Hamburg. St.-Katharinen-Pastor Frank Engelbrecht ist auch Aktivist in Sachen Stadtentwicklung. Im Elbtower sieht er einen gewaltigen Rückschritt.

Er ist ein Hansdampf in allen Altstadtgassen und seit Kurzem wortgewaltiger Gegner des Elbtowers: Frank Engelbrecht ist nicht nur Pastor an St. Katharinen, sondern auch Aktivist in Sachen Stadtentwicklung. Der 57-Jährige hat nicht den Beruf um ein Hobby erweitert, sondern ist als Seelsorger unmittelbar von der Entwicklung der Altstadt betroffen. Die Größe seines Kirchspiels hängt an der Zahl der Menschen, die im Viertel leben.

Und da mussten alle fünf stolzen Hamburger Hauptkirchen – gleich vier von ihnen platzieren sich übrigens unter den 16 höchsten Kirchtürmen der Welt – einen dramatischen Exodus hinnehmen. In den zurückliegenden 150 Jahren hat sich die Stadt entvölkert. Lebten 1880 noch 171.000 Menschen in der Innenstadt, sank diese Zahl auf 12.000 rund 100 Jahre später. Vor einigen Jahren hat der Trend gedreht. Nun geht es eindeutig aufwärts.

HafenCity: Pastor kämpft gegen Bau des Elbtowers

„Ich erinnere mich noch, wie es aussah, als wir 2003 nach Hamburg zurückkamen“ erinnert sich Engelbrecht. „Da haben die Leute sich gewundert, dass man in der Altstadt leben kann. Es gab noch den Zollzaun mit Stacheldraht, ansonsten Büros; es war nichts los. Wir lebten in einer Steinwüste.“ Sein erstes Kind musste der dreifache Vater nach St. Georg zur Kita bringen. Damals war es von Baustellen umzingelt, heute pulsiert in Kitas, Geschäften, Kneipen das Altstadtleben. „Das ist eine exponentielle Entwicklung“, sagt er.

„Wir fühlten uns zusammen mit den ersten Bewohnern der HafenCity wie Pioniere – und durften den Wandel gestalten und erleben.“ Die Kirche war mittendrin: Beim Rudelgucken zur WM 2010 entstand die Idee, einen Bolzplatz in der HafenCity zu bauen. Um zusätzlich Leben ins Quartier zu bringen, gibt es nun einen Wochenmarkt auf dem Kirchhof. St. Katharinen ist zur Keimzelle des altstädtischen Lebens geworden.

"Speicherstadt steht auch für Stadtzerstörung"

Die Geschichte der Kirche war stets eng mit der Geschichte der Stadt verbunden, sagt Engelbrecht. St. Katharinen entstand bei der Erweiterung Hamburgs nach Süden, die Fundamente des Langschiffs reichen ins 14., der Turmschaft sogar bis ins 13. Jahrhundert zurück. Mit dem Bau der Speicherstadt aber mussten 20.000 Menschen ihre Wohnungen auf den Elbinseln Wandrahm und Kehrwieder verlassen – und gingen dem Kirchspiel verloren. „Auch wenn wir heute stolz auf die Speicherstadt sind – das Weltkulturerbe steht auch für Stadtzerstörung“, sagt Engelbrecht.

Die Verheerungen der Bombennächte 1943 und der Umbau Hamburgs zur autogerechten Stadt raubten Katharinen endgültig ihre Gemeinde. Eingezwängt zwischen Ost-West-Straße und Zollkanal lag sie wie vergessen da. „Bis in die Neunzigerjahre haben wir diskutiert, ob wir diese Kirche überhaupt noch benötigen. Erst seit die HafenCity existiert, ist diese Debatte abgeebbt.“ Stadtentwicklung als Überlebensfrage.

„Eine lebendige Gemeinde braucht eine lebendige Stadt“

„Eine lebendige Gemeinde braucht eine lebendige Stadt“, sagt Engelbrecht. Inzwischen besuchen wieder 17 beziehungsweise 22 Jugendliche den Konfirmandenunterricht, früher gab es ganze Jahrgänge ohne Anmeldung. Die Stadt erwacht zu neuem Leben. „Und St. Katharinen ist ein stadtprägendes Gebäude.“

Glaube und Politik passen für ihn zusammen: „Das Bild des neuen Jerusalem, wo Gott und die Menschen beieinander wohnen, ist ein altes biblisches Motiv und eine große Vision – heute hoffen wir auf die nachhaltige, soziale, ökologische, lebendige Stadt“, sagt der gebürtige Hamburger. „Wenn man nach St. Katharinen hineinkommt, sieht man das Neue Jerusalem im Fenster. Und über dem Turmeingang steht: Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die kommende suchen wir.“

Glaube und Politik passen für ihn zusammen

In Kopenhagen, wo der Deutsch-Däne mehrere Jahre als Seelsorger auf Nørrebro und an St. Petri gearbeitet hatte, fand er vieles davon: Hier hörte er erstmals die Thesen des weltweit gefeierten Architekten und Stadtplaners Jan Gehl und besuchte einen Sommerkursus bei ihm. Gehl wird nicht müde, für Städte mit menschlichem Maßstab zu werben, für kleinräumige Viertel, Fahrrad- statt Autoverkehr, für sozialen Wohnungsbau, Dichte statt Höhe.

