Hamburg. Ein weiterer Hamburger hat seine Teilnahme an der härtesten Regatta der Welt angekündigt. Kampfansage an Boris Herrmann.

Wenn in den vergangenen Monaten über die Vendée Globe gesprochen wurde, ging es immer um einen Hamburger. Das wird so bleiben, denn Boris Herrmann, der bei der härtesten Segelregatta der Welt vor ziemlich genau einem Jahr Fünfter wurde, wird auch bei dem für 2024 geplante Rennen dabei sein. Aber er bekommt Konkurrenz aus dem eigenen Land – und zwar von einem gebürtigen Hamburger.

Jörg Riechers ist 53 Jahre und hat große Pläne für die Vendée Globe: „Ich will das Rennen auf dem Podium beenden“, sagt der Hochseesegler, der im Hamburger Stadtteil Winterhude aufgewachsen ist und mittlerweile mit seiner Frau Tiphaine in Caen lebt, einem Ort an der französischen Atlantikküste, der für seine Segler berühmt ist. „An einem solchen Rennen nimmt man nicht nur teil. Ich habe mir das klare Ziel gesetzt, ganz vorne mit zu segeln.“

Vendée Globe: Bisher segelte Riechers im Schatten von Boris Herrmann

Bisher segelte der große, kräftige Mann medial im Schatten Herrmanns. Dabei ist seine Bilanz im Hochseesegeln in den vergangenen 25 Jahren beachtlich: Bereits zehn Mal überquerte Riechers den Atlantik, von 78 Rennen beendete er 51 auf dem Podium, also auf einem der ersten drei Plätze. Neun Siege fuhr der Hamburger ein. Unter anderem nahm er an der Mini-Transat teil, einer alle zwei Jahre stattfindenden Einhand-Transatlantikregatta auf nur 6,5 Meter langen Booten. Im vergangenen Jahr wurde sie in Les Sables d'Olonne in Frankreich gestartet und endete auf Guadeloupe. Riechers ersegelte hier 2011, wohlgemerkt mit einem gebrochenen Kiel, den fünften Platz.

Bei der härtesten Regatta der Welt will der Hamburger mit seiner neuen Jacht ganz vorne mit segeln.
Bei der härtesten Regatta der Welt will der Hamburger mit seiner neuen Jacht ganz vorne mit segeln. © Gilles Martin-Raget/ Barcelona World Race | Gilles Martin-Raget/ Barcelona World Race

2017 wurde er Zweiter, das beste Ergebnis, das ein Deutscher bei dem Rennen je erzielen konnte. 2021 gewann er als erster Deutscher das Transatlantikrennen Solidaire du Chocolat. Beim Barcelona World Race, einer Zweihandregatta einmal um die ganze Welt, die in Barcelona Start und Ziel hat, ging er 2015 an den Start, wurde Sechster nach einem Reparaturstopp wegen eines Ruderschadens in Neuseeland.

Vendée Globe: Zwei Mal wollte Riechers bereits teilnehmen

Riechers weiß also genau, was bei der Vendée Globe auf ihn zukommt. „Seit meiner Teilnahme am Barcelona World Race 2015 glaube ich zu wissen, wie man bei dieser Regatta erfolgreich bestehen kann.“ Zweimal hat er schon versucht, an der Vendée Globe teilzunehmen, beide Male scheiterte das Projekt jedoch an der Finanzierung. „Das war bitter, aber ich habe nie aufgegeben daran zu glauben, dass es irgendwann klappt. Dieses Rennen hat immer in meinem Kopf herumgespukt.“ Vieles habe er in den vergangenen Jahren bereits gedanklich geplant. „Aber so lange es nicht wirklich konkret wird, redet man nicht darüber.“

Riechers ist kein Mensch vieler Worte. Vor allem keiner unnötigen Worte, wie er grinsend sagt. Zu einer erfolgreichen Teilnahme gehöre eben mehr als nur das eigene seglerische Talent und Können, das sei ihm klar geworden. „Es müssen sich zur richtigen Zeit auch die richtigen Menschen begegnen.“ Das sei im vergangenen Jahr nun endlich geschehen. Und deshalb könne er jetzt seine Teilnahme an der berühmten Regatta verkünden.

Weltumsegelung, Vendée Globe, Vendee Globe, Rennen HA Grafik, HA Infografik
Weltumsegelung, Vendée Globe, Vendee Globe, Rennen HA Grafik, HA Infografik © HA Infografik, F. Hasse | Frank Hasse

Alva Yachts finanziert Riechers das „richtige“ Schiff

Zu verdanken hat er das seinem Hauptsponsor und Partner: Alva Yachts ist ein erst 2017 gegründetes Unternehmen aus Bad Pyrmont, das vollelektrische Hochsee-Luxusjachten sowie Komponenten dafür entwickelt. Mit dem Geld von Alva ist es Riechers möglich, ein eigenes Schiff für die Vendée Globe zu planen und zu bauen: „Der Schlüssel zum Erfolg bei der Vendée ist das richtige Schiff“, sagt er.

