Zu Gast im Podcast „Check-in“: Markus Musser spricht mit Berndt Röttger über den Wald, den Airport und echte Nachhaltigkeit.
Er hat nicht die schnellen Flugzeuge im Blick, sondern langsam wachsende Bäume: Markus Musser ist Förster des Hamburger Flughafens. Ein Gespräch über wahre Nachhaltigkeit, Klimawandel, das Leben aus dem Wald – und Demut.
Was bitte macht ein Förster beim Hamburger Flughafen?
Markus Musser Ja, das ist tatsächlich eine gute Frage. Ich hätte sie vor 20 Jahren auch nicht so ohne Weiteres beantworten können. Seit der Zeit bin ich am Flughafen. Ich habe als Student auf dem Außengelände des Airports bei Kaltenkirchen begonnen.
Wo ein neuer Flughafen entstehen sollte.
Ja, und da diese Planungen nicht realisiert wurden, haben wir heute dort noch das Nutzungsgefüge von Land und Wald und Wasser und Moor. Und ich habe die Aufgabe, das zu betreuen und zu bewirtschaften.
Wie kommt man auf die Idee, sich als Förster bei einem Flughafen zu bewerben?
Mich hat meine Diplomarbeit nach Hamburg geführt. Unser Professor war sehr zukunftsorientiert, und so habe ich vor 20 Jahren gemeinsam mit einem Kommilitonen meine Diplomarbeit am Hamburger Airport darüber geschrieben, wie es möglich ist, die Emissionen am Airport durch wachsende Bäume in Kaltenkirchen zu kompensieren.
Haben Sie eine Ahnung, wie viele Bäume zu Ihrem Wald gehören?
Eine Baumzählung gibt es in unserem Wald nicht. Aber ich habe einmal zusammengerechnet, wie viele Bäume ich in den vergangenen 20 Jahren habe pflanzen lassen: mehr als 1 Million.
Achten Sie auf einen besonderen Mix bei den Anpflanzungen?
Ja, wir Förster schauen uns an: Wie ist der Boden beschaffen? Welche Bedingungen hat die Pflanze, um zu wachsen? Und welche klimatischen Bedingungen haben wir an dem Ort? Wie verteilen sich die Temperaturen über das Jahr – und wie entwickeln sie sich? Dabei schauen wir natürlich auch auf die langfristige Entwicklung und jahrzehntelange Erfahrung zurück. Wir haben uns 2019 die Klimadaten unserer Wälder genauer angeschaut und festgestellt, dass in den vergangenen zehn Jahren die Durchschnittstemperaturen um 1,4 Grad wärmer waren als in der Periode davor. Das verändert den Wald deutlich. Die Verhältnisse zwischen Baumarten, aber auch Pilzen, die essenziell für das Wachstum sind, verändern sich. Und wir haben den Eindruck, dass die Anpassungsmechanismen, die genetisch hinterlegt sind, bei vielen Pflanzenarten einfach nicht mehr ausreichen, um sich so schnell anzupassen. Von daher schauen wir Förster, dass wir geeignete Pflanzen für zukünftige Witterungsverhältnisse finden.
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Also Palme statt Eiche?
Ja. Ganz überspitzt gesagt kann man das tatsächlich sagen. Wir setzen da nicht komplett auf neue Baumarten. Aber wir pflanzen heute zum Beispiel im Norden Bäume, die wir bisher im Rheinland gefunden haben. Wichtig ist, dass wir Bäume nehmen, die nicht zu früh austreiben, denn wir haben hier auf der Geest noch recht späte Frostlagen.
Wie lange dauert es, bis so ein Baum eine stattliche Größe erreicht hat?
Wir pflanzen in der Regel Bäume an, die aus der Baumschule stammen. Die sind zwischen einem und zwei Jahre alt. Sie müssen sich vorstellen: Wenn in einem Hektar Buchenwald die Bucheckern fallen, dann entstehen zunächst mehr als 1 Million junge Bäume. Wenn die Buchen dann nach etwa 150 Jahren ihre Gesamthöhe erreicht haben, dann stehen dort vielleicht noch 150 Bäume. Das ist ein harter Konkurrenzkampf – vor allem um Licht, aber auch um andere Umweltfaktoren. Derjenige, der am besten genetisch angepasst ist und am meisten Licht bekommt, der wird es schaffen, in 150 Jahren als großer Baum dazustehen.
Also der, der am schnellsten wächst, hat gewonnen, oder?
Richtig, verkürzt gesagt, ist es genau so. Und wir Förster unterstützen das technologisch noch ein bisschen. Förster arbeiten im Wesentlichen mit einer sogenannten Lichtsteuerung. Dabei geht es darum, das Licht am Baum zu steuern, die Gruppen zu entwickeln. Das ist im wilden Wald ein rein zufälliger Prozess. Der endet für die meisten Bäume allerdings tödlich, nur ein paar überleben. Im Wirtschaftswald steuert das ein Förster und entnimmt das Holz, das sonst als Totholz im Wald bleibt. Wir entnehmen Bäume, damit andere besser wachsen können.
