Hamburg. Vor knapp drei Monaten nahm Abendblatt-Redakteurin Insa Gall die Ukrainerin Tanya mit ihren Kindern bei sich auf. Ein Zwischenbericht.

Endlich wieder ein Kindergeburtstag bei uns zu Hause. Eine Horde von Mädchen tobt durch die Wohnung – Jana, die Jüngste, in ihrem schönsten Sonntagskleid immer hinterher. Im Garten spielen sie Spiele, danach gibt es Würstchen, Obst und Torte. Unsere eigenen Töchter feiern ihre Geburtstage längst mit Partys oder Grillabenden. Dass jetzt wieder Kinderlärm in die Bude kommt, verdanken wir Rita. Sie ist zehn Jahre alt geworden und lebt seit Mitte März zusammen mit ihrer Mutter Tanya und ihrem Bruder Maksym bei uns. Die Familie ist vor dem Krieg in der Ukraine aus Winnyzja nach Hamburg geflüchtet und versucht, sich hier ein neues Leben aufzubauen.

Auch unser Leben hat sich seither stark verändert. Wir sind nun nicht mehr zu dritt, sondern zu sechst in unserer Wohnung. Oft ist das schön, manchmal auch etwas anstrengend. Während die Kinder beim Geburtstag draußen spielen, kommen ihre Mütter mit uns am Esstisch zusammen. Auch ein Freund von Tanya ist extra aus London angereist. Die Mütter sprechen miteinander Russisch, manche von ihnen können Englisch, mit den anderen verständigen wir uns mit Hand und Fuß. Alle von ihnen besuchen – wie auch Tanya – mittlerweile Deutschkurse. Begegnungen wie diese bereichern uns und eröffnen neue Lebenswelten. Es sind einfach nette Menschen, die wir kennenlernen.

Ukrainische Geflüchtete in Hamburg: Hiobsbotschaft bei der Wohnungssuche

Als Tanya mit ihrer Familie bei uns einzog, hatten wir geglaubt, der Krieg werde schnell beendet sein, vielleicht innerhalb weniger Monate. Jetzt wissen wir, dass es wohl eine Langstrecke wird – auch wegen der couragierten und überraschend erfolgreichen Gegenwehr der ukrainischen Armee. Uns war klar, dass wir für Tanya und ihre Familie – ihr Mann ist noch in der Ukraine, muss aber nicht kämpfen – eine Wohnung suchen mussten.

Alles schien ganz schnell zu gehen: Eine Bekannte aus dem Stadtteil bot großzügigerweise eine Dreizimmerwohnung bei uns in der Nachbarschaft auf der Uhlenhorst an. Sie ist bereit, für ein Jahr den vergünstigten Satz zu akzeptieren, den das Sozialamt bezahlt, obwohl sie ihre Wohnung eigentlich teurer vermieten könnte. Leser und Leserinnen meldeten sich und stellten Möbel bereit, Tanya richtete ihr neues Zuhause im Geiste schon ein. Wir überlegten gemeinsam, wie der Umzug über die Bühne zu bringen ist, auch ein Freiwilliger bot seine Unterstützung beim Transport an.

Doch dann die Hiobsbotschaft eine Woche vor dem geplanten Termin: Wegen Feuchtigkeitsschäden muss die Wohnung zunächst saniert werden, das sollte zwei bis drei Monate dauern. In einigen Wochen dürfte es nun so weit sein, dass die Ukrainer ihre eigene Wohnung beziehen.

Rita genießt die Zeit in der Grundschule

Erst einmal aber war Tanya enttäuscht, und wir waren es auch. Für ein paar Tage hing die Stimmung etwas durch, dann fingen wir uns alle wieder. Der Alltag hat sich ja auch längst eingespielt. Rita fühlt sich in der Grundschule auf der Uhlenhorst sehr wohl, hier wurde eigens eine Klasse für ukrainische Kinder eingerichtet mit einer ukrainischen Lehrerin.