„In Kopenhagen gab es schon zu meinen Studienzeiten Staus auf den Fahrradwegen, das war eine kleinteilige, lebendige, familienfreundliche Stadt. Ich habe viel aus Kopenhagen mitgenommen – und mich deshalb in Hamburg gleich für die Gründung der St.-Katharinen-Kita stark gemacht.“ Auf dem Weg zur menschenfreundlichsten Stadt der Welt lägen die Dänen weiter vorn. „Aber Hamburg folgt Kopenhagen, mit 20 Jahren Verspätung“, sagt Engelbrecht.

Der Elbtower in Hamburg: Am geplanten 245 Meter Neubau in der HafenCity scheiden sich die Geister.
Der Elbtower in Hamburg: Am geplanten 245 Meter Neubau in der HafenCity scheiden sich die Geister. © dpa | SIGNA-Chipperfield

Elbtower sei ein gewaltiger Rückschritt

Im Elbtower sieht er einen gewaltigen Rückschritt. Mit sechs Architekten und Planern gehört er zu den Verfassern der Sieben Thesen. Darin heißt es „Wir, die Unterzeichner dieser Erklärung, machen uns Sorgen um unser hanseatisches Hamburg ... Der Entwurf des Elbtowers ist eine radikale Abkehr von jahrhundertelang ausgeübtem hanseatischen Lebensgefühl und Baukultur der Europäischen Stadt.“ Engelbrecht will mit den Thesen die Diskussion in der Stadt befördern. Hamburgs Panorama sei durch die Hauptkirchen, das Rathaus, die Elbphilharmonie geprägt. „

Jetzt drängelt sich da ein rein privates Gebäude hinein. Dieses Stück Dubai passt nicht nach Hamburg. Solche Symbole mögen zur Jahrtausendwende noch richtig gewesen sein, heute sind sie aus der Zeit gefallen.“ Das Leben in der Stadt geschehe auf Augenhöhe, auf den Plätzen, auf den Straßen – und nicht auf Aussichtsplattformen. „Auch ökologisch ist der Elbtower ein Zeichen von vorgestern.“

Aus der Nacht der Kirchen erwuchs eine Bewegung

Die Gründerzeit mit ihren Blockrandbebauungen funktioniere hingegen immer noch – und deutlich besser. Engelbrecht plädiert für mehr Mut zur Kleinteiligkeit, der die Bürger mit in die Verantwortung nimmt. „Ich glaube nicht an Hochhäuser“, sagt der Theologe. Er favorisiert an den Elbbrücken ein Versöhnungszeichen, das Rothenburgsort einbindet.

„Der Stadtteil leidet bis heute unter der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. Wir sollten die Stadtteile verknüpfen, die Menschen einbinden und schauen, wie man dort leben kann.“ Allerdings rührt sich in der Hansestadt nur sehr verhalten der Widerstand, eher stößt der 245-Meter hohe Elbtower auf eine desinteressierte Skepsis. Engelbrecht führt das auf die Krisen der Pandemie und nun den Ukraine-Krieg zurück. „Da mag auch Politikverdrossenheit mitspielen.“ Er zumindest wünscht sich eine intensivere Bürgerbeteiligung.

  • Fünf Fragen
  • Meine Lieblingsstadt ist Kopenhagen. Meine Mutter war Dänin und ich habe einige Jahre in der dänischen Hauptstadt leben und arbeiten dürfen.
  • Mein Lieblingsstadtteil ist die Altstadt – da steht die wunderschöne Katharinenkirche, das Viertel hat unglaubliches Potenzial. Mein zweiter Lieblingsstadtteil ist das Grindelviertel, ein herrlich lebendig-verwinkeltes Quartier.
  • Mein Lieblingsplatz ist nicht ganz einfach zu benennen – Hamburg macht viel zu wenig aus seinen Plätzen. Mein Lieblingsort ist der Ponton Entenwerder 1. 2003 bin ich nach Hamburg zurückgekehrt und war damals Pfarrer auf der Flussschifferkirche, die bis 2006 ihren Liegeplatz in der Billwerder Bucht am Ausschläger Elbdeich in Rothenburgsort hatte. Mir lag immer daran, eine Verbindung zwischen den Quartieren herzustellen und habe dabei die Familie Friese kennen gelernt, die das Café auf dem Ponton betreibt. So bin ich von Herzen und seit Beginn dabei. Entenwerder ist ein tolles Projekt und ein wunderschönes Fleckchen Erde zugleich.
  • Mein Lieblingsgebäude ist die Katharinenkirche. Ist doch klar.
  • Einmal mit der Abrissbirne würde ich das Büro-Hochhaus-Ensemble um das ehemalige Polizeipräsidium am Berliner Tor. Wenn man auf der Krugkoppelbrücke steht, sieht man diese Türme – sie „verklotzen“ den wunderbaren Blick auf Hamburg. Das „Bar-Code“ Haus an der Ecke Grimm/Willy-Brandt-Straße und die Deutsche Bundesbank, die mit ihrem Brutalismus die historische Deichstraße konterkariert, sind zwei weitere Kandidaten.

