Hamburg. Der Vollhöfner Wald sollte eigentlich gerodet werden – doch die Natur entfaltet sich dort wild weiter. Im Juni gibt es eine Führung.
Der Wald hat diese vielen frischen Grüntöne, die es nur im Frühling in so zahlreichen Variationen gibt. Der Vollhöfner Wald in Altenwerder strotzt gerade nur so vor Saft, als wolle er zeigen, wie viel Kraft in dieser Fläche steckt, der die Stadt vor drei Jahren den Garaus machen wollte. Vom Baumhaus, das vor knapp drei Jahren hier stand, und das den Besetzern als Behausung diente, ist nur noch eine Kette an einem Baum übrig. Und vom Klo, das sie damals bauten, gibt es noch den Dachunterstand.
Als im Herbst 2019 Menschen sogar aus ganz Deutschland anreisten, um – angelehnt an die Proteste im Hambacher Forst (NRW) – Bäume zu besetzen, hatte die Hafenbehörde Hamburg Port Authority (HPA) als Eigentümerin der Fläche das Betreten untersagt. Um gegen eine geplante Rodung zu demonstrieren, hatten die Umweltschützer Mitte Oktober das Baumhaus errichtet und den Wald für besetzt erklärt, ehe er schließlich von der Polizei geräumt wurde.
Natur Hamburg: Führung durch Vollhöfner Wald geplant
Das damalige Betretungsverbot ist längst wieder aufgehoben, um den Vollhöfner Wald ist es wieder still geworden. Beim Langen Tag der Stadtnatur, bei dem am 18. und 19. Juni 2022 in diesem Jahr das „Wunder Wald“ im Mittelpunkt steht, gibt es wieder mehr als 200 Veranstaltungen – eine Führung durch den Vollhöfner Wald ist eine davon.
Jan Mewes und Petra Denkinger, die beide im nahe gelegenen Finkenwerder leben, führen Interessierte durch den „Völli“. Die beiden Naturschützer engagieren sich schon seit Jahren in der „Klimaschutzinitiative Vollhöfner Wald“ für den Erhalt dieses ganz speziellen Fleckens Natur, der sich zwischen der Straße Vollhöfner Weiden und der Süderelbe auf etwa 45 bis 55 Hektar (es gibt unterschiedliche Zählweisen) gen Westen ausdehnt.
Bäume und Pflanzen seit 60 Jahren natürlich gewachsen
„Das hier ist kein Forst, sondern ein Naturwald, eine Perle, die sich selbst regelt. Hier war früher eine Spülfläche, da ist nichts gepflanzt worden. Jeder Baum, jede Pflanze, ist hier seit 60 Jahren natürlich aufgewachsen“, sagt Jan Mewes. Die Natur könne sich seither ungehindert entfalten. 30 Baumarten wie Silberweiden, Stileichen, Espen, Bergahorn, Spitzahorn, Birken, Robinien, Silberpappeln gibt es seinen Angaben zufolge inzwischen, außerdem unterschiedlichste Sträucher wie Sanddorn oder Weißdorn.
Etwa 50 Brutvogelarten haben er und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter schon gezählt, dazu etwa zehn Fledermausarten, aber auch Füchse und Wildschweine. Deren Spuren sind auf dem Boden unübersehbar, aber „ich habe noch nie eines zu Gesicht bekommen“, sagt der Biologe Mewes, der als Grundschullehrer arbeitet. Lange habe die Waldfläche gar keinen Namen gehabt, aber den Bewohnern von Finkenwerder, Francop und Moorburg als Naherholungsgebiet gedient, weiß Mewes.
Der Wald sollte für den Bau von Lagerhallen weichen
2015 sei das Gebiet südlich des Aluminiumwerks vom Hafengebiet zum Hafennutzungsgebiet erklärt worden, mit dem Ziel, die Fläche zu roden, sagt Petra Denkinger, promovierte Biologin. „Man wollte Logistikhallen bauen. „2019 gab es Baugrunduntersuchungen und Bohrungen. Damals wurden dann viele Naturschutzverbände aktiv.“ Die Initiative organisierte damals sonntägliche Waldspaziergänge, um auf die Bedeutung der Fläche aufmerksam zu machen.
„Es ist politisch brisant, intakte Naturwälder zu roden. Man kann so etwas nicht pflanzen, sondern so etwas passiert, da entsteht eine ungewöhnliche Artenvielfalt“, sagt Jan Mewes. Deshalb könne man auch nicht einfach Ausgleichsflächen schaffen: „Man kann so einen Wald nicht woanders hinbauen.“ Der Vollhöfner Wald speichere 550 Tonnen CO2 pro Jahr, „und er kühlt auch die Umgebung“, weist Mewes auf die Bedeutung der Fläche für Hamburg hin.
Natur Hamburg: Aus Sämlingen können große Bäume werden
Am Waldrand wachsen zahllose kleine Sämlinge – sehr kleine Bäumchen, manche nicht höher als zwei Handbreit. Mewes zeigt auf einen kleinen Feldahornsämling: „Wenn man ihn lässt und ihn niemand kaputt tritt, wächst er weiter, dann wird der Wald wieder fünf Meter breiter“, so Mewes. Ein kleiner Wirtschaftsweg führt am Waldrand entlang, weiter drinnen gibt es nur noch kleine Trampelpfade. Dafür teilweise hüfthohe Gräser, Brennnesseln, Himbeerstauden, sogar Stachelbeeren. Im Sommer seien diese Pflanzen dann teilweise zwei Meter hoch, sagt der 56-Jährige, dann sei kein Durchkommen mehr.
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Mewes sammelt auf den kleinen Trampelpfaden Schnecken ein, damit niemand versehentlich drauftritt. Es sind Gefleckte Schnirkelschnecken und Hain-Schnirkelschnecken. Sie seien wichtig, denn sie zersetzten die Biomasse. „Manchmal kriechen sie auf die Bäume hoch, dann sieht es aus, als seien die Stämme mit Edelsteinen besetzt“, schwärmt der Naturschützer. Durch die Bäume und Büsche schimmert die Süderelbe durch. Dort sei das Laichgebiet für eine der größten Erdkrötenpopulationen. „An jeder Ecke ist hier für alle etwas dabei, es gibt ganz viele Höhlen in den Bäumen für Vögel und Fledermäuse.“ Für Jan Mewes und Petra Denkinger steht fest: „Der Vollhöfner Wald bleibt, der kommt nicht weg.“ Dafür sei er viel zu wertvoll.
„Walderlebnis Völli erleben“, So, 19. Juni, 11 bis 14 Uhr, Anmeldung erforderlich. Anfahrt: 146, 250 oder 251 bis Dradenauer Deichweg oder „Hafenbahnhof Alter Süderelbe“. Teilnahme kostenlos, Spende erbeten. Alle weiteren Veranstaltungen des Langen Tags der Stadtnatur gibt es unter tagderstadtnaturhamburg.de.