Hamburg . Das Hamburgische „Grundgesetz“ feiert am Montag einen runden Geburtstag. Ein Magazin würdigt die vorausschauende Verfassung.
Hamburg hat seit 1952 eine eigene Landesverfassung – und ist damit sehr gut gefahren: Die Verfassung hat sich in ihrer nüchternen und klaren Diktion als klug und vorausschauend erwiesen. Auch, weil sie sich auf die organisationsrechtlichen Grundlagen und damit auf das Wesentliche beschränkt. Zugleich gewährt sie den notwendigen Raum für Modernisierungen und Anpassungen an gesellschaftliche Veränderungen.
In der Präambel sind die Leitmotive und Grundsätze der Verfassung formuliert. Sie informiert über die Beweggründe und Ziele der Verfassungsgeberin, der Hamburgischen Bürgerschaft. Neben der Selbstverpflichtung, zwischen allen Erdteilen und Völkern der Welt zu vermitteln, findet sich die sittliche Pflicht, für Jedermann für das Wohl des Ganzen zu wirken. Die Allgemeinheit wird aufgefordert, in der Not den wirtschaftlich Schwachen zu helfen. Im Jahr 1986, schon vor mehr als 35 Jahren, wurde die Präambel ergänzt um das Staatsziel, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen. 2020 wurde schließlich die Verantwortung dafür eingeführt, die Erderwärmung zu begrenzen.
70 Jahre Landesverfassung in Hamburg
In Artikel 3 heißt es, dass die Freie und Hansestadt Hamburg ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat ist. Daneben wird das Staatsziel hervorgehoben, die rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern und darauf hinzuwirken, dass beide Geschlechter in öffentlich-rechtlichen Beschluss- und Beratungsorganen gleichberechtigt vertreten sind.
Artikel 4 enthält eine zentrale Regelung, wie unsere Stadt organisiert ist und funktionieren kann. Gemäß Absatz 1 werden staatliche und gemeindliche Tätigkeiten nicht getrennt. Der Stadtstaat Hamburg ist also eine Einheitsgemeinde. Zunächst wird in Absatz 2 ausdrücklich das Recht eingeräumt, für verschiedene Gebiete eigene Bezirksämter zu bilden. Diese dürfen übertragene Aufgaben selbstständig erledigen, und die Bezirksversammlungen haben laut Verfassung daran mitzuwirken. Aber die Bezirke sind – anders als die Gemeinden in den Flächenstaaten – keine kommunalen Selbstverwaltungen, sie unterliegen letztlich der Weisung von übergeordneter Stelle.
Magazin erklärt auch Grundsatz der Einheitsgemeinde
Der Grundsatz der Einheitsgemeinde leuchtet insbesondere dort ein, wo Bezirke wie die von Altona, Eimsbüttel und Mitte unmittelbar aufeinandertreffen. Anderswo, in Harburg und Bergedorf, gab es zwischenzeitlich das Bestreben nach Selbstständigkeit, also danach, mehr allein entscheiden zu dürfen. Doch das hat sich nie durchgesetzt.
Der Grundsatz der Einheitsgemeinde erklärt auch, warum der Senat gelegentlich die Entscheidungen der Bezirke – etwa bei Bauvorhaben – an sich zieht und überstimmt. Oder wie es heißt: sein Evokationsrecht nutzt. Das ist meist der Fall, wenn übergreifende städtische Interessen bestehen.
Bis 1996 hatte die Bürgerschaft noch den Status eines „Feierabendparlaments“
Artikel 13 regelt, dass die Abgeordneten der Hamburgischen Bürgerschaft, unseres Landesparlaments, ihr Amt und ihren Beruf vereinbaren können. Das Ergebnis ist eine Art „Teilzeitparlament“.
Ursprünglich hatte die Bürgerschaft den Status eines „Feierabendparlaments“. Es zeigte sich aber, dass dies angesichts der zunehmenden Aufgaben als Gesetzgeber und als Kontrollorgan der Regierung nicht mehr zeitgemäß war. Im Zuge der Verfassungsreform von 1996 kam es nach heftigen politischen Debatten – Berufsparlament als Elfenbeinturm versus Überforderung des Feierabendparlaments – zu einem Kompromiss zwischen Vollzeit- und Feierabendparlament, der nun in der Verfassung festgeschrieben ist.
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Verfassungsreform stärkte die Stellung des Bürgermeisters im Senat
Die große Verfassungsreform von 1996 wurde ausgelöst durch den „Diäten-Skandal“. Damals wollten große Teile der Bürgerschaft trotz ihres Status’ als Feierabendparlament eine Altersversorgung einführen, die der im öffentlichen Dienst entsprochen hätte und deutlich höher gewesen wäre. Es wurde eine Enquete-Kommission eingerichtet. Deren Ergebnisse bewirkten, dass die Verfassung umfangreich geändert wurde: Die Stellung des Ersten Bürgermeisters wurde gestärkt, er erhielt das Recht, die Richtlinien der Politik zu bestimmen. Er darf, wenn im Senat keine Einigkeit besteht, die letzte Entscheidung treffen. Bis dahin hatte er im Senat als „primus inter pares“ gewirkt, als „Erster unter Gleichen“.