Wie müssen wir uns Ihren Alltag vorstellen als Förster?
Den typischen Tag, der sich immer wiederholt, gibt es eigentlich nicht. Meist ist es ein Wechselspiel zwischen Wald und Büro. Ein großer Teil meiner Arbeit besteht auch aus Buchführung und Dokumentation. Wir halten genau fest, wo wir wie viel Holz entnommen haben, um auch nachhaltig wieder anzupflanzen. Wir entnehmen dem Wald nicht mehr Holz als nachwächst.
Kann man durch Ihren Wald spazieren?
Ja, natürlich!
Wo findet man den Wald?
Die Flächen des Flughafens liegen bei Kaltenkirchen, westlich der A 7. Die Wälder befinden sich zwischen Nützen im Osten und Lutzhorn im Westen.
Wie viele unterschiedliche Arten wachsen in Ihren Wäldern?
Eine Menge! Und am artenreichsten sind nicht die Wälder – es sind die Waldrandzonen. Wir haben immer dort, wo es viel Sonne und Schatten gibt, die höchste Artenvielfalt. Wir haben innerhalb von anderthalb Kilometern Waldrand über 50 Gehölze gefunden.
Sie haben doch wahrscheinlich den ruhigsten, den entspanntesten Job des ganzen Flughafens – oder? Beneiden die Kollegen Sie?
Ich kann mir das vorstellen. Das ist auch ein wunderschöner Beruf. Förster zu sein ist tatsächlich Berufung. Und den Beruf darf ich leben. Dafür bin ich dankbar. Ich habe am Flughafen aber auch noch andere Aufgaben. Ich bin ebenso Tierkollisions-Beauftragter und sorge dafür, dass sich Vögel und Flugzeuge nicht ins Gehege kommen.
Wenn Sie mal so zurückblicken: Was waren für Sie wirklich besondere Erlebnisse bei Ihrer Arbeit, die Sie nicht wieder vergessen werden?
Für mich persönlich ist es eine Situation gewesen, bei der ich einer Passagierin ihren Hund wiederbringen konnte. Der war bei am Frachtterminal ausgebüxt und lief übers Vorfeld. Nach 20 oder 25 Minuten haben ein Kollege und ich den Hund mit ganz einfachen Methoden wieder eingefangen. Am Ende habe ich den Hund mit der Hand gegriffen. Er hat das mit Bissen quittiert, aber ich bin dann mit ihm in die Kabine des Fliegers, und er durfte mit seiner Besitzerin die Reise fortsetzen. Das war ein schöner Moment. Die Frau war glücklich. Die Menschen im Flieger haben geklatscht.
Wenn Sie Urlaub machen: Zieht es Sie auch dabei in den Wald?
Urlaub und Wald, das ist so eine Sache. Meine Frau geht schon gerne in den Wald – aber nicht mit mir.
Warum ist das so?
Es wird anstrengend. Sie hat einen ganz anderen Blick darauf. Ich bekomme immer die Gelbe Karte gezeigt, wenn wir uns über Urlaub unterhalten. Denn meist hole ich sofort mein Adressverzeichnis heraus, rufe bei Kollegen an und verabrede einen Exkursionstermin. Das ist so eine Macke.
Was ist sonst noch das Besondere an Ihrem Beruf?
Ich denke, eine Besonderheit des Försterberufes ist tatsächlich, aus der Natur zu leben. Der Landwirt, der auch vom Acker und vom Boden lebt, hat viel mehr Möglichkeiten, steuernd einzugreifen. Er pflügt seinen Acker, düngt ihn und bringt Pflanzenschutz aus. Er produziert sehr intensiv. Und der Förster? Der lebt aus der Natur, in der er mit Störungen, die die Natur produziert – Insektenfraß, Sturm oder Überflutung –, leben muss. Und das als Chance begreift, den Wald auch zu gestalten. Wir können nicht gegen die Natur arbeiten, sondern wir arbeiten immer mit den Kräften der Natur. Das macht es nicht immer einfach. Der Landwirt bestellt seinen Acker und bringt ein paar Monate später die Ernte ein. Bei uns dauert das fast 150 Jahre. Wir können den Prozess nur begleiten. Und das ist eine besondere Herausforderung für uns Förster.
Lehrt der Beruf des Försters also Demut?
Ja, auf jeden Fall. Man lernt: Du hast nicht alle Dinge in der Hand, und du musst lernen, damit zu leben. Du hast in der kurzen Spanne deines Wirkens nicht viele Möglichkeiten einzuwirken. Deshalb musst du den richtigen Zeitpunkt des Handelns erkennen. Das setzt voraus, dass man sehr genau beobachten lernt und mit geeigneten Mitteln richtige Impulse setzt. Wir haben nur knappe Ressourcen, und die müssen wohldosiert eingesetzt werden – zum Nutzen des Eigentümers auf der einen Seite, aber auch zum Nutzen für die Gesellschaft insgesamt.