Hamburg. Hamburgs Erster Bürgermeister war Finanzsenator, als die Stadt entschied, Steuern von der Warburg-Bank nicht zurückzufordern.
Es war wohl der kniffligste Auftritt für Peter Tschentscher, seit er im März 2018 Erster Bürgermeister wurde. Seit mehr als zwei Jahren wird er mit Vorwürfen der Opposition konfrontiert, er habe in seiner vorherigen Funktion als Finanzsenator im Streitfall um Cum-Ex-Geschäfte der Warburg-Bank zu deren Gunsten eingegriffen.
Konkret geht es um die Frage, warum die Steuerbehörden im Herbst 2016 zunächst darauf verzichtet hatten, rund 47 Millionen Euro an erstatteten Kapitalertragsteuern von der Bank zurückzufordern. Und warum sie 2017, als es um weitere 43 Millionen Euro ging, erneut so vorgehen wollten, dann aber in einem einmaligen Vorgang vom Bundesfinanzministerium angewiesen wurden, das Geld doch einzutreiben.
Cum-Ex-Skandal: Scholz gab an, sich nicht erinnern zu können
Tschentscher, ebenso wie der damalige Bürgermeister und heutige Bundeskanzler Olaf Scholz (beide SPD), haben schon x-fach von sich gewiesen, auf diese Entscheidungen Einfluss genommen zu haben. Doch anders als Scholz, der bereits vor einem Jahr im PUA vernommen worden war und sich dabei weitgehend auf Erinnerungslücken berufen hatte, konnte sich Tschentscher bislang nicht im Detail dazu äußern – das Steuergeheimnis verbot es ihm.
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An diesem Freitag war das nun erstmals anders. Als einer der letzten Zeugen wurde der Bürgermeister im PUA vernommen – quasi der Höhepunkt nach mehr als einem Jahr akribischer Ermittlungsarbeit. Und weil er wie alle anderen Zeugen von den Warburg-Anwälten für die Dauer der Sitzung vom Steuergeheimnis befreit wurde, nutzte der 56-Jährige die Chance, sich erstmals umfassend zu den Vorgängen zu äußern. Viel Neues kam dabei aber nicht zutage.
Tschentscher verteidigt damalige Entscheidungen als Finanzsenator
„Cum-Ex-Geschäfte sind Straftaten“, betonte Tschentscher mehrfach in seinem knapp 30-minütigen Eingangsstatement. In seiner Amtszeit als Finanzsenator habe die Hamburger Steuerverwaltung erstmals einen solchen Deal, bei dem Finanzinstitute Aktienpakte so findig untereinander hin- und herschoben, dass sie sich am Ende Steuern mehrfach erstatten lassen konnten, bis zum Bundesfinanzhof durchgepaukt und auch gewonnen. Dafür habe es sogar ein Lob aus dem Bundesfinanzministerium gegeben, so Tschentscher, der Vorwürfe gegen die Steuerverwaltung daher als „völlig haltlos“ bezeichnete.
Er habe den Haushalt 2011 in einem hochdefizitären Zustand übernommen und alles dafür getan, die Ausgaben im Zaum zu halten und Einnahmen zu sichern, so der Bürgermeister. Er erwähne das, weil es „in so einer Situation völlig abwegig wäre, auf Millionen an Steuereinnahmen zu verzichten“. Auch die damals noch staatliche HSH Nordbank habe Gewinne aus Cum-Ex-Geschäften zurückzahlen müssen: „Wir haben selbst bei unserem eigenen Institut die Cum-Ex-Geschäfte konsequent aufgeklärt“, so Tschentscher. „Warum sollten wir ausgerechnet bei einer privaten Bank nachsichtiger sein?“
Er habe „definitiv“ nie mit Warburg-Vertretern über diesen Steuerfall gesprochen und „grundsätzlich keinen Einfluss auf die Entscheidungen des Finanzamts genommen“. Das gelte auch für den damaligen Bürgermeister Scholz, der „ein hochkorrekter Mensch“ sei, so Tschentscher. Er erinnere sich zwar nicht mehr an jedes Gespräch vor fünf Jahren. Aber wenn Scholz, mit dem er die klare Absprache hatte, nie über Steuerfälle zu sprechen, ihn derart angesprochen hätte, würde er sich daran erinnern. Im Übrigen hätten ja auch alle beteiligten Mitarbeiter aus Finanzamt und Finanzbehörde im PUA ausgesagt, dass sie ihre Entscheidungen „nur nach Recht und Gesetz“ treffen, betonte Tschentscher.
