Hamburg. Flaute in den Impfzentren am Flughafen und in Harburg: Was man jetzt zum Boostern, zu Fristen und Impfstoffen wissen muss.
Abwarten oder doch endlich boostern lassen, obwohl ein auf Omikron abgestimmter Impfstoff derzeit noch nicht verfügbar ist? Die Bereitschaft zur Auffrischungsimpfung stagniert – bislang haben nur 61,7 Prozent der Hamburger zusätzlich zur Grundimmunisierung (zwei Impfdosen) eine dritte Impfung erhalten – 83,8 Prozent haben zwei Impfungen.
„Ein auf Omikron abgestimmter Impfstoff würde auch bei den anderen Varianten helfen. Deshalb macht ein weiteres Abwarten von Impfkandidaten, die die Fristen zwischen Impfungen oder Impfungen und Erkrankung eingehalten haben, keinen Sinn“, sagt Dr. Dirk Heinrich, ehemaliger Leiter des Impfzentrums in den Messehallen. Daran ändere auch die neu aufkommende Subvariante BA.5 nichts. Bei denen, die zweimal geimpft sind und einmal erkrankten, komme es nicht „auf den Tag genau“ an, wann sie eine dritte Spritze bekommen, der Mindestabstand von drei Monaten solle aber eingehalten werden.
„Wir haben gesehen, dass die Impfstoffe, die bereits da sind, einen guten Schutz bieten. Das ist doch der entscheidende Punkt“, sagt Heinrich.
Jetzt für Sommerferien und Herbst impfen oder nicht?
In Hamburg sind derzeit zwei kleine öffentlich finanzierte Impfzentren in Betrieb. Neben dem Terminal Tango (Flughafenstraße 1–3) gibt es einen weiteren Standort, die Harburg Arcaden (Lüneburger Straße 39). Dort sind Impfungen auch ohne Termin möglich (aktuelle Infos auf www.hamburg.de/corona-impfstationen, Hotline 0800 38 48 688). Bei einer Stippvisite im Terminal Tango zeigt sich, dass es viele leere Stuhlreihen gibt, aber kaum Impflinge. „Die Impfbereitschaft sinkt parallel zu den Entwarnungen, die gegeben werden, und den Masken, die fallen“, sagt Dirk Heinrich.
Die Nachfrage in den beiden Impfzentren ist sehr gering, wie eine Anfrage bei der Gesundheitsbehörde zeigt. Im Impfzentrum Terminal Tango wurden demnach bislang 894 Impfungen verabreicht: 41 Erst-, 109 Zweit-, 521 Dritt- und 223 Viertimpfungen. In den Harburg Arcaden waren es bislang 855 Impfungen, und zwar 42 Erst-, 116 Zweit-, 450 Dritt- und 247 Viertimpfungen, so Behördensprecherin Stefanie Lambernd. Geimpft wird streng nach den Vorgaben der Ständigen Impfkommission (Stiko).
Vierte Impfung: Das sind die Regeln
Das sei auch richtig so, sagt die Vorsitzende des Hausärzteverbandes, Dr. Jana Husemann: „Eine vierte Impfung sollte generell nach den Empfehlungen der Stiko durchgeführt werden.“ Wer danach eine Indikation hat, sollte sich impfen lassen. Das seien derzeit Personen ab 70 Jahren, Menschen mit Immundefizienz, Pflegeheimbewohner und Personal in medizinischen Einrichtungen und Pflegeeinrichtungen. Der empfohlene Mindestabstand zur dritten Impfung ist drei Monate, bei den Letztgenannten sechs Monate.
Die Menschen seien inzwischen über das Impfen weitgehend aufgeklärt, so Husemann: „Wer die Impfung dreimal gut vertragen hat, wird dies höchstwahrscheinlich auch ein viertes Mal. Die meisten haben meiner Erfahrung nach bei der vierten Impfung so gut wie keine Fragen mehr.“
Impfen geht auch im Cardiologicum weiter
Momentan werden in Einzelfällen auch über 60-Jährige schon ein viertes Mal geimpft. Husemanns Kollegen wie Dr. Björn Parey in Volksdorf oder auch die Impfärzte im Cardiologicum in Wandsbek impfen nach vorheriger Absprache mit den Kandidaten deutlich Jüngere, auch ab 18 Jahren bereits. Husemann sagt: „Möglich ist auch, dass es im Herbst auf die Omikron-Variante abgestimmte Impfstoffe gibt, das kann die Empfehlungen dann noch einmal komplett ändern.“
Das Impfen in den Hausarztpraxen kann ihrer Ansicht nach tatsächlich zur Routine werden. Gesicherte und allgemeingültige Daten zur Wirksamkeit und zur Dauer der Immunisierung gibt es aber noch nicht. Die große Unbekannte ist dazu die Frage nach der Art des Virus im Herbst. Husemann sagt: „Es könnte tatsächlich sein, dass eine fünfte Impfung notwendig ist, vor allem wenn es bis dahin einen auf die dann zirkulierende Variante angepassten Impfstoff gibt.“
Intensivstationen dank Impfungen nicht so stark belastet
Der Kommunikation in der Politik stellt Hamburgs Ärztevertreterin kein gutes Zeugnis aus. „Die Öffentlichkeit und die Beschäftigten im Gesundheitswesen müssten einfacher und transparenter informiert werden.“ Sie fordert eine „durchdachte und auf individuelle Gruppen ausgerichtete Aufklärungskampagne sowohl zu Corona und den Infektionswegen als auch zum Impfen“.
