Hamburg. In der HafenCity spielen täglich rund 300 Teilnehmer Politiker, Banker oder Eisverkäufer – und stimmen demokratisch über alles ab.
Es ist Morgen, die Sonne strahlt. Schon beim Verlassen der U-Bahn-Station HafenCity Universität sieht man viele Eltern mit Kindern, die in Richtung Lohsepark gehen. Auf dem dreieinhalbtausend Quadratmeter großen Baustellengelände stehen Container, Holzhütten und Zelte, die sich ab 10 Uhr mit Leben füllen werden – denn heute startet ein weiterer Tag in der „Kinderstadt“.
Die Kinderstadt Hamburg ist ein elftägiges Ferienprogramm für Teilnehmende im Alter von sieben bis fünfzehn Jahren. Auf dem Gelände am Lohsepark wird täglich bis 16 Uhr alles von den Kindern bestimmt: Sie bauen sich ihre eigene Stadt
in Miniaturformat und verdienen fiktives Geld, die sogenannten Kometen, die sie dann für Essen, Kleidung oder andere Dinge ausgeben können. Das Konzept ist in Bayern entstanden, „Mini-München“ findet dort bereits seit mehr als 40 Jahren statt. Auch in anderen europäischen Städten gibt es bereits ähnliche Projekte.
Ferienprogramm Hamburg: 500 Kinder können teilnehmen
Die Kinderstadt Hamburg wurde im vergangenen Jahr von der Patriotischen Gesellschaft nach diesem Vorbild initiiert. Unter Corona-Bedingungen fand sie erstmals im kleineren Rahmen neben dem Barmbeker Bahnhof statt. Mit Masken und Abstand konnten damals 250 Kinder teilnehmen – in diesem Jahr gibt es täglich Raum für doppelt so viele Teilnehmer aus allen Hamburger Stadtteilen.
Finanziert wird das Programm unter anderem von der Stadt, von verschiedenen Stiftungen wie der „Zeit“-Stiftung und der Stiftung Kinderjahre sowie privaten Spendern. Die Schirmherrschaft haben Christl und Michael Otto. Die Johanniter beteiligen sich mit einem Sanitätswagen, Hamburg Wasser stellt eine kostenlose Trinkstation.
Kinder können sich bei Arbeitsstationen anmelden
Die Kinderstadt ist täglich für alle Interessierten offen. Vor dem Eingang warten Eltern und Kinder in zwei Schlangen: Links geht es zur Erstanmeldung, auf der rechten Seite stehen Kinder, die schon einmal hier waren. Sie halten ihren gelben „Galaxyausweis“ in den Händen, das Dokument, auf dem ihre Arbeitsstunden der vergangenen Tage eingetragen wurden.
Wer es durch den Eingang geschafft und seine Eltern hinter sich gelassen hat, geht als Erstes zum „Galaxy Office“, der Arbeitsvermittlung. Hier können sich die Kinder für 30 Arbeitsstationen wie Politik, Bücherei, Garten oder Stadtplanung anmelden. Bei einer Arbeitsstation können zwischen zehn und 20 Kinder mitmachen. Gearbeitet wird in der Kinderstadt nur mit geliehenem Material oder Spenden – zum Beispiel Holz von anderen Baustellen, das sonst im Müll gelandet wäre.
Bei der Bank wird der Lohn ausgezahlt
Verbrauchsmaterial wie Klebeband wird eingekauft. Die Preise für alles legen die Kinder selbst fest. Seit Beginn der Kinderstadt haben die Teilnehmenden auch eigene Unternehmen und damit Arbeitsstationen neu gegründet: Der Dolmetscherservice etwa koordiniert die Kinder, die Arabisch, Chinesisch, Persisch, Tschechisch oder Russisch sprechen – und ihre Sprachen auch anderen beibringen wollen.
Neben dem „Galaxy Office“ steht die Bank, eine der beliebtesten Stationen. Hinter drei Fenstern sitzen „Mitarbeiter“, die den anderen Kindern ihr Geld auszahlen. Sie eröffnen auch Konten und vergeben Kredite, wie sich das für eine richtige Bank gehört. Schon eine Stunde nach Beginn des Arbeitstages kommt das erste Mädchen mit einem Lohnscheck, der ihr an der Arbeitsstation ausgestellt wurde. Am Schalter wird dieser geprüft und die auszuzahlende Summe berechnet.