Den Fall Warburg selbst bezeichnete Tschentscher mehrfach als „Dilemma“: Einerseits habe die Gefahr bestanden, dass man eine berechtigte Forderung nicht durchsetze und auf Millionen verzichte – andererseits hätte es sein können, dass man die Bank mit einer unberechtigten Forderung in Schieflage bringe und mit enormen Amtshaftungsansprüchen konfrontiert werde. Da der Sachverhalt im Jahr 2016 nicht klar gewesen sei, habe man darauf gesetzt, das Geld gegebenenfalls später im Zuge der strafrechtlichen Auseinandersetzung eintreiben zu können.
Stundenlange Befragung drehte sich weitgehend im Kreis
So kam es auch: Das Landgericht Bonn stufte die Cum-Ex-Geschäfte als strafbar ein, Warburg musste samt Zinsen 176 Millionen Euro erstatten. Der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht bestätigten die Urteile. Letztlich sei also „kein Schaden“ entstanden, so Tschentscher, der sich mehrfach über die Berichterstattung mokierte: „Was geblieben ist, sind abenteuerliche Behauptungen.“
Die anschließende stundenlange Befragung drehte sich weitgehend im Kreis. Immer wieder hakten Abgeordnete nach, warum das Finanzamt für Großunternehmen zunächst die Steuern zurückfordern wollte, dann aber bei einem Treffen in der Finanzbehörde eine andere Entscheidung getroffen wurde. 2016 hätten doch alle nötigen Fakten vorgelegen, es wolle daher nicht in ihren Kopf, warum dann eine „180-Grad-Wende“ hingelegt wurde, sagte Zohra Mojaddedi (Grüne).Tschentscher entgegnete, dass er an der Entscheidung nicht beteiligt gewesen sei. Sie sei aber einstimmig ergangen, und das Zustandekommen sei doch von allen Beteiligten im PUA erklärt worden. Demnach sei die Rechtslage eben nicht eindeutig gewesen.
Medienbericht: Erneute Strafanzeige gegen Tschentscher
Richard Seelmaecker (CDU) sagte noch während der Sitzung: „Die Aktenlage legt nahe, dass Tschentscher selbst nach Absprache mit dem damaligen Ersten Bürgermeister Olaf Scholz die Rückforderung unterbunden hat.“ Welche Akten das belegen sollen, sagte er allerdings nicht. Am Freitagabend berichtete die Deutsche Presse-Agentur (dpa) derweil, dass gegen Tschentscher erneut Strafanzeige gestellt wurde. Seelmaecker nannte ein entsprechendes Aktenzeichen (213 Js 16/22) bei der Staatsanwaltschaft Köln. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft bestätigte das Vorliegen der Strafanzeige gegen Tschentscher. Derzeit werde geprüft, ob ein hinreichender Anfangsverdacht vorliege, um ein Ermittlungsverfahren einzuleiten.
Anzeigenerstatter ist nach dpa-Informationen der renommierte Hamburger Strafrechtler Gerhard Strate. Er hatte bereits im Februar Strafanzeigen gegen Tschentscher und seinen Vorgänger als Bürgermeister, Bundeskanzler Olaf Scholz, bei der Hamburger Staatsanwaltschaft gestellt. Er warf beiden SPD-Politikern vor, im Zusammenhang mit der Warburg Bank Beihilfe zur Steuerhinterziehung geleistet zu haben. Zudem habe Scholz auch eine falsche uneidliche Aussage vor dem PUA gemacht.
Die Hamburger Staatsanwaltschaft hatte mangels Anfangsverdachts keine Ermittlungsverfahren eingeleitet.