Hamburg. Aus Liebe soll die Frau eine Drogenbande bei illegalen Geschäften unterstützt haben. Dabei nutzte sie offenbar auch Insider-Wissen.

Sie handelte offenbar aus Liebe. Sie riskierte viel – und verlor fast alles. Wenn die Angeklagte heute ihr Leben betrachtet, scheint ein großer Teil in Scherben zu liegen. Ihren Job ist die Frau los, und vielleicht auch bald ihre Freiheit. Weil sie die Seiten wechselte – von der Staatsanwaltschaft auf die Seite von Drogenhändlern?

Es ist ein wohl einmaliger Fall von Rauschgiftkriminalität, der seit Dienstag vor dem Landgericht verhandelt wird. Außergewöhnlich ist nicht die Menge, mit der gedealt worden sein soll – äußerst brisant ist vielmehr die mutmaßliche Rolle einer früheren Mitarbeiterin der Hamburger Staatsanwaltschaft. Sie sitzt auf der Anklagebank, weil sie einer Bande von Drogendealern bei deren Machenschaften Hilfe geleistet haben soll.

Staatsanwaltschaftsmitarbeiterin soll Drogendealern geholfen haben

Der Angeklagten wird vorgeworfen, ihre Wohnung an Mitangeklagte für Rauschgiftgeschäfte als sogenannte Bunkerwohnung zur Verfügung gestellt zu haben. Außerdem soll sie Informationen, die sie aus ihrer Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft gewonnen hatte, an das vermeintlich kriminelle Trio weitergegeben haben.

So habe sie es den Betroffenen ermöglicht, deren Verhalten anzupassen und Einfluss auf den Gang strafrechtlicher Ermittlungen zu nehmen, heißt es in der Anklage. Der Fall flog zu Beginn des vergangenen Jahres auf. Insgesamt sollen die Angeklagten durch den Verkauf von Kokain und Marihuana rund 100.000 Euro erlangt haben. Alles in allem geht es um gut zwei Kilogramm Drogen.

Sollte es wirklich Liebe gewesen sein, die die Angeklagte damals blind für die Gerechtigkeit gemacht haben soll: Von den Gefühlen, die sie für einen heute 26 Jahre alten Mitangeklagten gehegt haben soll, ist zumindest jetzt beim Prozessauftakt nichts zu sehen. Keine innigen Blicke, keine Nähe, nichts. In einer Verhandlungspause sitzt die aparte Frau allein auf einer Bank – weit entfernt von den drei Männern, deren Bandentätigkeit sie unterstützt haben soll. Keiner der Angeklagten befindet sich in Untersuchungshaft.

Der Angeklagten droht eine mehrjährige Freiheitsstrafe

Laut Ermittlungen versorgten der 25 Jahre alte T., der 26 Jahre alte A. sowie F., 27 Jahre alt, ihre Kunden mit Kokain und Marihuana, das sie in mehreren Hamburger Wohnungen lagerten, portionsweise abpackten und gemäß den Bestellungen der Kunden in Autos transportiert und dann an den Mann gebracht haben sollen. Im Rahmen der Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft mehrere Wohnungen durchsucht. Dabei seien allein bei der Angeklagten knapp 30 Gramm Kokain sowie gut 311 Gramm Marihuana gefunden worden.

Nicht nur, dass die Staatsanwaltschaft seinerzeit sofort ein Hausverbot gegen die Frau aussprach. Mittlerweile wurde ihr auch rechtskräftig gekündigt. Vor allem aber muss die junge Angeklagte mit einer mehrjährigen Freiheitsstrafe rechnen.

Weil die Anklage davon ausgeht, dass die Angeklagten bei ihrem Handel mit Drogen als Bande tätig waren, liegt der Strafrahmen bei fünf bis 15 Jahren. Für die Frau, der lediglich Beihilfe zum Rauschgifthandel vorgeworfen wird, liegt die Mindeststrafe allerdings deutlich niedriger, nämlich bei zwei Jahren. Sollte die Kammer im Ergebnis zu der Entscheidung kommen, dass ein sogenannter minderschwerer Fall vorliegt, würde die Strafe erneut gemildert werden.

Wie die Angeklagte aufflog

Hinzu kommt aber bei der früheren Mitarbeiterin der Staatsanwaltschaft der Vorwurf, sie habe Dienstgeheimnisse verraten. Dadurch habe sie „wichtige öffentliche Interessen gefährdet“, heißt es in der Anklage. Ebenso habe sie das „Vertrauen der Allgemeinheit in die Unparteilichkeit, Unbestechlichkeit und Funktionsfähigkeit“ der öffentlichen Verwaltung gefährdet, so die Staatsanwaltschaft.

Die Angeklagte saß bei der Staatsanwaltschaft an der Quelle, das heißt, sie hatte Zugang zu Akten und zu Informationen aus dem Computer. Sie konnte also beispielsweise herausfinden, ob einzelne mutmaßliche Bandenmitglieder in Verdacht geraten waren, ob es Aussagen gab, die sie belasteten, oder ob Hausdurchsuchungen geplant waren.

Viermal habe die Frau für die Bande Daten abgefragt, heißt es. So habe sie beispielsweise am 8. Juli 2020 an ihrem Arbeitsplatz bei der Staatsanwaltschaft Hamburg die Verfahrensdaten in Bezug auf F. abgefragt und diesem dann mitgeteilt, dass es wohl noch kein Ermittlungsverfahren gegen ihn gebe.

Zum Auftakt der Verhandlung am Dienstag äußerte sich keiner der Angeklagten zu den Vorwürfen. Das könnte sich an einem der nächsten Verhandlungstage in dem auf zunächst acht Tage anberaumten Prozess ändern.

Die Taten seien durch den Hinweis eines Informanten aufgeflogen, heißt es – sowie durch die Auswertung von Encrochat-Daten. Dabei handelt es sich um eine fast ausschließlich von Kriminellen genutzten Chatplattform, die lange als abhörsicher galt. Deshalb waren die Täter am Telefon gesprächig und vertrauensselig und sprachen auch über Details.

Tatsächlich aber hatten Ermittler vor allem aus Frankreich und den Niederlanden die Plattform längst infiltriert und konnten gewissermaßen live miterleben, wie Drogendeals eingefädelt oder sogar über Mordkomplotts gesprochen wurde. Ein Ermittler nannte seinerzeit den Erfolg, Encrochat „geknackt“ zu haben, „eine ganz dicke Goldader“.