Zeitgleich wurden die Rechte des Parlaments, der Abgeordneten wie auch der Opposition gestärkt. Es wurden Elemente der direkten Demokratie und der Volksgesetzgebung eingeführt (Artikel 48 und 50). Später wurde die Volksgesetzgebung in Artikel 50 weiter gestärkt, die Wahlperiode auf fünf Jahre angehoben, die Schuldenbremse eingeführt sowie die Existenz eines Datenschutzbeauftragten verfassungsrechtlich verankert.
Verfassung muss stetig erweitert werden
Bis heute ist die Verfassung mehr als ein sachliches Organisationsstatut. Sie klärt ganz grundsätzlich, wie unser Stadtstaat aufgebaut sein soll. Sie regelt das Verhältnis der staatlichen Gewalten zueinander.
Dieses Festlegen der Kompetenzen und Aufgaben hat sich bewährt. Die Verfassung garantiert die Stabilität unseres Gemeinwesens. Und sie muss sich stetig erweitern. Das zeigt sich daran, dass politische Debatten – etwa zum Klimaschutz, zu den Rechten des Parlaments, zur Gleichstellung oder dem Wunsch nach mehr Bürgerbeteiligung – zu Verfassungsänderungen führen.
Unsere Verfassung gewährleistet, dass wir auf Länderebene in einem demokratischen und sozialen Rechtsstaat leben können. Sie ist stets gemeinsam mit den im Grundgesetz verankerten Grundrechten zu sehen, denn sie verfügt über keinen eigenen Grundrechtskatalog, da sie erst drei Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes am 24. Mai 1949 von der Bürgerschaft beschlossen wurde. Das Grundgesetz enthielt bereits einen umfassenden Grundrechtsteil, und so wurde in Hamburg darauf verzichtet. Die Grundrechte sind aber unmittelbar bedeutsam für jede Hamburgerin und jeden Hamburger und gehören untrennbar zu unserem Rechtsstaat.
Oliver Wurm und Andreas Volleritsch „schenken“ der Hamburger Verfassung ein Magazin
Es gibt viele gute Gründe, die 70 Jahre alte Hamburgische Verfassung mit dem „Blick zurück nach vorn“ zu würdigen, zu feiern und wie auch das Grundgesetz zu verteidigen und mit Leben zu füllen: Insbesondere sollten wir denen entgegentreten, die behaupten, dass wir in einer „Meinungsdiktatur“ lebten. Recht und Verfassung müssen dafür immer wieder kommuniziert und erklärt werden!
Wir müssen für die Teilhabe an Demokratie und Rechtsstaat und damit für unsere Hamburgische Verfassung und unsere Grundrechte werben: in den Schulen, an den Hochschulen, am Arbeitsplatz, in Debatten, bei Freunden und Nachbarn – und wann immer sich eine Gelegenheit bietet. Das Magazin zur Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg leistet dafür einen wichtigen Beitrag.
Der Hamburger Journalist Oliver Wurm und der Designer Andreas Volleritsch machen der Hamburgischen Landesverfassung ein Geschenk: Zu derem 70. Geburtstag – der fällt auf Pfingstmontag – kommt erstmals der vollständige Verfassungstext in einem Magazin-Layout in den Handel. Das opulent bebilderte Heft ist 184 Seiten stark – und als Wendecover angelegt: Zusätzlich zur Hamburgischen Landesverfassung enthält das Magazin auch den vollständigen Text des Grundgesetzes in der aktuellsten Version. Wurm und Volleritsch hatten bereits 2019 das Grundgesetz als Magazin veröffentlicht. Anlass war der 70. Geburtstag der deutschen Verfassung. 2020 erhielt Oliver Wurm für dieses Engagement das Bundesverdienstkreuz.
Grundgesetz-Magazin: Auch Mehmel kommt zu Wort
In dem neuen Magazin findet sich ein Beitrag von Friedrich-Joachim Mehmel. Der war von 2016 bis 2020 Präsident des Hamburgischen Verfassungsgerichts. In dem (folgenden) Artikel appelliert Mehmel, dass „wir für die Teilhabe an Demokratie und Rechtsstaat und damit für die Hamburgische Verfassung und unsere Grundrechte tagtäglich werben müssen“.
Die Hamburgische Landesverfassung ist so etwas wie die rechtsstaatliche Grundlage für unsere Stadt.