Wie diese funktionieren kann, zeigt die Bürgerinitiative Altstadt für alle. „Wir haben in der Nacht der Kirchen 2016 die Ost-West-Straße stillgelegt und dort Hip-Hop getanzt“, erinnert er sich an einen Geburtsmoment der Bewegung. Daraus ergaben sich viele Kontakte, etwa zur Patriotischen Gesellschaft und der Evangelischen Akademie. Aus dem losen Zusammenschluss wird noch in diesem Jahr ein gemeinnütziger Verein. Die Gründungsversammlung ist für den 13. Juni in St. Katharinen geplant. „Wir wollen nicht gegen etwas sein, sondern für etwas. Für eine Stadt mit menschlichem Maß, für die menschengerechte Stadt.“

Engelbrecht ist stolz auf das Erreichte: „Wir haben in Bürgerregie geschafft, das Rathausquartier im Sommer 2019 in eine Fußgängerzone zu verwandeln und von Autos zu befreien.“ Die Skepsis im Viertel sei bald der Begeisterung gewichen, das Experiment soll Alltag werden. „Die größten Gegner des Projektes sind nun auf unserer Seite.“ Einen weiteren Erfolg der Stadtentwickler von unten sieht der Pastor im Umbau des ehemaligen Parkhauses Gröninger Hof an der Neuen Gröningerstraße 12 – eine Genossenschaft schafft hier ein Haus, um gemeinsam zu arbeiten und zu leben.

„Diese Idee ist auf einem Seminar von ‚Altstadt für alle‘ entstanden. Das ist Knochenarbeit – aber sie ist fantastisch.“ Als dritten Erfolg verbucht der Pastor die Idee der „Altstadtküste“ – an der Wasserseite im Herzen Hamburgs zwischen Oberhafen und Rödingsmarkt sollen neue Orte der Begegnung entstehen. „Wir wollen dieses vergessene Stück Stadt lebendig machen.“

Neue Ideen für Plätze

Ihn stört nicht, dass manche Ideen von „Altstadt für alle“, wie etwa die Überdeckelung der Gleise am Hauptbahnhof, scheitern. Er betont das Positive: „Wer hätte vor fünf Jahren gedacht, dass wir ein Parkhaus zum Wohnhaus umbauen? Dass wir eine neue Fußgängerzone in der Stadt schaffen?“

Zu tun gibt es noch genug: So bleibe St. Katharinen von zwei Schneisen eingeklemmt zwischen der Willy-Brandt-Straße und der Hauptverkehrsstraße am Zollkanal. „Ich bezweifele, dass wir diese Straßen dauerhaft in dieser Größe benötigen“, meint Engelbrecht. Er plädiert für ein Experiment, für einen Zeitraum von sechs Monaten die B 4 auf zwei Spuren zurückzubauen. „Wir müssen diese Straße verändern – der Lärm und die Luftverschmutzung schaden den Menschen und dem Quartier.“ Als ersten Schritt wünscht er sich mehr Möglichkeiten für Fußgänger, die Schneise zu überqueren.

Engelbrecht leidet an der Qualität der Plätze gerade an den Hauptkirchen. „Plätze sind für eine Stadt als Orte der Begegnung wichtig. Aber wie zerstört sieht der Hopfenmarkt an der Nikolaikirche aus?“ Gerade in diesen Zeiten müsse die Gedenkstätte mehr Würde bekommen. Mit seinen Kollegen aus St. Petri und St. Jakobi setzt er sich für eine Belebung der zentralen Kirchhöfe ein. In den vergangenen Monaten gab es Aktionen und Kulturprogramm auf den Plätzen.

Die Stadt – eine kollektive Spielstraße?

Um die Zukunft ist ihm nicht bang. „Die letzten 19 Jahre haben mir gezeigt, was möglich ist. Nun kommt es darauf an, die Mobilität neu zu denken. Wir benötigen weniger Autos und mehr Grün. Wir müssen die Wasserflächen zurückgewinnen. Wir müssen eine Stadt entwickeln, in der sich die Kinder frei bewegen können – wo nicht die Kinder auf den Verkehr aufpassen müssen, sondern die Autos auf die Kinder.“

Die Stadt – eine kollektive Spielstraße? Engelbrecht kann dem Gedanken etwas abgewinnen. „Die Städte von morgen werden ökologisch und nachhaltig sein. Wir schaffen das, weil wir es schaffen müssen.“