Hamburg. Vielen Ältere werden durch die aktuellen Krisen an den Krieg erinnert, besonders das Ungewisse macht Angst. Ein Psychiater gibt Tipps.

Beim Kurznachrichtendienst Twitter liegt aktuell der sogenannte Hashtag #Heizlüfter im Trend. Und mit der Suchmaschine Google fahnden in diesen Tagen Tausende nach Energiespartipps. Doch besonders große Sorge bereite Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und die daraus resultierende Gas- und Energiekrise wohl den Älteren, die sich womöglich weniger im Internet umtreiben, aber Angst davor haben, im kommenden Winter in ihren Wohnungen zu frieren. Einfach, weil sie dies (und viel Schlimmeres) schon einmal erleben mussten, wie Psychiater Dr. Markus Preiter einordnet.

„Die Generation, die in den 1940er-Jahren und früher geboren wurde, hat durch den Zweiten Weltkrieg erlebt, wie fragil unser gesellschaftliches Konstrukt ist, das nachkommende Generationen, die glücklicherweise nur Frieden und Wohlstand kennengelernt haben, für selbstverständlich erachten“, so Dr. Markus Preiter.

Krieg erschüttert die Bedürfnispyramide

„Den Älteren unter uns sind Dinge widerfahren, die es unmöglich machen, sich die Lage schönzureden. Nach dem Motto: Das geschieht alles ganz weit weg, uns passiert schon nichts. Die Geschichte hat sie schlicht anderes gelehrt“, sagt der renommierte Psychiater, Leitender Oberarzt am Zentrum für Seelische Gesundheit des Asklepios Klinikums Harburg.

Dr. Markus Preiter, Leitender Oberarzt am Zentrum für Seelische Gesundheit/Asklepios.
Dr. Markus Preiter, Leitender Oberarzt am Zentrum für Seelische Gesundheit/Asklepios. © Asklepios

Schaue man sich die „Bedürfnispyramide“ an, ein bekanntes Modell des amerikanischen Psychologen Abraham Maslow, so seien wir alle in unserer Wohlstandsgesellschaft zuletzt vor allem mit der Spitze dieser Pyramide beschäftigt gewesen: „Es ging um Selbstverwirklichung, man könnte fast sagen: um Individualfetischismus.“ Plötzlich aber werde diese Pyramide durch den Krieg in Europa auf nahezu allen Ebenen erschüttert, auch auf den unteren. „Plötzlich geht es um Grundbedürfnisse: Wird meine Wohnung noch warm, oder werde ich im Winter frieren müssen? Behalte ich in Zeiten von Hyperinflation meinen Job? Wie soll ich das wuppen, wenn alles teurer wird?“

Das Ungewisse macht Angst

Hinzu komme, auch verstärkt durch die Medien, der Eindruck, dass ein Verteilungskampf ums Gas drohe. „Wer bekommt das knappe Gas – die Wirtschaft oder die Privathaushalte? Was ist wichtiger – Schulen oder Altenheime? Liefert Russland überhaupt wieder Gas? Niemand weiß es, das verunsichert“, sagt der Experte, Autor des viel beachteten Fachbuchs „Die Logik des Verrücktseins: Einblicke in die geheimen Räume unserer Psyche“. Grundsätzlich löse das Unklare, das Ungewisse immer die schlimmsten Ängste aus. „Da reicht es schon aus, wenn ein Politiker auch nur vorschlägt, im Winter Feldbetten in beheizten Turnhallen aufzustellen. Aus dieser Idee erwächst dann bei manchen Menschen schon eine sehr konkrete Sorge.“

Angst vor der nahen Zukunft könnte sich gerade bei Älteren durch „Flashbacks“, also plötzlich auftretende, länger verdrängte Erinnerungsfetzen, äußern. Auch Schlafstörungen, Kopf- oder Magenschmerzen könnten Symptome sein. „Es ist häufig, dass sich gerade bei älteren Menschen ein solcher psychischer Stress auch körperlich manifestiert.“

Schutz bieten kann helfen

Doch was kann man als Kind, als Angehöriger tun, wenn man feststellt, dass die eigenen Eltern oder ein anderes älteres Familienmitglied große Sorge hat und darunter leidet? „Man sollte Schutz anbieten und immer wieder sagen: Wir sind für dich da. Das ist das Beste, was man tun kann“, sagt der Psychiater. Der Hausarzt des Vertrauens sei darüber hinaus der richtige Ansprechpartner, wenn körperliche oder psychische Probleme abgeklärt werden müssten.

Im Alltag rate er zu einer gewissen „Medienabstinenz“ und erzählt von einer (jüngeren) Patienten, die sich geradezu „in einen Wahn hineininformiert habe“: „Sie kannte quasi jede Truppenbewegung in der Ukraine. Damit kann man sich immer weiter in die Angst hineinmanövrieren.“ Printmedien seien oft eine bessere Quelle als das Internet, wo Nachrichten aus allen Richtungen ungefiltert auf den Konsumenten einprasseln: „Für die Zeitung werden die Nachrichten kuratiert, sie werden von der Redaktion eingeordnet. Das hilft.“

Krieg: Ältere Menschen sollten sich ablenken

Alle, aber insbesondere auch ältere Menschen, sollten dringend weiterhin soziale Kontakte pflegen, sich nicht einigeln. „Gehen Sie unbedingt weiter zum Seniorentreff, in die Kirche, zum Sport“, sagt Dr. Markus Preiter. „Spielen Sie mit Ihren Enkelkindern, gehen Sie spazieren. Gerade Bewegung hebt unsere Stimmung und lässt uns positiv auf Herausforderungen blicken. Wir sagen unserem Gehirn damit im wahrsten Sinne: Es geht weiter.“