Zu oft würden Schiffe teilnehmen, die im flachen Wasser ausgesprochen schnell seien. „Flaches Wasser gibt es auf der Route aber selten.“ Eine gute Rennjacht müsse zwar hohe Geschwindigkeiten erreichen, aber immer kontrollierbar bleiben. Da komme es auf andere Eigenschaften an. Sein Wissen darüber habe er bereits in die Planung eingebracht. „Ich kann schon sagen, dass ich nach den vielen Jahren auf Schiffen, erst in den olympischen Klassen, später auf Hochseejachten, ein gewissen Gespür habe.“ Wenn man ein Boot selbst konzipiere, würde man es auch wirklich in allen Einzelheiten verstehen, so Riechers. „Und das ist es, was bei der Vendée über Erfolg und Misserfolg entscheidet.“

Derzeit wird an dem Design des neuen Schiffes gearbeitet. Im Februar beginnt der Bau in Portugal. Parallel dazu werden einzelne wichtige Bestandteile der Jacht in Frankreich und Portugal entworfen und getestet. Zum Beispiel der Kiel. Oder die Foils an beiden Seiten, die Flügel, die das Schiff bei richtigen Bedingungen aus dem Wasser heben können. Sechs verschiedene Formen will Riechers testen. Erst an einem Simulator, später real im Wasser vor der Küste Portugals auf einem kleinen Rennboot, der sogenannten Birdy Fish. „Hier sind die realistischsten Bedingungen, durchaus ähnlich denen bei der Vendée.“ Bis Ende Mai sollen die Tests abgeschlossen sein. Insgesamt wird an dem neuen Schiff bis zum März 2023 gebaut.

Jörg Riechers ist in Winterhude aufgewachsen.
Jörg Riechers ist in Winterhude aufgewachsen. © Jörg Riechers | Jörg Riechers

Riechers will das Rennen ohne einen Liter Diesel fahren

Auch Riechers macht sich dabei zusammen mit seinem Team Gedanken über das Thema Nachhaltigkeit. „Ich weiß, dass der Bau einer solchen Rennjacht nicht das umweltfreundlichste Projekt auf unserem Planeten ist“, sagt er. Allerdings werde seine Jacht mit Sicherheit etwa 20 Jahre über die Weltmeere fahren. Gemeinsam mit Alva Yachts will Riechers es zudem schaffen, als erster Teilnehmer komplett emissionsfrei um die Welt zu segeln – und damit ein Zeichen setzen. Bisher, so der Extremsegler, hätten die Schiffe zwischen 220 und 300 Litern Diesel an Bord, um den Generator an etwa zwei Stunden pro Tag während der Wettfahrt betreiben zu können.

Der wiederum versorgt die Navigationsin-strumente und den Autopiloten mit Strom. „In meine Jacht kommt kein Dieselmotor, das ist klar“, sagt Riechers, „selbst wenn ich dafür eine Strafe zahlen müsste.“ Ein Motor ist allerdings Pflicht an Bord der teilnehmenden Jachten. „Wir werden einen Elektromotor haben. Ich finde es nämlich unehrlich zu sagen, man fahre emissionsfrei um die Welt und dann läuft unter Deck so ein dreckiger Generator.“ Auch deshalb sei die Partnerschaft mit Alva Yachts so wichtig für ihn. „Hier habe ich die absoluten Experten für Elektrosysteme und Solarenergie.“

Die Vendée Globe

  • Die Vendée Globe gilt als härteste Einhand-Regatta der Welt. Hilfestellung von außen ist nämlich verboten.
  • Start und Ziel der alle vier Jahre stattfindenden Wettfahrt ist das französische Les Sables-d’Olonne.
  • Von dort geht es um das Kap der guten Hoffnung ins Südpolarmeer und einmal um den Erdball herum.
  • Nach dem Passieren von Kap Horn kehren die Teilnehmer in den Atlantik zurück.
  • 2021 belegte Boris Herrmann als erster deutscher Teilnehmer den fünften Platz.

Auch die Quali-Rennen bestreitet der Segler mit neuem Schiff

Gemeinsam wolle man bis 2024 ein System erarbeitet haben, das ihn sicher bei seiner Weltumsegelung mit Strom versorge. Dazu gehören Elektromotoren und Sonnenenergie. Aber auch Generatoren zur Stromerzeugung, sogenannte Hydrogeneratoren am Heck, eine Art Windräder im Wasser, die Strom produzieren. „Und wenn man dann die CO2-Bilanz der Jacht nach 20 Jahren betrachtet, dann ist sie bestimmt nicht viel größer als die eines elektrischen, staatlich geförderten Lastenrades.“

Riechers hat sich vorgenommen, die nötigen Qualifikationsrennen mit seinem neuen Schiff zu absolvieren. „Aber ich werde nur die Rennen absolvieren, die Sinn machen – und vor allem nicht mehr Rennen als nötig fahren“, sagt der Profisegler. Dazu gehöre eine Wettfahrt von Martinique nach Lorient, und die Transat Jacques Vabre von Le Havre in Frankreich nach Brasilien. Dann geht es noch zurück von New York nach Frankreich, denn das Schiff soll alle Strecken auf dem eigenen Kiel zurücklegen. „Eine Fahrt mit dem Frachter kommt für mich ebenfalls aus ökologischen Gründen nicht in Frage.“

