Hamburg. Die stark gestiegenen Benzinpreise führen zu mehr Delikten im Norden – viele stehlen auch Kraftstoff aus abgestellten Fahrzeugen.

Die Spritpreise haben nach dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar schwindelerregende Höhen erreicht. Der Verbraucherpreisindex, der die Lebenshaltungskosten misst, hat sich für Dieselkraftstoff seit September 2020 mehr als verdoppelt. Bei Super sieht es ähnlich aus. Wie hat sich diese Preisexplosion mit Kosten von mehr als 2,30 Euro für den Liter Diesel auf die Häufigkeit des Tankbetrugs in Hamburg ausgewirkt? Die Polizei verzeichnet hier einen Anstieg der Fallzahlen, wenn auch (noch) einen moderaten.

Für die ersten drei Monate 2022 seien 475 Fälle des Tankbetrugs erfasst worden, so die Polizei auf Abendblatt-Anfrage. Allerdings machte der Spritpreis auch erst mitten im Quartal von einem ohnehin hohen Niveau noch mal einen gewaltigen Satz nach vorne. Im ersten Quartal 2021 waren nur 343 Fälle gemeldet worden, und im ersten Quartal des Jahres davor waren es 447. Mit 563 Anzeigen verzeichnete die Polizei in den ersten drei Monaten 2018 noch deutlich mehr Fälle – auch damals waren die Preise für Kraftstoff merklich angezogen.

Polizei Hamburg: Betrüger gehen clever vor

Von den im ersten Quartal dieses Jahres angezeigten 475 Fällen hat die Polizei 106 oder 22,3 Prozent aufgeklärt. Die Aufklärung fällt auch deshalb schwer, weil die Betrüger clever vorgehen und beispielsweise mit gestohlenen Kennzeichen zur Zapfsäule vorfahren. So geschehen am 18. März. Da beobachtete eine Zivilstreife, wie zwei Männer an einer Tankstelle an der Sülldorfer Landstraße ihren Dacia betankten und dann das Weite suchten.

Nachdem Polizisten die Betrüger kurz darauf in Tatortnähe gefasst hatten, stellte sich heraus, dass das Kennzeichen zu einem in Kiel zugelassenen VW Fox gehörte. Wieder auf freiem Fuß beglichen die beiden Männer die Tankrechnung über 100 Euro.

Diebe saugen Tanks von Lastwagen leer

Um das Entdeckungsrisiko zu minimieren, lassen Tankbetrüger ihr Auto mitunter stehen. „Einige Täter kommen zu Fuß, füllen ihre Kanister an der Zapfsäule und verschwinden dann, ohne zu bezahlen“, sagt Polizeisprecher Florian Abbenseth. Zwar verfügen die meisten Tankstellen über Videoüberwachung. Weil das aber auch die Täter wissen, tragen sie vermehrt Kapuzenpullover oder versuchen, ihr Gesicht zu verbergen. Bei den Tätern beliebt sind die Stoßzeiten: „Weil die Kassierer dann oftmals abgelenkt und nicht in der Lage sind, alle Tankvorgänge im Blick zu behalten“, so Abbenseth. Wenig überraschend: Tankstellen ohne Videoüberwachung werden besonders häufig heimgesucht.

Hinzu kommen Fälle des Kraftstoffdiebstahls. Dabei saugen Diebe die voluminösen Tanks von Lastwagen oder Baumaschinen leer. Diese Taten werden – anders als der Tankbetrug – nicht gesondert erfasst. Nach Einschätzung des LKA seien beim Treibstoffdiebstahl „Tathäufungen bislang nicht festzustellen“.

Auch in Schleswig-Holstein steigt die Kriminalität

Nicht nur in Hamburg ist Sprit eine begehrte Beute – auch im Nachbarland haben die stark gestiegenen Preise zu einem Anstieg der Kriminalität geführt. Allein zwischen der neunten und zwölften Kalenderwoche (28. Februar bis 27. März) sind nach Angaben des Landeskriminalamtes in Schleswig-Holstein knapp 180 Tankbetrugstaten registriert worden – im gesamten Jahr 2021 waren es 958.

Bundesweit ist die Zahl der Fälle an den mehr als 14.000 Tankstellen in den vergangenen Jahren zurückgegangen – von 70.800 Fällen 2019 auf 58.108 im zweiten Corona-Jahr 2021. Die Taten seien für die Tankstellenbetreiber mindestens lästig. „Anzeige stellen, auf den Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft warten – das nervt und kostet Zeit“, sagte ein Sprecher des Zentralverbandes des Tankstellengewerbes (ZTG) dem Abendblatt.

Polizei Hamburg: Vermögensschaden betrug 117.461 Euro

Dem ZTG haben sich rund 5000 Tankstellen angeschlossen. Wird eine Tankstelle von den großen Mineralölunternehmen betrieben, kommen zwar Shell und Co. für den Schaden der Pächter auf. „Den bürokratischen Aufwand haben sie trotzdem“, so der Sprecher. Die freien Tankstellen müssten für den Schaden selbst geradestehen.

Um Cent-Beträge geht es beim Tankbetrug nicht. Obgleich die Zahl derartiger Taten 2021 in Hamburg mit nur 1344 Fällen auf den tiefsten Stand seit Jahren gefallen ist, betrug der Vermögensschaden 117.461 Euro – dafür werden selbst bei den aktuellen Mondpreisen die Tanks vieler Fahrzeuge voll.