Elmshorn. Der Gymnasiast begeistert sich für Beethoven und Mathematik, für Walter Moers und die (Spät-) Romantik. Und er hat große Pläne.
Wenn einem Menschen mehr Talente in die Wiege gelegt wurden, als den meisten Mitmenschen, dann hat das in vielen Fällen auch ein gänzlich anderes Leben zur Folge. Vorausgesetzt, die Talente werden entdeckt und gefördert. Yannick Fiß gehört offenbar zu diesen Menschen. Denn während seine Klassenkameraden Popmusik hören und sich in den sozialen Netzwerken tummeln, hat der 15-jährige Gymnasiast der Elsa-Brändström-Schule Elmshorn zwar ebenfalls Freunde. Aber er hat auch anderes im Sinn.
Er spielt Klavier. Und er liest. Wenn ihn die Story fesselt gern bis um zwei Uhr nachts. Gern Fantasygeschichten. Er mag Bouldern, liebt das Aufsteigen in den Himmel beim Segelfliegen – und wenn er in der Schule sitzt, verblüfft er wahrscheinlich den einen oder anderen Lehrer durch seine schnelle Auffassungs- und Kombinationsgabe. Freundlich und besonnen wirkt er obendrein.
Hochbegabt: Yannicks Leidenschaft ist das Klavier – doch nicht sein Berufswunsch
Yannick Fiß, Sohn eines deutschen IT-Fachmannes und einer Chinesin, ist hochbegabt und möchte später wahrscheinlich Physiker werden. Und das, obwohl seine größte Leidenschaft dem Klavierspiel gilt, insbesondere Stücken wie der Sturmsonate von Beethoven. „Die Kunst geht nach Brot“, zitiert er zur Erklärung seiner vorläufigen Entscheidung den berühmten Satz aus Lessings Emilia Galotti. Denn als Künstler sich dorthin beugen zu müssen, wo das Geld herkommt, das möchte er nicht. Dann lieber Naturwissenschaften erlernen und die Liebe zur Musik in der Freizeit pflegen.
Sein großes Ziel lautet also momentan: Studium. „Dann wird es mich schon an ein Ufer verschlagen, wo ich Fuß fassen kann“, sagt der 15-Jährige. „Am liebsten würde ich ein Leben lang studieren“ – dieser Stoßseufzer scheint aus der Tiefe seines Herzens zu kommen. Am Anfang, da sei das nicht so leicht gewesen, sagt er nach längerem Überlegen auf die Frage, wie er in der Klasse mit seiner Hochbegabung und seiner Liebe zur klassischen Musik klargekommen sei. „Meine Klassenkameraden kann ich damit zum Teil nicht so ganz begeistern“, sagt er vorsichtig. Für ihn ist Beethoven der Größte, „ein Genie!“. Wenn man Beethoven spiele, „merkt man, wie gut durchdacht jede einzelne Note gesetzt ist“. In der Sturmsonate sei der Ausdruck „so vollkommen, daran lässt sich nicht mehr rütteln.“
Hochbegabtes Wunderkind stand bereits kurz vom Burnout
Mit fünf Jahren begann er auf eigenen Wunsch, das Klavierspiel zu erlernen, weil ihm die musikalische Früherziehung in der Kita so viel Spaß gemacht hatte. An unzähligen Jugend-musiziert-Wettbewerben hat er seitdem teilgenommen und öfters mal gewonnen, immer häufiger spielt er vor Publikum – und nutzt solche Konzerte gelegentlich als Vorbereitung auf den nächsten Wettbewerb. Die hat er allerdings wegen der Schule stark zurückgefahren.
Mit dem Klavierwerk Beethovens hat sich Yannick Fiß so innig wie intensiv befasst, auch mit Bach. Seine Lehrerin habe ihm erklärt, Bach sei das Alte, Beethoven das Neue Testament. Er mag aber auch Chopin – und hat das Klavierkonzert E-Dur von Moritz Moszkowski für sich entdeckt. Ein fast vergessener polnisch-jüdischer Komponist. Aber Schule und Klavier – das ließe sich nicht gut vereinbaren, sagt er. Vier bis fünf Stunden übt er pro Woche auf seinem herrlichen Büthner-Flügel von 1910. Mehr sei nicht zu schaffen, und im vergangenen Herbst habe er kurz vorm Burnout gestanden, weil die Schule mit Corona so anstrengend gewesen sei.
Corona und Schule: Musik hat geholfen, die Zeit zu überstehen
Ja, Corona. Selbst da habe ihm Beethoven geholfen. War die Erschöpfung zu groß, hat er eine Klaviersonate gespielt – und schon ging’s wieder. Johann Sebastian Bachs Fugen verkörpern für ihn dagegen die ideale Verbindung von Musik und Mathematik. „Mathe ist toll!“, ist einer der Sätze, die er mit Begeisterung ausspricht. Er hat sogar schon überlegt, parallel zur Schule ein Juniorstudium in Mathematik zu beginnen.
Viel Inspiration zieht der 15-jährige Deutsch-Chinese, der ohne Geschwister aufwächst, aus seinen Besuchen der Junior-Akademie für Hochbegabte, an der er schon mehrmals in den Ferien teilgenommen hat. Mit seinen dortigen Mitschülern gründete Fiß im vergangenen Sommer einen Literaturclub, bei dessen Treffen gemeinsam Jugendbücher geschmökert und diskutiert wurden, zum Beispiel „Die Stadt der träumenden Bücher“ von Walter Moers, Fantasyabenteuer, erzählt von dem zamonischen Dichter Hildegunst von Mythenmetz.
Hochbegabtes Wunderkind: Yannicks nächstes Ziel – England
Als nächstes geht er allerdings im Spätsommer für ein Jahr auf ein englisches Internat, wo er weniger Fächer haben wird: Physik, Mathe, höhere Mathematik – und Musik. Ein befreundeter Cellist habe ihm davon vorgeschwärmt. „Ich erhoffe mir davon andere Perspektiven, um zu lernen, neue Dinge zu erforschen. Und mehr Zeit für die Musik habe ich dann auch, denn die ist fest im Stundenplan vorgesehen.“
Die (Spät-)Romantik mag er von allen Epochen am liebsten, „mit allen schönen Stimmungen. Ich mag daran das Einssein des Menschen mit sich selbst und der Welt, und das Absolute der Natur. Wenn ich Beethoven spiele, bin ich eins mit mir.“
In der Sturmsonate aber, da sei eine Reprise enthalten, die ihm die liebste sei. Dazu habe Beethoven notiert, was wie ein Widerspruch klingt, aber keiner ist: „Con Espressione e semplice“ (zu deutsch: mit Ausdruck und einfach). Yannick Fiß hört darin „eine einzelne Stimme, die eine Geschichte von Einsamkeit erzählt.“