Hamburg. Wirtschaftsprüfer verweigern Investor Adler das Testat, Bezirk verlangt aber gesicherte Finanzierung für das Projekt. Die Aussichten.
Seit Jahren kommt das ambitionierte Bauprojekt Holstenquartier nicht voran – und nun könnte sich das ganze Verfahren noch weiter verzögern. Denn der Eigner, der Immobilienkonzern Adler Group, steckt in schweren Turbulenzen. Am Freitagabend schockte das Unternehmen seine Anleger mit einer Pflichtmitteilung nach Börsenschluss.
Der Wirtschaftsprüfer KPMG wird nach seiner Abschlussprüfung einen sogenannten Versagungsvermerk für den Konzern- und Einzelabschluss 2021 erteilen. Im Klartext: Die Bilanzprüfer sehen sich außerstande, den Abschluss der Adler Group abzunicken und haben ihr Testat verweigert. Nachbörslich sackte die Aktie um mehr als ein Drittel ab. Der Kurs des Papiers, das Anfang 2021 bei fast 30 Euro stand, ist auf fünf Euro abgerutscht.
Wohnen Hamburg: Wird Adler zu neuem Fall Wirecard?
An den Börsen geht die Angst um, dass sich Adler zu einem neuen Fall Wirecard weiten könnte. Auslöser der Krise um den Immobilienentwickler ist wie beim insolventen Finanzdienstleister die Investmentfirma Viceroy des britischen Leerverkäufers Fraser Perring. Sein Geschäftsmodell besteht darin, Unternehmen Verfehlungen und Betrug vorzuwerfen und dann an den sinkenden Aktienkursen Geld zu verdienen. Da liegt es in der Natur der Sache, dass scharf geschossen wird: Adler sei eine „Brutstätte von Betrug, Verschleierung und Falschdarstellung, um ihre wahre Finanzsituation zu verstecken, die trostlos ist“, hieß es in seinem Bericht vom Oktober 2021.
Adler wollte mit einer Sonderprüfung die Vorwürfe aus der Welt und neues Vertrauen schaffen – seit Freitagabend ist klar: Der Befreiungsschlag ist gescheitert. Adler, zwischenzeitlich das viertgrößte börsennotierte Wohnimmobilienunternehmen in Europa, droht der Absturz. Schon die Sonderprüfung ließ aufhorchen: „Der Vorwurf, dass Adler nicht über die finanziellen Mittel verfügt, die Projektentwicklungen umzusetzen, kann auf Basis der uns in der Sonderuntersuchung zur Verfügung stehenden Unterlagen nicht widerlegt werden.“
Immobilienriesen soll Geld für ambitionierte Projekte fehlen
Das Unternehmen, das aus dem Zusammenschluss von Ado Properties, Adler Real Estate und dem Berliner Projektentwickler Consus Real Estate entstanden war, ist in Hamburg in verschiedene Vorhaben involviert. Zudem soll Adler zuletzt mehrere Grundstücke wie das Neuländer Quarree, die New-York-Hamburger-Gummi-Waaren oder den Billwerder Deich angeboten haben.
Das bekannteste Projekt aber ist das 8,6 Hektar große Holstenquartier. Hier passierte über Jahre nichts. Das ambitionierte Vorhaben mit 1300 Wohnungen neben der Neuen Mitte Altona fiel bislang vor allem durch Besitzerwechsel auf. Immerhin gibt es nun Abrissarbeiten. Der Bau sollte eigentlich im laufenden Jahr beginnen, die Fertigstellung für 2026 geplant. Im vergangenen Jahr präsentierte der Bezirk einen städtebaulichen Vertrag mit Adler. Amtsleiterin Stefanie von Berg (Grüne) sprach davon, „das Maximum für die Stadt der Zukunft herausverhandelt“ zu haben. Das neue Holsten-Areal werde urban, grün und autoarm. „Wir haben alle Eventualitäten abgesichert – auch juristisch.“
Bezirksamt verlangte von Adler "Finanzierungszusage"
In der vergangenen Woche hatte das Bezirksamt bei Adler die Daumenschrauben angezogen und verlangte vom Investor „eine aktuelle Finanzierungszusage der Bank über das gesamte Bauvorhaben“ für das Holstenareal. Es gehört viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, wie diese Finanzierungszusage nach den jüngsten Meldungen aussehen soll.
