Hamburg. Gut fünf Jahre liegt der G-20-Gipfel zurück. Doch was für Konsequenzen hatte er überhaupt für die Stadt und ihre Entscheidungsträger?

Vielleicht sagt diese eine Geschichte schon alles dazu, worum es nach dem G20-Gipfel wirklich ging. Sie handelt von Olaf Scholz und seinen Manieren.

Der Mann sei ein notorischer Nicht-Grüßer, fluchten die Oppositionellen schon zu seiner Zeit als Bürgermeister. Da sei kein Hallo gekommen, kein Lächeln, oft nicht einmal ein Scholzsches Nicken, wenn man sich im Rathaus über den Weg lief. Aber sie freuten sich auf seinen Auftritt im G20-Sonderausschuss. In die Mangel nehmen wollten sie ihn und seine Fehler, die Mär vom Gipfel als „Hafengeburtstag“. Die Kameras standen bereit und die Abgeordneten waren angriffslustig.

Was für Lehren zieht Hamburg aus dem G-20-Gipfel?

Und was macht Scholz? Er betritt den Saal, dann geht er um den gesamten Tisch und gibt jedem Abgeordneten die Hand, selbstsicher und bestimmt. „Ich war völlig perplex“, erinnert sich eine Obfrau. Ein anderer Parlamentarier sagt: „Wenn man ehrlich ist, haben wir danach die Chance vergeigt. Wir haben ihn und sein Versagen nicht zu fassen bekommen.“

Es sei „Teflon-Olaf“ in Perfektion gewesen. Eine Lehrstunde darin, wie man das Spiel von Politik und Medienmacht spielt. Statt damals in den Rücktritt gestoßen worden zu sein, ist der Nicht-Grüßer heute Bundeskanzler.

Aufarbeitung ist gescheitert

Die Aufarbeitung scheiterte. Der Sonderausschuss konnte sich am Ende nicht einmal auf einen gemeinsamen Abschlussbericht einigen. Es gab Streit um geschwärzte Akten der Polizei, die teilweise unleserlich blieben. Aus Sicht der Opposition verschleppten die Obleute der Regierungsfraktionen die Befragungen mit wachsweichen Fragen. Nach deren Empfindung wiederum jagten insbesondere CDU und AfD bloß den Skalp des Bürgermeisters, ohne ausreichend scharfe Waffen zu schwingen.

Der wohl entscheidende Schachzug des Bürgermeisters: Nach dem Gipfel rang sich Scholz zwar eine öffentliche Entschuldigung ab, aber attackierte sofort vor allem die linke Szene in Hamburg – radikale wie gemäßigte, die den Randalierern aber Unterschlupf geboten hätten. Sie seien „geistige Brandstifter“. Das half Scholz in doppelter Weise aus der Klemme. Die Linke geriet selbst in die Defensive. Und die CDU schluckte den Köder, arbeitete sich nach dem Gipfel an Linksradikalen und der Roten Flora ab. In der autonomen Trutzburg könne es nicht „so bleiben, wie es ist“, sagte Scholz selbst.

Hamburgs Verfassungsschutzchef, Torsten Voß (l) und Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer sprechen vor der Sitzung des Sonderausschusses G20 am 21.09.2017 im Rathaus in Hamburg miteinander. Die Sitzung des Sonderausschusses beschäftigt sich mit den gewalttätigen Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel in Hamburg. Foto: Axel Heimken/dpa [ Rechtehinweis: (c) dpa ]
Hamburgs Verfassungsschutzchef, Torsten Voß (l) und Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer sprechen vor der Sitzung des Sonderausschusses G20 am 21.09.2017 im Rathaus in Hamburg miteinander. Die Sitzung des Sonderausschusses beschäftigt sich mit den gewalttätigen Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel in Hamburg. Foto: Axel Heimken/dpa [ Rechtehinweis: (c) dpa ] © picture alliance / Axel Heimken/ | dpa Picture-Alliance / Axel Heimken

Doch wirklichen Wandel gab es dort nicht, trotz einer Offensive des „A-Teams“ – der Fraktionsvorsitzenden Anjes Tjarks (Grüne) und Andreas Dressel (SPD) – die geräuschlos versandete. Die Rote Flora bleibt besetzt und angriffslustig, Tjarks und Dressel sind heute Senatoren. Auch sonst bedeutete der G20-Gipfel für keinen Entscheidungsträger einen Karriereknick: Andy Grote (SPD) ist weiter Innensenator, Polizeieinsatzführer Hartmut Dudde stieg vor seiner Pension noch zum Chef der Schutzpolizei auf, Ralf Martin Meyer ist inzwischen länger Polizeipräsident als fast alle Vorgänger.

Welche Konsequenzen hatte der G20-Gipfel da überhaupt? Und was hat Hamburg daraus gelernt?

Die Konsequenzen

Fragt man die Polizei danach, schickt sie ein elfseitiges Dokument. Die entschiedene Strafverfolgung habe zu einer „nachhaltigen Schwächung des lokalen, linksextremistischen Spektrums“ geführt, die „bis heute spürbar ist“, wie Polizeipräsident Ralf Martin Meyer sagt. Tatsächlich verliefen etwa die Demos zum 1. Mai seit dem Gipfel harmlos im Vergleich zu früheren Zeiten. Mitglieder der linken Szene geben zu, dass sie recht zersplittert sei.

