Hamburg. Nach ihrem Armeedienst lassen sich 20 Teilnehmer in Hamburg für Sozialberufe ausbilden. Das liegt näher, als man denkt.

Das Wort „Erziehung“ steht an einem Montagmorgen am Whiteboard im Unterrichtsraum der Reichspräsident-Ebert-Kaserne an der Osdorfer Landstraße. „Unterstützung“, „Verantwortung“, „Bindung“, „Vorbild“ sind ein paar der Wörter, die den Kursteilnehmern dazu einfallen und die sie daneben schreiben. Was ist Erziehung? Und was brauchen Kinder heutzutage? Diese Fragen stellen sich seit Mitte Juni die rund 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Lehrgangs zum staatlich geprüften Erzieher an der Bundeswehrfachschule Hamburg.

In sechs Semestern – also drei Jahren – mit drei Blockpraktika im Kinder- und Jugendbereich können sich die ehemaligen Soldatinnen und Soldaten ausbilden lassen.

Aus Soldaten werden Erzieher in Hamburg

„Erst mal denkt man als ziviler Bürger: Aus Soldaten werden Erzieher, wie kann das sein?“, sagt Lehrerin Katrin Sieben, die seit 2007 an der Bundeswehrfachschule tätig ist. „Am Anfang kommunizieren sie vielleicht noch etwas wenig.“ Reine Ansagen und kurze Sätze würden beispielsweise nicht reichen, man müsse begründen, was man wie macht.

„Aber nach den drei Praktika ist es meist eine gute Mischung: Eine gewisse Struktur durch die Bundeswehrzeit – Grenzen setzen können sie zum Beispiel ziemlich gut – und dazu in der Ausbildung das pädagogische Handeln und die entsprechende Kommunikation. Unsere Absolventen sind gerade für die Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen hervorragend geeignet. Da gehen auch 95 Prozent unserer Schüler hin.“ Daher werde in der Ausbildung ein Schwerpunkt auf die Jugendarbeit gelegt.

Soldaten werden Erzieher in Hamburg: "Hauptsächlich Männer"

Die Bundeswehrfachschule unterliegt dem Rahmenlehrplan und der Prüfungsordnung der Stadt Hamburg. Um teilzunehmen brauchen die Soldaten einen Haupt- oder Realschulschabschluss und eine mindestens zweijährige Berufsausbildung oder vier Jahre Tätigkeit sowie die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses. Die Teilnehmenden kommen aus ganz Deutschland, in einer Klasse sind etwa 16 Personen.

Im Schnitt sind sie Mitte 20 bis Mitte 30 Jahre alt. „Hauptsächlich sind es Männer“, sagt Lehrerin Sieben über die Zusammensetzung der Klassen – auch im aktuellen Jahrgang sitzt nur eine Frau. „Sonst ist das Verhältnis in Hamburg und den anderen Bundesländern meist anders herum: Oft sind es dort nur ein, zwei Männer in den Klassen und die meisten gehen in den Elementarbereich.“

Der Erzieherlehrgang wird seit 2002 an der Bundeswehrfachschule in Hamburg angeboten, rund 500 Schülerinnen und Schüler haben ihn bisher erfolgreich absolviert. Der aktuelle Jahrgang ist der erste nach zwei Jahren Pause, in denen es nicht genügend Bewerberinnen und Bewerber gegeben hatte. Manche sitzen hier, weil sie noch keine konkreten Pläne für die Zeit nach der Bundeswehr hatten. „Andere wollten es wiederum schon vorher machen, aber hatten vielleicht etwas Scheu, in diesen Bereich zu gehen“, sagt Lehrerin Sieben. Mehrere Teilnehmende haben während ihrer Zeit in Uniform außerdem bereits selbst ausgebildet.

Ex-Soldat: „Die Zeiten haben sich geändert“

So auch der Schüler Eric Weber. „Die Zeiten haben sich geändert“, meint er. Der 32-Jährige war nach seiner ersten Ausbildung in der Lagerlogistik für 12 Jahre Soldat – davon auch eineinhalb Jahre in einer Leitungsposition als Zugführer. „Wir waren in unserer Bundeswehrzeit auch pädagogisch unterwegs, waren zum Teil Lehrer oder Erzieher oder hatten in gewisser Weise die Funktion eines Mentors“, sagt der Vater einer fünf Jahre alten Tochter.

Der 34 Jahre alte Paul Maliszewski war ebenfalls 12 Jahre lang bei der Bundeswehr, bevor er die Ausbildung zum Erzieher begann. Zweieinhalb Jahre davon als stellvertretender Gruppenführer für zehn Personen. „Wenn auf einem Marsch bei jemandem mal die Kondition oder Motivation nachgelassen hat, habe ich da den Motivator gemacht: gut zugesprochen, aufgebaut, Wege gezeigt, wie es besser geht“, sagt er darüber, was er aus der Bundeswehrzeit in die Arbeit als Erzieher mitnehmen kann. Er möchte später im Bereich Streetwork arbeiten. Auch der Übergang in das zivile Arbeitsleben werde so erleichtert: „Wenn man länger bei der Bundeswehr war, ist es etwas schwierig, vom einen auf den anderen Tag zu wechseln. Für mich ist es jetzt ein fließender Prozess, meine Tätigkeit bei der Bundeswehr zu beenden.“

Soldaten werden Erzieher in Hamburg: Vorurteile waren ein Thema

Erik Berndt hat den Wechsel geschafft: Der 33-Jährige kam 2009 zur Bundeswehr, von 2016 bis 2019 schloss er die Ausbildung zum Erzieher in Hamburg ab. Als ehemaligem Soldaten sind ihm dabei auch einige Vorurteile begegnet: „Es ist nicht so ein offensichtlicher Bereichswechsel, daher war mir das von vorneherein klar. Auch als Mann Erzieher zu werden, läuft ja nicht immer vorurteilsfrei“, sagt Berndt. „Die Reaktion von Eltern im Kindergarten war oft: ‚Oh, aber nicht, dass das jetzt hier ein rauer Ton wird‘. Oder Väter haben etwas eigenwillige Witze gemacht wie: ‚Hier aber nicht an der Waffe ausbilden‘. Andere Vorurteile sind, man sei immer streng, laut und alles müsse ständig seine Ordnung haben. Aber man kann sich natürlich durchsetzen, ohne laut zu sein.“

Heute sei das aber kein Thema mehr. Berndt arbeitet inzwischen in der Schön Klinik Bad Bramstedt, auf der psychosomatischen Jugendstation. Dort unterstützt der ehemalige Soldat Jugendliche mit Depressionen oder Essstörungen, hilft ihnen, den Alltag zu strukturieren.

Kita Hamburg: Im Job hilft die ruhige Art des Ex-Soldaten

Seine Vorgesetzte, Chefärztin Christina Teckentrup, ist froh über jeden männlichen Bewerber. „Es werden händeringend männliche Erzieher gesucht“, sagt sie. „Es ist so wichtig, dass Kinder und Jugendlichen auch männliche Bezugspersonen haben.“ Aktuell sind zwei der elf Erzieher und Pfleger auf ihrer Station Männer.

Der Bundeswehrhintergrund bei Kollege Berndt sei „schon ungewohnt“ gewesen, sagt Teckentrup. „Aber ich kannte bereits andere Personen, die bei der Bundeswehr arbeiten, die auf jeden Fall krisenerprobt und einfühlsam sind“, so die Chefärztin. Das sehe sie auch bei Berndt: „Er strahlt so eine Ruhe und Gelassenheit aus, dass die Jugendliche Grenzen auch wirklich gut akzeptieren können.“