Hamburg. Doch häufig fehlen deutsche Sprachkenntnisse. Jobcenter soll bei Integration helfen. Zahl der Arbeitslosen sinkt deutlich.

Am 23. Februar arbeitete Olha Odarchuk bis neun Uhr abends in ihrer Zahnarztpraxis in Kiew. Am nächsten Tag begann Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. „Gerne würde ich sofort wieder meine Arbeit aufnehmen“, sagt die Zahnärztin, die zunächst mit ihren beiden Kindern in das Umland von Kiew und dann nach Deutschland flüchtete. Einen Tag lang hat sie bereits ein Praktikum in einer Zahnarztpraxis in Bergedorf gemacht. Aber natürlich muss sie für ihre Arbeit zunächst einmal die deutsche Sprache gut lernen. Ihr Mann dient in der sogenannten Territorialverteidigung von Kiew.

Odarchuk will sich erstmal auf das Erlernen der Sprache konzentrieren

Odarchuk ist eine der ersten Ukrainerinnen, die im Jobcenter Hamburg regis­triert wurden, was die Integration in den Hamburger Arbeitsmarkt erleichtern soll. Offiziell haben alle ukrainischen Flüchtlinge vom 1. Juni an auf die Betreuung durch das Jobcenter und die Grundsicherung (Hartz IV) Anspruch. Sie müssen kein langwieriges Asylverfahren durchlaufen. „Für die Geflüchteten aus der Ukraine erhöht sich durch den Übergang vom Asylbewerberleistungsgesetz in die Grundsicherung die Höhe des Regelsatzes, und es werden die tatsächlichen Kosten für die Unterkunft übernommen. Zusätzlich werden die Menschen in die gesetzliche Krankenkasse aufgenommen“, sagt Dirk Heyden, Geschäftsführer des Jobcenters.

Odarchuk will sich jetzt erst einmal auf das Erlernen der deutschen Sprache in einem Integrationskurs konzentrieren, der neun Monate dauert. Ihre beiden Kinder gehen bereits in die Schule. Vom Jobcenter erhofft sie sich vor allem Unterstützung bei der Übersetzung und der Anerkennung ihres medizinischen Abschlusses. Während das Verfahren für viele Berufe erleichtert wurde und die erworbenen Fertigkeiten auf einer Selbsteinschätzung beruhen, gelten für Berufe wie Arzt oder Anwalt strengere Regelungen.

Ukrainer, die neu nach Hamburg kommen, können sich beim Jobcenter melden

Auch Irina Shevchenko, die zusammen mit ihrer Tochter und ihrer Mutter nach Hamburg flüchtete, kann nicht sofort in ihren Beruf wieder einsteigen. Sie ist Journalistin. „Auch wenn ich Deutsch lerne, weiß ich, dass ich wahrscheinlich nicht in diesem Beruf arbeiten kann, aber ich bin offen für andere Bereiche“, sagt Shevchenko. Denn sie hat auch ein wirtschaftswissenschaftliches Studium absolviert. „Tätigkeiten mit Mathematik würden mich sehr interessieren“, sagt sie.

Das Jobcenter in Hamburg rechnet in den nächsten Wochen damit, etwa 10.000 sogenannte ukrainische Bedarfsgemeinschaften mit insgesamt 17.000 Menschen zu registrieren. Für alle, die vor dem 1. Juni erfasst worden sind, gilt für die rechtzeitige Antragstellung eine Übergangsfrist bis zum 31. August 2022. Bis dahin haben sie Zeit, sich bei ihrem regionalen Jobcenter zu melden. Die höheren Leistungen erhalten die Betroffenen auch rückwirkend. Ukrainer, die jetzt neu nach Hamburg kommen, können sich gleich beim Jobcenter melden.