Bäckerei ist eine beliebte Station
Vier Kometen werden gestempelt und herausgegeben, einen Kometen behält die Bank für die Steuer. Diese wird später an den Stadtrat abgegeben. Die Geldscheine sind auf buntes Papier gedruckt. Das zwölf Jahre alte Mädchen aus St. Georg nimmt ihr Geld entgegen. Sie arbeitet momentan beim Stadtrat, braucht das Geld aber, um sich ein Eis zu kaufen. Die Arbeit bei der Politik bringe ihr sehr viel Spaß, sagt sie. Sie habe vorher bei dem Theater gearbeitet, aber das wäre so anstrengend mit den anderen jüngeren Kindern, die das Spiel nicht so ernst nehmen würden. Jetzt muss sie wieder zur Arbeit.
Heiß begehrt ist auch die Bäckerei, sowohl vor als auch hinter der Theke: Sechs Kinder rühren hier Teig an und dekorieren die beliebten Waffeln mit Nougatcreme und Sprühsahne. Die Waffeln kosten vier Kometen – anders als das Mittagessen, das alle Teilnehmer im Restaurant für einen Kometen bekommen.
Kinder schlichten die Streits meist selbst
Wenn sich hier in der Schlange mal jemand vordrängelt, kommen die Streitschlichter zum Einsatz. Eigentlich sollen die Kinder ihre Konflikte unter sich klären – wenn das nicht geht, jemand sich beispielsweise nicht an die Verkehrsregeln halten will oder andere ärgert, kommen sie zur Streitschlichtstation. Die ist in einem Bus des Vereins Lukulule direkt neben dem Eingang untergebracht. Würde jemand immer wieder auffallen, könnte er auch aus der Kinderstadt ausgeschlossen werden – das ist aber zum Glück noch nicht passiert. „Meistens kriegen die Kinder das selber hin“, sagt ein erwachsener Mitarbeiter. „Vor allem, wenn man kein Drama draus macht.“
Die verschiedenen Stationen werden von den 50 erwachsenen Betreuern mit künstlerischem oder pädagogischem Hintergrund konzipiert und durchgängig betreut. Sie sind meist bei der Patriotischen Gesellschaft oder Partnerunternehmen wie den Bücherhallen angestellt. Einige Studierende arbeiten im Rahmen einer Forschungsarbeit in der Kinderstadt. Alle sollen Expertise mitbringen, die in den verschiedenen Bereichen benötigt werden – auch Zimmermänner und Architekten sind dabei.
Um 15 Uhr steht die Stadtversammlung
Das Zentrum der Kinderstadt bildet der Bereich unter einem großen weißen Sonnensegel in der Mitte der Baustelle. Darunter befinden sich die Fahrradwerkstatt, eine Galerie mit Malwand und die Bühne, auf der tagsüber getanzt und ab 15 Uhr die Stadtversammlung abgehalten wird.
Um diese Zeit wird auch die Zeitung „Kinderstadt aktuell“ auf bedruckten DINA4-Seiten verteilt – und so die wichtigsten Ereignisse des Tages verkündet: „Der bis eben verschwundene Mülleimer wurde wiedergefunden. Niemand weiß, wer es war“ und „Falschgeld im Umlauf! Das erkennt ihr an den Stempeln auf beiden Seiten“, heißt es da. Auch Anregungen der Kinder werden bekannt gemacht: Die Toiletten, der Verkehr und das Materiallager könnten etwa verbessert werden, finden die heute 299 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Ferienprogramm Hamburg: Kinder stimmen ab
„Hallo liebe Stadtbewohner*innen“, heißt es zur Eröffnung der Stadtversammlung – in der Kinderstadt wird gegendert. Sie stellen die neuen Unternehmen vor. Heute wurden etwa eine Börse, eine Post und die „Spaßbude“ neu gegründet, an der Karikaturen gezeichnet und Witze erzählt werden. Dann kommen die Politiker zu Beschwerden: Heute fanden die Kinder das Eis zu teuer. An heißen Tagen sollte es günstiger sein, damit es sich jeder und jede leisten kann. „Richtig so!“, ruft ein Junge aus dem Publikum.
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Über weitere Tagesordnungspunkte wird abgestimmt: Darf man zwei Jobs haben? Ja! Außerdem soll der Lohn der Kinder, die in der Restaurantküche den Abwasch machen – ein „richtig blöder Knochenjob“, wie die Politiker sagen – erhöht werden. „Das ist nur fair“, ruft ein anderes Kind. Applaus. Dann wird aufgeräumt – damit morgen alles wieder von vorne losgehen kann.
Die Kinderstadt Hamburg ist noch bis Freitag geöffnet. Weitere Infos: kinderstadt.hamburg