Die zahlreichen Kritiker der Stadt an Consus/Adler fühlen sich nun bestätigt. „Jetzt zeigt sich, wie politisch verantwortungslos es von Bezirk und Grünen war, keinen Plan B für die Übernahme des Holstenareals vorbereitet zu haben und stattdessen trotz aller öffentlichen Kritik stur am städtebaulichen Vertrag mit Adler festzuhalten“, sagt Theo Bruns von der Initiative „knallt am dollsten“. Er fordert Bezirk und Senat auf, unverzüglich die Kommunalisierung des Geländes in Angriff zu nehmen und alle dafür notwendigen Schritte einzuleiten.
"Mit uns wäre das Holsten-Areal längst im Bau"
Auch die Wohnungsbauwirtschaft hatte sich in der Vergangenheit verärgert gezeigt, dass ein zentrales Projekt der Stadtentwicklung nicht vorankommt und das Grundstück zu ständig steigenden Preisen den Besitzer wechselte. Kürzlich sprach der ECE-Director Klaus-Peter Hesse im Abendblatt über die schwarzen Schafe der Branche, die Grundstücke aus purer Spekulation über Jahre brachliegen lassen. „Was die ECE sagt, macht sie auch. So wäre mit uns das Holsten-Areal längst im Bau.“
Gestern wurde Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), noch deutlicher: „Das Holsten-Quartier zeigt, die Spekulation mit Grund und Boden führt in die Unbebaubarkeit. Die Kosten für Bauland steigen, es wird nicht gebaut und am Ende droht ein Wohnviertel, in dem sich Menschen mit normalem Einkommen das Wohnen nicht mehr leisten können.“ Hamburg hat neben Berlin die höchsten Baulandpreise.
Stadt steht vor einer Entscheidung
In den kommenden Tagen wird die Stadt entscheiden müssen, wie es im Holten-Quartier weitergehen kann. Bezirksamtsleiterin Stefanie von Berg hatte zu Jahresbeginn erklärt: „Kein Testat, keine Baugenehmigung“ Sie kritisierte im Abendblatt: „Der Senat hätte damals unbedingt das Vorkaufsrecht ziehen müssen. Das ist der Stadt eine große Lehre. Bei einem so großen tollen Grundstück muss die Stadt steuern.“
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Fakt ist: Hätte der Senat schon 2016 sein Vorverkaufsrecht beim Holsten-Areal genutzt, würden dort längst Menschen leben. Der erste Investor, die Gerchgroup, hatte die Fertigstellung für 2020 in Aussicht gestellt. Dann reichte sie das Grundstück an die SSN Group AG weiter, die später von Consus übernommen wurde, die nun zur Adler gehört. Bei dem Monopoly in Altona soll der Wert das Filetgrundstücks von rund 150 Millionen Euro laut Bilanz zuletzt auf rund 364 Millionen Euro gestiegen sein. Nun dürfte die wundersame Geldvermehrung vorbei sein.
Wohnen Hamburg: Adler verkaufte immer wieder Wohnungen
Am Sonnabend legte Adler trotz des Versagungsvermerks seine Zahlen für das vergangene Jahr vor. Der Konzern mit Sitz in Luxemburg meldete einen höheren operativen Gewinn, unter dem Strich aber stand wegen Abschreibungen ein Verlust in Höhe von knapp 1,2 Milliarden Euro. Zuletzt hatte Adler immer wieder Wohnungen verkauft, der Wohnungsbaukonzern Vonovia ist inzwischen mit 20,5 Prozent beteiligt. Gut möglich, dass der Branchenprimus auch das Holsten-Quartier übernimmt.