Hamburg. Sylvia Heyer verkauft Gebrauchtes im Auftrag ihrer Kunden. Diese Schnäppchen und Schätze warten im “Vintage Kaufhaus“.
Stöbern, Finden, Feilschen – und dann bepackt und glücklich ab nach Hause. Wer gerne auf Flohmärkte geht, kennt dieses Gefühl. In Hamburg gibt es jedes Jahr Hunderte Märkte, auf denen Gebrauchtes von Trödel bis zum Sammlerstück, vom Babystrampler bis zum Designerschnäppchen verkauft und gekauft werden. Auch Sylvia Heyer war schon immer leidenschaftlich gerne auf Flohmärkten unterwegs.
„Das hat angefangen, als ich 15 Jahre alt war“, sagt die Hamburgerin. „Teilweise habe ich sogar meine Urlaubsreisen so gebucht, dass ich besondere Märkte in Paris oder Amsterdam mitbekommen habe.“ Jetzt hat sie ihre Obsession zum Geschäft gemacht und sich etwas ausgedacht, das es im hansestädtischen Flohmarktkalender noch nicht gibt: den ersten Hallenflohmarkt in Hamburg.
Flohmärkte Hamburg: „Es funktioniert schon richtig gut"
Ein lilafarbenes Banner weist den Weg auf einen Hinterhof in Ottensen. In der ehemaligen Werkstatthalle eines Metallbaubetriebs stehen statt schwerer Maschinen mehrere Dutzend Stände. Alle mit weißen Tischdecken. Das Prinzip: Wer etwas verkaufen möchte, mietet einen Tisch, baut seine Schätze auf und überlässt alles Weitere der Gründerin.
Der Vorteil: Der Verkauf läuft an fünf Tagen die Woche – ohne dass die Besitzer vor Ort dabei sein müssen. Auch Wind und Wetter spielen keine Rolle für gute Umsätze. „Es funktioniert schon richtig gut. Das hatte ich gar nicht erwartet“, sagt Heyer, die die Idee für ihren Flohmarkt-Handel der anderen Art aus Skandinavien mitgebracht hat.
Deko-Artikel aus den 1950ern sind hier keine Seltenheit
Eine Schale aus rotem Murano-Glas, filigrane Sektgläser, silberne Leuchter. „Die Leute bringen viel Deko-Artikel aus den 50er-, 60er- und 70er-Jahren“, sagt Sylvia Heyer. Auf einem anderen Tisch hat jemand alte Schreibmaschinen aufgebaut. Es gibt Stühle, Spiegel, Teppiche, Schmuck, Besteck, Postkarten und jede Menge Secondhand-Kleidung vom Fellmantel bis zum Seidentuch. Fast alle Tische in der 200 Quadratmeter großen Halle sind belegt, mehrere Tausend Artikel sind im Angebot. Auf einer kleinen Empore hat die Unternehmerin einige besondere Stücke drapiert. „Eigentlich habe ich ähnlich wie ein Warenhaus fast alles“, sagt sie. Nur dass bei ihr jedes Teil einzigartig ist. Vintage Kaufhaus nennt Heyer ihr Konzept.
Eigentlich, sagt die 56-Jährige, sei es immer ihr Traum gewesen, einen kleinen Laden zu eröffnen. Aber als die Corona-Pandemie vor zwei Jahren begann, gab sie den Plan auf. Im Juli 2021 eröffnete sie stattdessen ihren Hallenflohmarkt. „Ich habe die Anzeige für die Vermietung der Halle bei Ebay-Kleinanzeigen gesehen und wusste gleich, das ist es.“
„Ramsch geht bei mir nicht“
Sie ließ Flyer drucken, machte Werbung in den sozialen Medien, dazu kam Mund-zu-Mund-Propaganda. Die ersten Verkaufstische bestückte sie aus eigenen Beständen, aber schnell kamen andere mit ihren Sachen. Viele hatten die Corona-Zeit dafür genutzt, mal so richtig auszumisten. „Jeder, der einen Flohmarktstand mieten möchte, muss seine Sachen in eine Liste eintragen, Preise festlegen und jedes Objekte damit versehen“, sagt Sylvia Heyer. Bei Bedarf unterstützt sie.
