Hamburg. Nur noch 100.000 Hamburger beherrschen noch Plattdeutsch. Eine Grundschule will dem nun entgegensteuern.

Ein herzliches „Moin“ gehört zu Hamburg wie die Elbe und das Fischbrötchen. Doch so richtig Plattdeutsch spricht fast niemand mehr. Nur rund 100.000 Hamburgerinnen und Hamburger beherrschen die Regionalsprache noch.

Um junge Plattsnacker auszubilden, wird an der Schule Zollenspieker für Dritt- und Viertklässler ein freiwilliger Plattdeutschkurs angeboten. Einmal in der Woche heißt es dann: Wi snackt Platt. 14 Kinder warten gespannt darauf, dass Lehrerin Regina Lesemann und Plattsnacker Klaus Benszus sie begrüßen. Natürlich auf Platt. Eine Dreiviertelstunde lang singen sie Lieder, basteln, lesen und übersetzen.

Bildung: Wie Hamburger Grundschüler zu Plattsnackern werden

Durch Corona durften lange nur die Viertklässler unterrichtet werden. Endlich können auch die Kinder aus der dritten Klassen wieder teilnehmen. Vom großen Geschwisterkind motiviert, ist sogar eine Zweitklässlerin ist dabei. „Sie wollte unbedingt mitmachen“, sagt Regina Lesemann. In den ländlichen Bezirken Hamburgs wird noch verhältnismäßig viel Platt gesprochen. „Vor allem meine Großeltern sprechen Platt, aber mein Papa auch“, erzählt einer der Schüler. Doch nicht alle Kinder im Kurs der Schule Zollenspieker haben einen plattdeutschen Hintergrund. „Es geht vor allem darum, dass die Kinder mal mit Plattdütsch in Kontakt kommen“, betont Benszus. Der Ehrenamtliche hilft schon seit 2007 an der Schule Zollenspieker als Plattsnacker. Er ist noch mit Plattdeutsch aufgewachsen. Erst in der Schule lernte er Hochdeutsch.

Platt-, auch Niederdeutsch genannt, wird heute oft als Dialekt bezeichnet. „Dabei haben sich Hoch- und Niederdeutsch unabhängig voneinander aus den westgermanischen Sprachen entwickelt“, erklärt Prof. Dr. Ingrid Schröder, Leiterin der Abteilung für niederdeutsche Sprache an der Universität Hamburg. Bis zum 16. Jahrhundert war Plattdeutsch in Norddeutschland in allen Bereichen des Lebens verbreitet: bei der Hanse, im Handel, in der Politik und im Alltag. Doch als die Hanse an Wichtigkeit verlor, breitet sich das im Süden gesprochene Hochdeutsch zunehmend im Norden aus.

Verpflichtung gegen das Aussterben der Sprache

Um das Aussterben der Sprache der Hanse zu verhindern, haben sich Hamburg und die norddeutschen Bundesländer, dazu verpflichtet Plattdeutsch zu schützen und zu fördern. Die „Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen“, die Deutschland 1999 unterzeichnete, bildet dafür den Rahmen. Neben Radiosendungen und Theaterstücken, soll auch in Schulen wieder mehr Platt unterrichtet werden.

2010 führte Hamburg Plattdeutschunterricht an zehn Grundschulen als Wahlfach ein. 2014 wurde an vier weiterführenden Schulen ein Anschlussangebot für die Sprachkurse geschaffen.

Expertin: Aktiver Gebrauch der Sprache wichtig für deren Erhalt

Ein Angebot zu schaffen, das über das Lesen von Gedichten hinausgeht, sei besonders wichtig, betont Prof. Dr. Ingrid Schröder. „Wenn man Schulunterricht nutzen möchte, um die Sprache zu erhalten, dann muss Schulunterricht auch aktiven Sprachgebrauch fördern.“

Obwohl die Kinder der Schule Zollenspieker motiviert und konzentriert sind, hat auch der 45-minütige Kurs seine Grenzen. „Die Schüler gehen hier nicht raus und unterhalten sich weiter auf Platt. Dafür reicht der Unterricht einmal die Woche nicht aus“, berichtet Plattsnacker Benszus. Regina Lesemann und er planen ein Theaterstück auf Platt mit den Kindern und ermöglichen ihnen, an Vorlesewettbewerben teilzunehmen. Jedoch alles aus eigener Initiative. „Es wird auch zu wenig unterstützt. Die Stadt hilft uns gar nicht“, fügt der Ehrenamtliche hinzu.

Immer weniger Kinder interessieren sich für Angebot

Auch Claudia Scholz von der Stadtteilschule Kirchwerder berichtet Ähnliches. Seit sieben Jahren unterrichtet sie Plattdeutsch und sei mit „neugierigen und interessierten Kindern“ gestartet. „Immer nach den Sommerferien, rühre ich die Werbetrommel für Plattdütsch, aber leider werden es immer weniger Kinder, da dieses Angebot freiwillig besucht werden kann und damit dann zwei zusätzliche Stunden auf dem Stundenplan stehen.“ Die Lehrerin wünscht sich, dass Plattdeutsch genauso wie andere Sprachen als Wahlpflichtfach angeboten wird.

Auf Nachfrage berichteten einige Schulen, dass sie kein Plattunterricht mehr anbieten oder dass der Unterricht nie richtig angelaufen sei. An diesen Schulen fehle es an Zeit oder Lehrkräften, doch häufig an der Nachfrage. Besonders an Schulen an denen viele Kinder mit abweichenden Muttersprachen unterrichtet werden, gibt es kaum Kapazitäten, den Kindern neben Hoch- auch Plattdeutsch beizubringen.

Der Pressesprecher der Schulbehörde, Peter Albrecht, betont das Angebot an Niederdeutschunterricht orientiere sich stets an der Nachfrage vonseiten der Eltern und Kindern. „Wenn sich die Nachfrage also erhöht, werden auch entsprechend mehr Angebote geschaffen,“ fügte er hinzu. Der Lehrkräftemangel sei eine fortlaufende Herausforderung für die Schulen. Das Interesse an Plattdeutsch zu wecken liege jedoch in der Verantwortung der Schulen – „wie bei anderen Sprachen auch“, so Albrecht.

Auf den ersten Blick wirkt die Bilanz seit 2010 jedoch recht erfolgreich. Zwischen 2015 und 2018 zeigte sich, dass rund zwei Drittel des geplanten Unterrichts stattfinden konnten. Heute wird noch an zehn der 14 ausgewählten Schulen Plattdeutsch unterrichtet. Jedoch gibt es in Hamburg über 400 Schulen – Plattdeutsch als Sprachkurs wird an unter drei Prozent der Schulen unterrichtet. Ob dadurch die Regionalsprache vor dem Aussterben bewahrt wird, bleibt fraglich.

Ehrenamtliches Engagement

Wo Plattdeutsch unterrichtet wird, geschieht dies mit „mit großer Leidenschaft und wachsendem Vergnügen“, sagt Claudia Scholz von der Stadtteilschule Kirchwerder. Auch an der Schule Zollenspieker kommt der Spaß nicht zu kurz. Diese Woche bleibt am Ende der Stunde noch Zeit für ein kurzes Spiel: „Ecken-Roden“. Die Kinder schleichen auf leisen Sohlen durch das Klassenzimmer, lachen und kichern. Plattdeutsch steht bald wieder für alle Kinder auf dem Stundenplan. Eine weitere Ehrenamtliche kommt dafür einmal pro Woche in die Schule. Dann heißt es für alle Kinder der Schule Zollenspieker ab der ersten Klasse: „Wi snackt Platt.“