommandobrücke aus dirigiert das insgesamt 35-köpfige Team die Einsätze der 18 Barkassen, offiziell als Fahrgastschiffe auf Tour über Binnen- und Außenalster, durch Fleete und Kanäle. Die mehrheitlich männliche Crew der 17 Schiffsführer wird durch zwei Frauen bereichert: neben Schiffsführerin Miriam Lunau handelt es sich um die Auszubildende Ayleen.

Klassiker ist die einstündige (tatsächlich!) Alsterrundfahrt für 18 Euro. Kinder kosten die Hälfte. Kenner wissen die jeweils zweistündigen Kanal- und Fleetfahrten (23,50/11,50 Euro) zu schätzen. In dieser Jahreszeit offerieren Hamburgs verschlungene, mit üppigem Grün gesäumten und teilweise „überdachten“ Wasserwege Amazonas-Flair. In jedem Fall sieht man die Stadt von einer ganz anderen Seite.

Lunaus Liebe zu Hamburg geht unter die Haut

Dass sich die 27-jährige Schleswig-Holsteinerin in Hamburg verliebt hat, macht sie kurz und bündig klar: „Was gibt es Schöneres, als Menschen das zu zeigen, was einen selbst begeistert?“. Man sieht es auf ihrem Oberarm: Dort ist Hamburgs Silhouette tätowiert. Miriam Lunau passt wunderbar in unsere Ferienserie. Dabei blicken wir sechs Hamburgerinnen im Job über die Schulter. Mit sommerlichem Bezug.

Legen wir also richtig los – und ab. Um den nicht ganz so sportlichen Besuchern an diesem Vormittag eine Kletterpartie mit Baderisiko zu ersparen, rangiert Frau Lunau das Alstercabrio vom Ankerplatz steuerbords der ATG-Bastion zu einem der acht Anleger am Jungfernstieg. Sie schafft dieses Manöver mit Präzision und Eleganz. Beim zentimetergenauen, butterweichen Andocken des rund 25 Tonnen schweren Schiffs unterstützen elektromagnetische Stahlplatten an der Kaimauer: „Willkommen an Bord“.

Schiffsführerin informiert über Sehenswertes

Bei der schicken Kleidung kein Wunder, dass manche Landratte die Schiffsführerin als Kapitänin betrachtet. Zur dunklen Hose trägt sie eine kurzärmelige, weiße Bluse. Die Schulterklappen sind mit je vier goldenen Streifen verziert. Das blonde Haar hat die gebürtige Brunsbüttelerin zu einem Zopf gebunden. Mützen haben ausgedient.

Miriam dreht den Zündschlüssel nach rechts. Der Motor reagiert mit einem sanften Brummen. Läuft rund. Am Liegeplatz hatte ein Maschinist zuvor die Funktionen gecheckt. Das Tauwerk, vier schwere Leinen, löst sie im Alleingang von den Dalben. Ein prüfender Blick auf Kühlwasserstand, Batteriespannung und Drehzahlmesser, dann geht’s los. Bei einer normalen Rundfahrt würde Frau Lunau kurz nach Passage der Alsterfontäne die Gäste begrüßen: „Moin!“ Rund die Hälfte der Tour informiert sie über Sehenswertes auf der Strecke – und hinter den Kulissen. Man muss gut und aktuell Bescheid wissen, um kurzweilig zu unterhalten. Und um Nachfragen beantworten zu können.

Lunau wollte schon immer zur See

Ersatzweise schildert Miriam Lunau an diesem Tag in Windeseile ihren Werdegang. Im Dorf Averlak im Kreis Dithmarschen als Tochter einer Erzieherin und eines Tischlers aufgewachsen, entdeckte sie früh ihre Begeisterung für die weite Welt des Wassers: „Immer wenn ich ein Schiff sehe, lodert meine Leidenschaft.“ In der Familie ist dieses maritime Faible nicht ungewöhnlich. Ihr Vater pflegte eine Sammlung von Hunderttausenden Schiffsfotos. Und der ältere Bruder Fabian ist Funkoffizier bei der Marine.

Miriam hörte den Lockruf der See als Teenager. Mit 16 Jahren, mit Verständnis der Eltern, zog sie aus der Region Brunsbüttel nach Hamburg. In der Seemannsmission am Altonaer Fischmarkt absolvierte sie ein freiwilliges soziales Jahr. Es war eine spannende, lehrreiche Zeit. Anschließend lernte sie bei Barkassen-Meyer an den Landungsbrücken Hafenschifferin – anfangs als „Decksmann“ bei Hafenrundfahrten. Das Patent zur Schiffsführerin folgte. Ebenso wie der Wechsel 2018 zur ATG. Von der Elbe auf die Alster. „Hier wie da fühle ich mich in meinem Element“, sagt sie. Dass die junge Norddeutsche alles andere als auf den Mund gefallen ist, kommt ihr im Job zugute.

„Ich liebe meinen Beruf“, sagt sie bei der Rückfahrt Richtung Jungfernstieg. „Und ich bin stolz, solche großen Schiffe steuern zu dürfen.“ Neben der Technik und ihrer Wahlheimat Hamburg liebt sie den Umgang mit unterschiedlichen Menschentypen. Fast alle sind neugierig und guter Dinge, wenn sie an Bord kommen. Der eine oder andere dankt mit einem kleinen Trinkgeld für vorzügliche Unterhaltung mit Tiefgang. Hin und wieder gab es ein Scheinchen – mit handgeschriebener Handynummer. Auf so was fährt Frau Lunau gar nicht ab.

Improvisationskunst hilft. So und so. Denn besonders jetzt, im Hochsommer, ist es auf der Alster, vor allem jedoch auf den Kanälen, rappelvoll. Mancher Kanute, Segler, Tretbootfahrer oder Stand-up-Paddler unterschätzt den Anhalteweg eines schwergewichtigen Boots, das mit 4,3 Knoten verkehrt. Das Wendemanöver in Höhe Anleger Mühlenkamp erfordert Konzentration. Dort staut sich der Wasserverkehr bisweilen besorgniserregend. Karambolagegefahr! „Größeren Gruppen fehlt der Respekt vor Barkassen“, weiß Frau Lunau, „vor allem, wenn Alkohol an Bord ist.“ Sie reagiert mit Erfahrung sowie vorausschauender, bedächtiger Fahrweise.

Bei Hitze und hochstehender Sonne helfen Früchtetee und reichlich Creme. Am meisten Freude jedoch, sagt sie zum Schluss, bereitet die meist exzellente Stimmung an Bord. Das macht einfach Sommerlaune.