Gleichzeitig hat die Ordnungsmacht aufgerüstet. Neu gegründet wurde das sogenannte Höheninterventionsteam, als Lehre aus dem – bis heute umstrittenen – angeblichen „Hinterhalt“ von Dächern im Schanzenviertel in der schlimmsten Krawallnacht des Gipfels. Auch ein Pilotprojekt zum Einsatz von Drohnen wurde durchgeführt. Als Anlass nennt die Polizei die Vorwürfe des „vermeintlichen nächtlichen Dauereinsatzes“ von röhrenden Hubschraubern während des Gipfels. Ergebnis: Die Drohnen könnten eine „Ergänzung“, wenngleich kein Ersatz für Helikopter in bestimmten Situationen sein.

Weniger laut ist auch das Auftreten der Polizei in der Öffentlichkeit geworden, es ist vielleicht die größte Veränderung zur Vor-G20-Zeit. Statt markiger Ansagen setzt auch Polizeipräsident Meyer auf eine bürgernähere Ansprache. Die sogenannten Kommunikationsteams hätten sich bewährt, und ihr „Einsatzgebiet wird ausgeweitet“, heißt es. Eine neue Beschwerdestelle, die direkt bei Meyer angedockt ist, wurde eingerichtet. Sichtbar ist ein neuer Stil auch bei jeder Demonstration sichtbar: An der individuellen Kennung auf der Uniform der Bereitschaftspolizei. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) lief wütend Sturm gegen die Kennzeichnungspflicht, Grote und Polizeipräsident Meyer setzten sie dennoch durch. Heute ist von einer „hohen Akzeptanz“ auch innerhalb der Polizei die Rede.

Für eine andere Einsatztaktik sah die Polizei aber keinen Anlass. Das machte schon die Beförderung des Einsatzführers Dudde klar, der die „Hamburger Linie“ mit einem harten Vorgehen gegen Vermummungen und andere Regelverstöße prägte. Auch gemäßigte Linke warfen der Polizei vor, während und nach G20 damit einen Beitrag zur Eskalation zu leisten und selbst häufig das Recht zu beugen, wenn nicht zu brechen (siehe Interview unten). Aus dem Präsidium heißt es zur Linie beim Gipfel in knappem Polizeideutsch rückblickend nur, der Einsatz sei „nach bestehenden Dienstvorschriften“ und einem „nationalen wie internationalen Erfahrungsaustausch erfolgt“.

Pressekonferenz der Polizei zur Bilanz der G20-Tage mit Olaf Scholz, Andy Grote, Polizeipräsident Ralf Martin Meyer und G20-Einsatzleiter Hartmut Dudde.
Pressekonferenz der Polizei zur Bilanz der G20-Tage mit Olaf Scholz, Andy Grote, Polizeipräsident Ralf Martin Meyer und G20-Einsatzleiter Hartmut Dudde. © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Politisch scheinen sich die rot-grünen Regierungsfraktionen heute darin einig zu sein, dass es falsch war, den Gipfel „im Herzen einer Metropole und damit nah bei den Menschen stattfinden zu lassen“, sagt Sören Schumacher, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Es sei eine „bedauerliche politische Konsequenz“, dass Veranstaltungen dieser Art in Deutschland isolierter stattfinden müssen, „um Gewaltexzesse von Radikalen zu verhindern“. Auch die innenpolitische Sprechern der Grünen-Fraktion, Sina Imhof, betont: „Aus unserer Sicht sollte eine Veranstaltung dieser Größenordnung nicht erneut in Hamburg stattfinden.“

Aus der CDU-Fraktion hagelt es hingegen nicht nur harsche Kritik an der Verharmlosung der Gefahren des Linksextremismus, die deren innenpolitischer Sprecher Dennis Gladiator dem Senat vorwirft. Die gewalttätigen Ausschreitungen des G20-Gipfels seien gar „eine Zäsur für die Stadt“ und „eine Bankrotterklärung des rot-grünen Senats“. Hamburg sei nicht ausreichend vorbereitet gewesen, obwohl Experten vor „entsprechenden Eskalationsstufen“ gewarnt hatten.

Gemeinsame Faktenlage

Bei der Frage nach Lehren aus den Geschehnissen wird fraktionsübergreifend auf den G20-Sonderausschuss verwiesen – allerdings erwartungsgemäß mit unterschiedlicher Bewertung. Es sei eine „gemeinsame Faktenlage geschaffen“ worden, Fehler seien „identifiziert“ und „aufgearbeitet“ worden, so Schumacher. In der Folge sei mehr Personal für Gerichte und Staatsanwaltschaften bereitgestellt sowie die Arbeit der Polizei verbessert worden.

Für die CDU-Fraktion sei die Aufarbeitung des Ausschusses hingegen „schleppend“ gewesen, sagt Gladiator. Dem damaligen rot-grünen Senat wirft er „mangelnden Aufklärungswillen“ vor, Olaf Scholz ein „völlig verklärtes Auftreten“. Zwar hätten Hamburg und die Verwaltung für künftige Großereignisse „viele lehrreiche Konsequenzen“ aus dem G20-Gipfel ziehen können, doch man stehe seither vor einem Dilemma, was die erneute Ausrichtung eines Ereignisses dieser Größenordnung betrifft: die „schier unüberwindbaren Vorbehalte und Sorgen aus der Bevölkerung“.

Vertrauensverlust bei Bürgern

Dass die Politik bei den Hamburgerinnen und Hamburger einen Vertrauensverlust erlitten hat, daraus machen die Grünen keinen Hehl. Imhof sagt, es werde dauern, „verloren gegangenes Vertrauen der Bevölkerung in politische Entscheidungen zurückzugewinnen“.

Die Frage, wie das funktionieren soll, ist genau so alt wie die, was in jenen Tagen genau passiert ist. Und eine gemeinsame Antwort der Politik nicht gefunden.