Die Zehnjährige hat aber auch schon deutsche Freundinnen gefunden, denn nachmittags mischen sich die Gruppen. Eines der Mädchen holt sie jeden Morgen auf dem Weg zur Schule ab. Zum Geburtstag bekommt Rita ein schönes gebrauchtes Fahrrad, das wir im Internet entdeckt haben. Vor allem mein Mann begleitet unsere Gäste bei Behördengängen.

Weniger Geflüchtete aus Ukraine kommen in Hamburg an

Tanya lernt engagiert Deutsch, sie möchte hier Fuß fassen und kann schon eine ganze Reihe von Wörtern und Sätzen. Schwierige Begriffe oder solche, die viel im Alltag auftauchen, schreiben wir manchmal an eine Tafel, die bei uns in der Küche hängt. Tanya kocht weiterhin viel – die Kücheninsel steht voll mit ihren Vorräten.

Immer noch kommen Flüchtlinge aus der Ukraine an, sie fliehen vielfach nicht mehr vor dem Krieg, sondern aus dem Krieg in den sicheren Hafen Hamburg. Aber es sind weniger geworden, etwa 100 Menschen am Tag, schätzt die Innenbehörde. Der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) hat deshalb seinen Welcome Point am Hauptbahnhof wieder geschlossen.

Für die Neuankömmlinge ist auch vor­übergehende Unterstützung eine große Hilfe. So wie für die Freundin einer Freundin von Tanya, die sich jetzt aus der Ukra­ine auf den Weg machte. Sie ist bei einer reizenden älteren Abendblatt-Leserin untergekommen. Die Seniorin aus Hummelsbüttel, deren Mann vor einigen Jahren gestorben ist, hatte sich an das Abendblatt gewandt und um Vermittlung gebeten.

Sie erinnert sich noch an ihre eigene Flucht in der Kindheit, an die schweren Jahre, die dann folgten. Tanyas Freundin wusste von zwei Bekannten, die nach Hamburg kommen wollten. Ihre Reise wurde dank der Abendblatt-Leserin nicht zu einer Fahrt ins Ungewisse. Die Dame erwartete die beiden Ukrainerinnen und ihre zwei Kinder nach deren Ankunft daheim bereits mit einem Frühstück, jetzt leben sie im ersten Stock ihres Hauses – und sind sehr dankbar für den guten Start.

Geflüchtete benötigen langfristige Perspektive

Die meisten der zwischen 20.000 und 21.000 Geflüchteten aus der Ukraine in der Hansestadt leben bei Bekannten oder privaten Gastgebern wie uns. Rund 8200 Schutzsuchende sind noch öffentlich untergebracht, heißt es aus der Sozialbehörde, also in Flüchtlingsunterkünften und Containerdörfern.

Die Flüchtlinge brauchen inzwischen eine langfristige und nicht mehr nur eine Übergangslösung. Überhaupt: Wer jemanden bei sich zu Hause aufnimmt, das ist unsere Erfahrung, sollte das Ende mitbedenken. Sich also fragen, welche Perspektive es nach ein paar Monaten gibt. Das kann sicherlich kein Zurück ins Containerdorf sein, sondern nur eine eigene Wohnung für die Geflüchteten. Aber die sind nicht ganz einfach zu finden. Eine Freundin von Tanya sucht händeringend, verfolgt alle erschwinglichen Angebote und bewirbt sich um Wohnung nach Wohnung. Doch den Zuschlag bekommt sie nie.

Je länger der Krieg dauert, desto mehr richten sich die meisten Geflüchteten dauerhaft hier ein – manche von ihnen vielleicht auch für immer. Aber wie ist ihre Perspektive? Sie haben als Kriegsflüchtlinge einen Aufenthaltstitel für ein Jahr erhalten, der sich automatisch zweimal um jeweils sechs Monate verlängert – also bis März 2024. Arbeiten dürfen sie auch. Sollte der Krieg irgendwann vorbei sein, können sie auch einen anderen Aufenthaltstitel beantragen. Dann zählt es, gut ausgebildet zu sein, sich um einen Studienplatz zu bewerben, einen Job zu haben oder zumindest einen in Aussicht.

Und natürlich, gut Deutsch zu sprechen. Tanya lernt jeden Tag.