Es gibt allerdings einige Regeln. „Ramsch geht bei mir nicht“, sagt die Flohmarktexpertin. Was in ihrem Vintage Kaufhaus angeboten wird, muss heil und sauber, und möglichst auch irgendwie besonders sein. Dinge, die sich nur für 50 Cent oder einen Euro verkaufen ließen, funktionierten nicht. „Dann bekommt man die Miete nicht wieder rein“, sagt sie. 89 Euro kostet ein Stand mit einer Fläche von knapp zwei Quadratmetern im Monat.
„Eigentlich ist fast immer was los“
50 bis 100 Teile lassen sich auf den Tischen unterbringen, nachlegen ist jederzeit möglich. Für jeden verkauften Gegenstand nimmt Sylvia Heyer 15 Prozent Provision. Sechs Monate nach der Eröffnung sagt sie: „Ich kann davon leben.“ Große Sprünge sind nicht drin, aber dafür macht es ihr richtig viel Spaß. Selbst im Winter, wo in der unbeheizten Halle oft Temperaturen im einstelligen Bereich herrschen.
„Eigentlich ist fast immer was los“, sagt die Herrin über den Trödel. Kaufwillige, Sammler und Schnäppchenjäger kommen auf dem Heimweg vorbei, Büromenschen in der Mittagspause. Schüler von den umliegenden Schulen haben den Hallenflohmarkt entdeckt – und auch bei den Profis hat sich das neue Angebot rumgesprochen. „Ich hatte auch schon Stylisten und Ausstatter von Theater und Film hier“, sagt Sylvia Heyer. Die Begeisterung für Floh- und Trödelmärkte ist jahrhundertealt. Schon im Mittelalter haben Händler und Käufer direkt gefeilscht auf der Grundlage des ältesten Handelsprinzips überhaupt: Angebot und Nachfrage.
Flohmärkte in Frankreich heißen „Marché aux Puces“
Der Begriff Flohmarkt, so die gängige Meinung, stammt aus dem Französischen. Die Gebrauchtwaren-Märkte heißen dort „Marché aux Puces“ – was übersetzt nichts anderes bedeutet als „Flohmarkt“. In Fan- und Fachkreisen kursieren verschiedene Versionen über die Entstehung der weltweit bekannten Märkte. Eine knüpft daran an, dass es im späten Mittelalter in Paris üblich war, dass Lumpenhändler die abgetragenen Kleider der Reichen aufkauften und mit diesen Handel trieben – nicht selten inklusive der Flöhe, die sich eingenistet hatten.
Nach einer besonders großen Flohplage wurden die Lumpenhändler in den Norden von Paris verfrachtet, wo um 1890 der erste „Flohmarkt“ Frankreichs stattfand. Als weiteres Ursprungsland gilt Belgien. Einer der schönsten und ältesten Märkte befindet sich am Place du Jeu de Balle in Brüssel.
"Vintage Kaufhaus" Hamburg: Hallenflohmarkt hebt sich ab
Mit ihrem Hallenflohmarkt hebt sich Sylvia Heyer von den üblichen Freiluftmärkten ab. Im Norden gibt es an vergleichbaren Angeboten nur die Flohmarkthalle in Stade, wo allerdings nur Sachen aus Haushaltsauflösungen angeboten werden. „Für mich spielt der Aspekt, das Dinge wieder verwertet werden, eine wichtige Rolle“, sagt die Gründerin. Dass es zudem ein Ort mit besonderer Atmosphäre ist, zeigt sich auch daran, dass das Thalia Theater in ihrem Vintage Kaufhaus schon mit einem Theaterstück Station gemacht hat.
Hallenflohmarkt Vintage Kaufhaus, Gaußstraße 118, Dienstag bis Sonnabend 11 bis 19 Uhr. Infos unter 0179 411 66 28