Das heißt aber nicht, dass Riechers in der Zwischenzeit nicht segelt. Selbst jetzt im kalten Winter ist er vor Caen jeden Tag auf dem Wasser. In diesem Jahr wird er in der Figaro-Klasse antreten, einer Serienjacht-Klasse, bei der die Schiffe ebenfalls den Foils ausgestattet sind und Einhand, also allein, gesegelt werden. „Das ist eine der härtesten Klassen, also die perfekte Vorbereitung für mich.“ Viele spätere Gewinner der Vendée Globe seien zuvor erfolgreich in dieser Klasse gesegelt, berichtet Riechers. Ein gutes Omen?

Riechers setzt auf ein kleines Team für die Vendée Globe

Außerdem wird er damit beschäftigt sein, sein Team für die Vendée aufzubauen. Unterstützt wird er dabei von seiner Frau. Riechers hält allerdings nichts von einem großen Team. „Klein und effizient muss es sein“, sagt er. Etwa acht oder neun Männer und Frauen sollen es am Ende werden, so der derzeitige Plan. Auch damit hebt er sich von anderen Teilnehmern ab, die teilweise bis zu 50 Mitarbeiter beschäftigen.

Insgesamt will Riechers sich auf das Wesentliche konzentrieren, auch auf viele schnelle Begleitboote am Start und Ziel verzichten. „Die blasen ja einen unheimlichen Dreck in die Luft“, sagt er. Doppelmoralisch empfände er es, wenn man an dieser Stelle plötzlich den Umweltschutz vergesse, nur um sich möglichst gekonnt in Szene zu setzen. Man brauche sie, aber die Anzahl solle reduziert werden. „Genauso wie das ständige Fliegen zu Wettfahrten. Wir wollen auf eigenem Kiel die Häfen erreichen.“ Insgesamt sollten alle unnötigen Flüge eingeschränkt werden, um Verantwortung zu übernehmen. Das gelte auch für seine Crew. „Es ist doch Wahnsinn, wie viele Menschen zum Start und Ziel eingeflogen werden. Das sollten wir alle im Sinne der Umwelt dringend reduzieren.“

Um eines muss sich Riechers allerdings nicht selbst kümmern, das ist die Suche nach weiteren Sponsoren. Das haben die Kollegen von Alva-Blue übernommen. Das Unternehmen wurde extra für die Vendée-Globe-Kampagne gegründet und ist für die Vermarktung des Projekts verantwortlich. „Da sitzen die absoluten Profis, das können die viel besser als ich.“ Riechers ist überzeugt davon, dass in den kommenden Monaten einige Unternehmen zu seinem Projekt stoßen werden. Das ist auch nötig, schließlich ist bisher nur der Bau der Rennjacht durchfinanziert. „Ich bin zuversichtlich, dass wir auch für die zweite Phase Sponsoren finden werden. Wir haben ja ein sehr innovatives und sinnstiftendes Projekt zu bieten.“

Vendée Globe: Hamburger will ganz vorne mitsegeln

Und das Interesse an der Regatta wird groß sein, davon ist auszugehen. Im vergangenen Jahr verfolgten Millionen Menschen die Segler bei ihrer Weltumrundung. Die modernen Medien machen es möglich, dass die Fans quasi live an Bord dabei sein können. Auch Riechers ist bewusst, dass die mediale Vermarktung während des Rennens immer wichtiger wird. „Das Interesse an der Vendée Globe ist einfach gigantisch“, sagt er. Für Segler sei die Wettfahrt so etwas wie Wimbledon im Tennissport. Sein großes Vorbild ist dabei der britische Kultsegler Alex Thomson. „Der trifft immer den richtigen Ton und liefert spannende Inhalte.“ Entscheidend sei die Mischung. „Einen Sonnenuntergang zu verschicken, darin sehe ich keinen Sinn.“ Man müsse schon etwas zu erzählen haben, wenn man sich per Video, Telefon oder Foto von Bord melde. „Und da kann es eben auch sein, dass man mal zwei Tage lang nichts sendet.“

Bleibt die Frage, ob er vor irgendetwas Angst habe bei der härtesten Regatta der Welt. Riechers grinst, natürlich nicht. „Aber ich habe großen Respekt.“ Und die Einsamkeit? Die sei doch schön. Zumal es jeden Tag so viel zu tun gebe, da bliebe nicht viel Zeit über die Einsamkeit nachzudenken. Und schließlich habe er sich vorgenommen, die Strecke in etwa 70 Tagen zu schaffen. Darauf würde er sich dann mit all seiner Energie stürzen.

Sein Ziel: Die Regatta zu gewinnen, und zumindest im Zielhafen Les Sables d`Olonne auf dem Treppchen zu stehen. Wenn das keine Ansage ist …