Hamburg. Am Marienkrankenhaus in Hohenfelde werden Praxis und Klinik zusammengebracht. Konzipiert wurde das neue Modell mit Lego-Steinen.
Notaufnahme neu gedacht: Hamburgs niedergelassene Ärzte und das Katholische Marienkrankenhaus in Hohenfelde gehen einen völlig neuen, gewagten Weg. Sie denken medizinische Notfälle von den Patientinnen und Patienten her. Das klingt selbstverständlich, war und ist es im deutschen Gesundheitssystem aber nicht. Und weil das neue Integrierte Notfall Zentrum (INZ) Praxis und Klinik zusammenbringt, wurde es auf ungewöhnlichem Weg konzipiert: mit Lego-Bausteinen und Figuren.
Der Chefarzt im Zentrum für Notfall- und Akutmedizin am Marienkrankenhaus, Dr. Michael Wünning, sagte: „Wir haben uns die Notaufnahme mit Lego nachgebaut und gefragt. Was ist mit einem Patienten, der morgens um 11 Uhr mit Bauchschmerzen kommt? Der ist vielleicht nicht lebensbedrohlich, aber akut erkrankt.“ Möglicherweise habe der Patient keinen Hausarzt – und ist einfach in die Notaufnahme der Klinik gekommen wie jeder zweite Patient dort, der eigentlich zum ärztlichen Notdienst könnte, wie Marienkrankenhaus-Geschäftsführer Christoph Schmitz sagte. Zwischen 2009 und 2019, so Schmitz, sei die Zahl der Patienten in den Notaufnahmen der Krankenhäuser nach einer Studie um 50 Prozent gestiegen.
Notaufnahme Hamburg: Krankenhaus und Praxen vereint
Wünning sagte, im neuen INZ sei der Weg jetzt so: Am Tresen prüft ein Mitarbeiter der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) mithilfe einer Software namens „SmED Kontakt +“ und einem Abfrage-Algorithmus, was nun mit dem Patienten geschehen soll. Muss er sofort in die Notaufnahme des Marienkrankenhauses? „Reicht“ die Notfallpraxis der Kassenärzte eine Tür weiter? Kann man ihm für denselben Tag einen Termin bei einem Haus- oder Facharzt in der Nähe vermitteln? Oder braucht er nur eine Telefonberatung eines Arztes für seine Beschwerden?
Diese neue „Denke“ spart Zeit, Geld und Personal. Der Patient muss nicht – wie es in Notaufnahmen Alltag ist –stundenlang warten, bis er einen Arzt sieht. Denn üblicherweise kommen immer wieder noch schwerwiegendere Notfälle dazwischen, ehe er drankommt. Und obwohl Marienkrankenhaus-Geschäftsführer Schmitz zugibt, dass die Hälfte der stationären Patienten über die Notaufnahme kommen, hält auch er es für sinnvoller, dass Patienten den zumeist passenderen Weg zum Facharzt gehen. Denn dann haben auch Klinik-Ärzte und Pflegepersonal mehr Zeit für eilige Notfälle wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle.
Neues Notfall Zentrum – Arztruf 116 117 bleibt
40 Ärzte der KV sind insgesamt im Notdienst tätig. KV-Vize Caroline Roos sagte, es gebe genügend Kapazitäten für die runderneuerte Notfallpraxis am Marienkrankenhaus, sodass man bei Bedarf nachsteuern könnte. Der als Praxisarzt und häufig im Notruf 116 117 tätige Allgemeinmediziner Dr. Björn Parey sagte, wer mit Hexenschuss ins neue INZ komme, belaste nicht mehr die Notaufnahme und könne vor Ort an einen Orthopäden und möglicherweise Physiotherapeuten weiterverwiesen werden.
Das INZ ist an allen Tagen des Jahres rund um die Uhr geöffnet. Es soll allerdings nicht die Praxen ersetzen, die wie gewohnt das Gros aller medizinischen Behandlungen in Hamburg abdecken. Der Arztruf 116 117 wird für die meisten akut erkrankten Patienten die erste Anlaufstelle bleiben. Die Praxisärzte haben bereits am UKE eine ähnliche Einrichtung zusätzlich zu den Notfallambulanzen am Bundeswehrkrankenhaus in Wandsbek, in Altona (Stresemannstraße) und am AK Harburg.
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Dass es für das Modell INZ in Hamburg gar keine richtige gesetzliche Grundlage gibt, sagte Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) ganz offen. Es gebe einen „Referentenentwurf“, den der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nicht zu Ende gebracht habe, sprich: in den Bundestag. Leonhard sagte: „Hinter den ständig steigenden Zahlen in den Notaufnahmen verbirgt sich ein Mensch an der falschen Stelle.“ Die Patienten dort seien oft „akut, aber nicht notfällig“ erkrankt.
Notfallmediziner Wünning meinte: „Den Patienten die Angst zu nehmen, ist schon ein Teil der Therapie. Hier finden wir Lösungen. Vom Lego-Modell in die Wirklichkeit in unter zwei Jahren – das ist schon gut.“