Hamburg. Klimakrise und explodierende Energiepreise machten dies “vertretbar“, sagt Hamburgs Bürgermeister. Was BUND und Nabu sagen.
Da kommt beim SPD-Koalitionspartner von den Grünen keine Freude auf: Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) kann sich vorstellen, Windkraftanlagen angesichts des Klimawandels und deutlich steigender Energiepreise auch in Naturschutzgebieten zu errichten. “Es geht auch um ökologische Flächen, es geht auch um Naturschutzgebiete”, sagte Tschentscher bei der “langen Nacht der Zeit”.
Die “Umweltfront” sage stets, es müsse immer alles zulasten der Industrieflächen gehen. “Aus meiner Sicht geht es auch, ein Windrad in ein Gebiet zu stellen, in dem es ansonsten nur Natur gibt”, sagte der SPD-Politiker Das sei ein Eingriff, “aber es ist in der Lage, in der wir sind, in der Interessen- und Zielabwägung vertretbar”.
Gaskrise: Tschentscher will Windräder in Naturschutzgebieten
Zuständig für die Genehmigung von Windrädern ist die Behörde von Umwelt- und Klimasenator Jens Kerstan (Grüne), in dessen Bereich auch die Naturschutzgebiete fallen. “Windenergieanlagen sind in Naturschutzgebieten nicht zulässig”, sagt Behördensprecher David Kappenberg.
So heißt es in § 23 Satz 2 des Bundesnaturschutzgesetzes: “Alle Handlungen, die zu einer Zerstörung, Beschädigung oder Veränderung des Naturschutzgebiets oder seiner Bestandteile oder zu einer nachhaltigen Störung führen können, sind nach Maßgabe näherer Bestimmungen verboten.”
BUND: Tschentschers Vorschlag ist eine “reine Provokation”
Auch die Reaktion aus der Grünen-Bürgerschaftsfraktion auf Tschentschers Vorschlag fällt zwar freundlich, aber eindeutig ablehnend aus. “Die Windkraft ist zentraler Bestandteil der Energiewende und wird in den nächsten Jahren eine immer größere Rolle spielen”, sagt Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen, der in Hamburg trotz der begrenzten Größe des Stadtstaats genügend Potenzial für die Errichtung der Anlagen sieht – etwa im Hafengebiet.
“Es ist wichtig, dass wir jetzt entsprechend des rot-grünen Koalitionsvertrages schnell Fortschritte machen – und stattdessen nicht über die Bebauung von Naturschutzgebieten mit Windrädern sprechen”, sagt Lorenzen. Aus guten Gründen sei die Gesetzgebung in dieser Sache ohnehin besonders streng.
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Für den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) ist Tschentschers Vorschlag eine “reine Provokation” und aus Naturschutzsicht verantwortungslos. “Der Bürgermeister eskaliert ohne Not die ohnehin angespannte Diskussion um Windkraft und Naturschutz, wenn er ohne fachlichen Hintergrund das Tafelsilber des Artenschutzes, unsere Naturschutzgebiete, für den Windkraftausbau zu Debatte stellt”, sagt die BUND-Landesvorsitzende Christiane Blömeke. Windkraft in Naturschutzgebieten sei ein Tabu.
CDU zu Tschentschers Vorstoß: "schädliche Symbolpolitik”
“Die Errichtung von Windkraftanlagen in Naturschutzgebieten ist eine reine Luftnummer und nicht mehr als schädliche Symbolpolitik”, sagt Stephan Gamm, energiepolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. Lieferengpässe bei der Gasversorgung könnten dadurch nicht ausgeglichen werden. “Die Wirkung ist weniger als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Im Gegenzug droht schützenswerter Natur und Tierwelt die langanhaltende Zerstörung.”
Für Stephan Jersch, den umweltpolitischen Sprecher der Linken-Fraktion, zeigt Tschentschers Idee, “wo die SPD beim Umweltschutz steht”. Keine Anlage sei frei von Einfluss auf die Natur. Hamburg habe aber genug Flächen für neue Windräder, bei denen der Widerspruch zwischen möglichst unberührter Natur und der Notwendigkeit der Energiewende “um Potenzen kleiner” sei als in Naturschutzgebieten. “Was Bürgermeister Tschentscher bei seiner Aussage geritten hat, sei dahingestellt - große Kenntnis über den Ausbau der Windenergie oder den Naturschutz kann es nicht gewesen sein”, sagt Jersch.
“Der grüne Irrsinn bei den Roten wird immer schlimmer. Die SPD will die Grünen jetzt bei der Naturzerstörung links überholen. Die Aussage Tschentschers zeigt ein selbstzerstörerisches Verständnis von Heimat und Landschaft”, sagt Alexander Wolf, Vize-Fraktionschef der AfD.
Tschentscher will Windenergie im Hafen mindestens verdoppeln
Tschentscher kündigte in dem Gespräch mit der “Zeit” auch an, die Windenergie im Hafen mindestens zu verdoppeln. Derzeit stehen dort 14 Anlagen – von insgesamt 67 in Hamburg. Er habe sich mit der Hafenbehörde HPA schon mögliche Flächen angesehen, wollte aber nicht sagen welche.
Um das Ziel, zwei Prozent der Gesamtfläche für den Bau von Windrädern auszuweisen, will die Bundesregierung auch Landschaftsschutzgebiete einbeziehen. “Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz bereitet aktuell mit dem Umweltministerium eine Gesetzesinitiative vor, die Windräder in Landschaftsschutzgebieten generell ermöglichen und zugleich höchsten Naturschutzstandards gerecht werden soll”, sagt Umweltbehördensprecher Kappenberg. Unter Landschaftsschutz stehen 30 Prozent der Gesamtfläche der Bundesrepublik, in Hamburg sind es rund 20 Prozent. “Das ist eine der wichtigsten Grundlagen, um das Zwei-Prozent-Flächenziel für Windkraft zu erreichen”, sagt der Sprecher.