Hamburg. Eigentlich sollte der lange per Haftbefehl gesuchte Mahmut H. endlich gefasst werden. Doch die Festnahme verlief anders als geplant.

Im Februar 2020 erschüttert dieser Fall Hamburg: Ein 57 Jahre alter Zivilfahnder wird bei einer Festnahmeaktion durch die Kollision mit einer Luxuslimousine buchstäblich aus dem Leben gerammt. Der Unfallverursacher ist ein Mann, den die Polizei seit Längerem gesucht hatte. „Es war ein besonders tragischer Fall. Und der erste durch offenbar bewusste Gewalt getötete Hamburger Polizist seit 25 Jahren“, sagt Rechtsmediziner Klaus Püschel im Abendblatt-Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher.

Der Täter ist Mahmut H., ein Mann mit längerem Vorstrafenregister. Weil bei dem 29-Jährigen zuletzt drei Strafaussetzungen zur Bewährung widerrufen wurden, hätte er noch mehr als neun Monate Strafhaft zu verbüßen. Er wurde per Haftbefehl gesucht. „Und das schon seit zwei Jahren. Doch Mahmut H. war recht geschickt darin, sich vor der Polizei zu verbergen“, erzählt Joachim Bülter, der zuletzt 13 Jahre Vorsitzender Richter einer Schwurgerichtskammer war und über den Fall des getöteten Polizisten verhandelt hat.

True Crime: VW Phaeton stieß mit dem Polizei-BMW zusammen

„Nun sollte der Mann verhaftet werden. Für einen älteren Mercedes CL 500, den er im Internet angeboten hatte, meldeten sich zum Schein zwei Beamte von der Polizeiinspektion Itzehoe als Kaufinteressenten an und verabredeten sich mit dem Gesuchten. Für den geplanten Zugriff wurden Fahndungsbeamte des LKA Hamburg zur Unterstützung hinzugezogen.“ Doch bei der Verhaftung ging vieles schief. Mahmut H. verlegte den Treffpunkt spontan an einen anderen Ort, es kam zu Fehlern bei der Abstimmung unter den Polizisten. Am Ende sprang ein Beamter, ohne dass es vorher besprochen war, auf den Beifahrersitz von H.s VW Phaeton.

Der Verdächtige gab nun plötzlich Gas und vollzog eine enge Linkswende, um zu entkommen. Mittelacher: „Um seine rasante Fahrt zu stoppen, so heißt es später in der Anklage, habe der Beamte mehrfach ins Lenkrad gegriffen. Es nutzte nichts: Mit hohem Tempo stieß der VW Phaeton frontal mit dem Polizei-BMW zusammen, den der Zivilfahnder fuhr.“ Es kam zu einem verheerenden Crash. „Die Kräfte, die bei so einer frontalen Kollision auf die Karosserie und auf die Insassen wirken, werden quasi addiert“, erläutert Püschel. „Die Insassen werden gleichsam nach vorn katapultiert. So können schwerste Verletzungen entstehen.“

Zivilfahnder wird reanimiert und künstlich beatmet

Nach der Kollision wird der per Haftbefehl gesuchte Mahmut H. festgesetzt. Weitere Beamte kümmern sich um den schwer verletzten Polizisten in dem BMW. Wenig später wird der 57-Jährige von Rettungskräften reanimiert, muss künstlich beatmet werden und wird ins Universitätsklinikum Eppendorf gebracht. Dort wird festgestellt, dass der Polizist durch ein Aufschlagen seines Kopfes auf den ausgelösten Frontairbag eine Fraktur am zweiten Wirbel der Halswirbelsäule erlitten hat.

„Dadurch entstand eine irreparable hohe Querschnittslähmung“, erzählt Püschel. „Das bedeutet, er wäre den Rest seines Lebens in einem bewegungsunfähigen Körper gefangenen gewesen, hätte künstlich ernährt und beatmet werden müssen. Es hätte keine Chance auf Besserung gegeben.“ Die Angehörigen sind sich sicher, dass der Polizist ein solches Dasein nicht gewollt hätte. Die lebenserhaltenden Behandlungsmaßnahmen werden abgeschaltet.

Täter wurde bei Unfall nur leicht verletzt

Schließlich kommt es zum Prozess gegen Mahmut H., dem Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen wird. „Der Angeklagte sagte, dass er das Geschehen zutiefst bedauere“, erzählt Mittelacher. „Allerdings sei es so, dass er damals eine Kollision des Phaeton mit dem BMW nicht habe verhindern können. Der Zusammenstoß sei darin begründet, dass der Polizist plötzlich auf den Beifahrersitz sprang und ihn angegriffen habe. Dass der Zeuge dabei ,Polizei!‘ gerufen habe, habe er nicht vernommen.“ Von den beiden Männern am Auto habe er geglaubt, sie hätten ihn überfallen wollen und seien möglicherweise „Rocker“. Der 29-Jährige wurde bei dem Unfall nur leicht verletzt.

Diese gravierende Unterschiede bei den Unfallfolgen — geringe Wunden bei einem Beteiligten, eine tödliche Verletzung bei dem anderen — erklärt Rechtsmediziner Püschel so: „Der Beamte war zum Zeitpunkt der Kollision nicht angeschnallt, aber zugleich wurde der Airbag ausgelöst. Das heißt, ohne die Sicherheitsgurte wurde der Fahrer durch den Aufprall nach vorn geschleudert. Bei dieser heftigen, peitschenartigen Bewegung entstand die massive Wirbelsäulenverletzung.“

True Crime: Sechs Jahre Freiheitsstrafe für Angeklagten

„Im Prozess kamen erhebliche Probleme bei der Abstimmung unter den Polizisten zur Sprache“, berichtet Bülter. Unter anderem hatte ein sehr erfahrener Polizist große Bedenken, als klar wurde, dass der festzunehmende Mann überraschend zu einem anderen Treffpunkt wechseln wollte.

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Deshalb schrieb der Polizist noch kurzfristig eine SMS an einen Itzehoer Kollegen: „Sollen wir nicht besser abbrechen?“ Diese Nachricht wurde aber in der Eile vom Empfänger nicht mehr gelesen. Im Ergebnis hat das Gericht sechs Jahre Freiheitsstrafe für den Angeklagten verhängt. Denn Mahmut H. trage sehr wohl die Verantwortung für die tödlichen Folgen.