Prof. Stefan Kluge, Leiter der UKE-Intensivmedizin, betont die Bedeutung der Impfungen: „Ohne die schnelle Verfügbarkeit von Impfstoffen gegen Sars-CoV-2 wäre die Pandemie deutlich schlechter verlaufen. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass insbesondere mit der Delta-Variante sehr viele ungeimpfte Menschen mit Covid-19 auf Intensivstationen gestorben sind. Und man kann es nicht oft genug sagen: Das Risiko für einen schweren Verlauf steigt mit dem Lebensalter.“ Er wolle auch gern drei häufige Missverständnisse klarstellen, sagt Kluge: „1. Die Impfstoffe schützen sehr gut gegen schwere Krankheitsverläufe, aber eben nicht zu 100 Prozent. Insofern können trotz Impfung Einzelne einen schweren Verlauf erleiden, das Risiko ist als ungeimpfte Person aber immer deutlich höher. 2. Die Impfstoffe schützen vor allem bei den derzeitigen hochinfektiösen Varianten nicht gut vor einer Infektionsübertragung. 3. Es gibt auch sehr selten Nebenwirkungen durch die Impfung, die Vorteile überwiegen aber in allen Altersgruppen.“
Prof. Marylyn Addo, leitende Infektiologin am UKE, plädiert ebenfalls eindringlich für einen ausreichenden Impfschutz: „Auf dem Boden der derzeitigen Evidenz und gemäß der Stiko-Empfehlung wird ein optimaler Schutz vor schweren Covid-19-Verläufen in der Allgemeinbevölkerung erst mit drei Impfungen erreicht. Da der Impfschutz bei älteren Personen oder Personen mit Immundefizienz schneller abnimmt, sollen diese Personengruppen prioritär auch eine vierte Impfung erhalten. Bei jüngeren immunkompetenten Menschen ist dies nach jetzigem Stand nicht empfohlen.“
Anteil der Omikron-Variante BA.5 in Hamburg bei sieben Prozent
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach empfiehlt die vierte Impfung allerdings schon ab 60 Jahren. Addo sagt dazu, es würden immer wieder neue Studienergebnisse publiziert, daher änderten sich auch die Empfehlungen im Verlauf der Pandemie. „Es gibt in der Tat derzeit eine ganz klare Empfehlung der vierten Impfung für Menschen ab 70 Jahren, aber auch unabhängig vom Alter für Menschen mit einer Immunschwäche. Neuere Daten aus Israel zeigen auch bei über 60-Jährigen mit der vierten Impfung einen verbesserten Schutz gegen Covid-19, schwere Erkrankung und Tod in dieser Risikogruppe, allerdings ist der Beobachtungszeitraum noch relativ kurz. Daher ist derzeit noch unklar, wie nachhaltig der Effekt ist.“
Eine gewisse Unsicherheit bringen jedoch die neuen Omikron-Varianten. Laut Stefan Kluge können neue Virusvarianten den Schutz vor Erkrankung durch die Impfung ungünstig beeinflussen. „Es ist allerdings derzeit nicht davon auszugehen, dass eine Variante auftritt, bei der die bisherigen Impfstoffe überhaupt nicht mehr wirken.“ Laut Gesundheitsbehörde liegt der Anteil der Omikron-Varianten in Hamburg noch im einstelligen Bereich – bei BA.4 bei 2,6 Prozent, bei BA.5 bei 7,0 Prozent (Daten der vergangenen Woche).
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Corona-Regeln: Das gilt jetzt in den Schulen
Addo weist darauf hin, dass sich das Virus zuletzt häufig verändert hat. „Inwiefern in Zukunft angepasste Varianten-Impfstoffe nötig sein werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt daher noch nicht abschließend geklärt. Die verfügbaren Impfstoffe haben weiterhin eine hohe Schutzwirkung gegen schwere Verläufe, auch bei den derzeit zirkulierenden hochinfektiösen Varianten. Das sehen wir ja auch deutlich an den niedrigen Hospitalisierungsraten und reduzierten Todesfällen, trotz des weiterhin aktiven Infektionsgeschehens.“ Risikogruppen sollten eine vierte Impfung nicht hinauszögern.
An Hamburgs Schulen fällt indes von Montag an das Angebot freiwilliger Schnelltestungen weg. Das lasse die positive Entwicklung der Infektionslage zu, hieß es dazu am Freitag aus der Behörde. Hamburg folge damit dem Beispiel aller anderen Bundesländer, die mit dem Auslaufen der Testangebote keinerlei schlechte Erfahrungen gemacht hätten. Zudem sollen die Luftfiltergeräte schrittweise abgeschaltet werden. Längere und häufigere Lüftungszeiten seien in der warmen Jahreszeit problemlos möglich, so die Schulbehörde. Das regelmäßige Stoß- und Querlüften der Unterrichtsräume bleibe verpflichtend bestehen.
Das Personal der Schule könne zur Absicherung des Regelbetriebes weiterhin zweimal pro Woche einen Schnelltest aus schulischen Beständen erhalten. Darüber hinaus sollen den Schulen in der Hansestadt rund zwei Millionen Schnelltests zur Verfügung gestellt werden, für den Fall, dass Testungen kurzfristig wieder notwendig sein sollten, hieß es. „Die Schulbehörde und Gesundheitsbehörde beobachten die Entwicklung der Infektionslage fortlaufend“, sagte ein Sprecher. So könnten zum Beispiel zu Beginn des neuen Schuljahres oder der kälteren Jahreszeit alle erprobten Maßnahmen zügig wieder eingeführt werden.