Jobcenter hilft beim Eintritt in den Arbeits- oder Ausbildungsmarkt

Das Jobcenter unterstützt die ukrainischen Flüchtlinge beim Eintritt in den Arbeits- oder Ausbildungsmarkt. In einem ersten Schritt erhalten sie Hilfe bei der Suche nach einer Kinderbetreuung, beim Spracherwerb sowie bei der Anerkennung von ukrainischen Schul- und Berufsabschlüssen. Danach sind Unterstützung bei der Vermittlung in Beschäftigung, Qualifizierung und Weiterbildung möglich. „Unser Ziel ist es, die Betroffenen entsprechend ihrer Qualifikation zu beschäftigen“, sagt Heyden. „Denn nach unseren Erfahrungen waren fast alle vorher berufstätig. Aber das Erlernen der deutschen Sprache ist die Voraussetzung für einen erfolgreichen Start in den Hamburger Arbeitsmarkt.“

Noch sind die Voraussetzungen dafür günstig. Mit 69.803 Jobsuchenden im Mai wurde der niedrigste Stand seit Beginn der Corona-Pandemie bei der Arbeitslosigkeit erreicht. Im Vergleich zum Vormonat gibt es insgesamt 1000 Arbeitslose weniger – und im Jahresvergleich sank ihre Zahl um knapp 17 Prozent. Das entspricht einem Rückgang von fast 14.100.

Sönke Fock: Hamburger Arbeitsmarkt zeigt sich stabil

„Der Hamburger Arbeitsmarkt zeigt sich trotz der großen Herausforderungen durch den Angriff auf die Ukraine und den damit verbundenen wirtschaftlichen Folgen für Deutschland weiterhin stabil“, sagt Sönke Fock, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit. Die Arbeitslosenquote liegt bei 6,5 Prozent. „Die Gesamtbeschäftigung steigt, die Arbeitslosigkeit sinkt, und die Arbeitskräftenachfrage bleibt hoch“, ergänzt Fock. Konsum­zurückhaltung, steigende Inflation, ab­geschwächte Konjunkturprognosen und Materialengpässe hätten noch keinen Einfluss auf die Gesamtbeschäftigung. Denn innerhalb eines Jahres nahm die Beschäftigung in Hamburg um 24.200 sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu.

Allein das von der Corona-Pandemie gebeutelte Gastgewerbe baute innerhalb eines Jahres 1700 neue Stellen auf. In den Branchen Information und Kommunikation wurden 4200 neue Stellen geschaffen, im Gesundheitswesen entstanden 2300 weitere Arbeitsplätze. Mit 1.032.800 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten wurde in der Hansestadt ein neuer Rekord erreicht. In Hamburg gibt es aktuell bei der Arbeitsagentur rund 12.800 regis­trierte freie Arbeitsplätze. Rund jeweils 20 Prozent der freien Stellen entfallen auf Industriearbeitsplätze und Jobs in den Bereichen Logistik und Sicherheit.

Gegenwärtig gibt es in Hamburg 128.400 Arbeitssuchende

Doch wie wird sich der Hamburger Arbeitsmarkt in den nächsten Monaten entwickeln, wenn immer mehr Ukrainer in den Jobcentern registriert werden? „Wir erwarten erheblich mehr Arbeitsuchende, die in den Arbeitsmarktstatistiken sichtbar werden“, sagt Fock. Bereits im Mai sei die Anzahl der arbeitssuchenden Ukra­inerinnen und Ukrainer um 2519 auf insgesamt 2995 angestiegen.

Doch die Zahl der offiziellen Arbeits­losen in Hamburg wird sich dadurch nicht gleich erhöhen, weil als arbeitslos nur gilt, wer unmittelbar eine neue Tätigkeit aufnehmen kann. Wer aber Sprachkurse oder Qualifikationen absolviert, ist offiziell arbeitssuchend. Gegenwärtig gibt es in Hamburg 128.400 Arbeitssuchende, das sind 1423 Personen mehr als im April. In der Zahl der Arbeitssuchenden sind die offiziell Arbeitslosen bereits enthalten.