Hamburg. Bilder aus der Ukraine können posttraumatische Belastungsstörungen auslösen. Ein Experte erklärt, wie Traumata behandelt werden.
Bilder von völlig zerbombten Städten, von ausgebrannten Wohnungen. Nachrichten über Vergewaltigungen, Plünderungen und Vertreibung. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine kommen gerade bei Älteren, die den Zweiten Weltkrieg erlebt haben, womöglich jahrelang verdrängte Erinnerungen plötzlich wieder hoch.
„Der Therapiebedarf wird in den nächsten Wochen deutlich ansteigen“, sagt Privatdozent Dr. Emanuel Severus, seit September vergangenen Jahres Chefarzt für Persönlichkeits- und Traumafolgestörungen an der Asklepios Klinik Nord-Ochsenzoll. „Zum einen wird es natürlich darum gehen, den aus der Ukraine Geflüchteten mit ihren frischen Traumata zu helfen, zum anderen werden wir aber auch vermehrt Patienten sehen, die in neuer Intensität von Erinnerungsfetzen gequält werden“, so der habilitierte Psychiater.
Trauma – ausgelöst von außergewöhnlicher Bedrohung
Diese Erinnerungsfetzen oder auch „Flashbacks“ sind ein typisches Merkmal einer sogenannten posttraumatischen Belastungsstörung. „Diese Schnipsel tauchen unkontrolliert auf und wirken oft so gegenwärtig, dass es zu Verkennungen kommt und sich der Betroffene unmittelbar in der Situation von einst fühlt.“Auch nächtliche Albträume, aus denen Betroffene schweißgebadet, mit Herzrasen und Fluchtreflex aufwachen, sind verbreitet.
„Die posttraumatische Belastungsstörung rührt von einem Ereignis her, das von außergewöhnlich großer Bedrohung war“, sagt der gebürtige Berliner, der knapp zehn Jahre lang an der Uniklinik Dresden forschte und arbeitete, ehe er 2021 nach Hamburg wechselte. In der Folge könne eine „Trauma-Trias“ entstehen: „Das Ereignis wird erneut durchlebt, der Betroffene entwickelt eine Vermeidungsstrategie und ist grundsätzlich überdurchschnittlich schreckhaft und wachsam.“
Expertenrat: unnötige „Trigger“ meiden
Der Versuch, sogenannte „Trigger“, also Auslösereize, zu meiden, könne durchaus hilfreich sein. „Man darf nicht verdrängen, das schadet. Wenn man sich von Emotionen abschottet, ist das problematisch, gerade in Partnerschaften. Aber sich zum Beispiel nicht jede Sondersendung zum Ukraine-Krieg anzusehen, wenn man selbst einen Krieg erlebt hat, das kann sinnvoll sein.“
Doch in welcher zeitlichen Nähe zum Ereignis tritt eine posttraumatische Belastungsstörung auf? „Unterschiedlich“, sagt der Experte. „Das kann in der ersten Nacht sein, wie ich das in einem Projekt an der Uniklinik München gesehen habe. Dafür haben wir U-Bahn-Fahrer betreut, denen sich jemand vor den Zug geworfen hatte. Da kamen die Albträume fast immer sofort.“
Traumabehandlung: Therapie statt Medikamente
Dann gebe es aber auch Menschen, die in ihrer Kindheit Opfer sexualisierter Gewalt geworden seien, und dies erst im Erwachsenenalter aufarbeiteten. Für eine erfolgreiche Therapie sei ein „sicherer Hafen, ein Rahmen äußerer Sicherheit“ nötig. „Insofern hilft es auch den Geflüchteten vermutlich am meisten, wenn man ihnen einen sicheren Alltag hierzulande ermöglicht.“ Es gebe Medikamente, die bei posttraumatischer Belastungsstörung eingesetzt würden, aber: „Sie sind weniger wirksam als eine Psychotherapie.“
Ziel einer Therapie sei immer die sogenannte Trauma-Integration. „Das bedeutet, der Betroffene kann das traumatische Ereignis erinnern und beschreiben, ohne dabei in eine Hochstress-Situation zu geraten.“
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Traumata behandeln durch Konfrontation
Man lerne binnen einiger Wochen oder manchmal auch binnen einiger Jahre, dass dieses traumatische Erlebnis „aushaltbar“ ist. „Dazu nutzt man beispielsweise die Konfrontation, kehrt also mit einem Patienten an den Ort eines Unfalls zurück. Oder man geht allein in der Vorstellung zurück, sodass sich der Betroffene in der Situation wiederfindet, aber dabei nicht von Gefühlen überflutet wird.“
Auch mit kleinen Kindern könne man, sofern diese es wünschen, über den Krieg gegen die Ukraine sprechen. „Wichtig ist auch dabei, dass sich die Kinder geborgen fühlen. Dass sie wissen: Mir hört jemand zu und mich tröstet jemand.“