Hamburg. Mitarbeiter fordern den Rauswurf des Chefs. Im Tierpark Hagenbeck tobt ein heftiger Kampf. Einblicke in den festgefahrenen Konflikt.
Der Auftrag klang spannend, Nicola Meier sagte sofort zu. Im Tierpark Hagenbeck sollte die Marketing-Trainerin über die Möglichkeiten von Social Media reden. Sonst arbeitet Nicola Meier für Google oder Dr. Oetker, meist seien die Chefs aufgeschlossen und freundlich. Bei Hagenbeck aber hätten die Mitarbeiter sofort die Schultern hochgezogen wie verängstigte Katzen, als der Geschäftsführer den Raum betrat.
„Es waren die erniedrigendsten drei Stunden meines Berufslebens“, sagt Nicola Meier heute. Ihren echten Namen will sie nicht in der Zeitung lesen. Tierpark-Chef Dirk Albrecht gefiel die Präsentation nicht. Aufbau, Redegeschwindigkeit, Pausen – eine „Zumutung“ habe er ihren Vortrag genannt, fast eine Stunde lang abgerechnet, erzählt Meier. Daran müsse sie immer denken, wenn sie etwas über den Tierpark liest. Von der heilen Welt, die der größte Privatzoo des Landes seinen Besuchern präsentiert, ist intern nichts mehr übrig.
Tierpark Hagenbeck: Mitarbeiter kontra Chef
Eine Erschütterung jagt die nächste bei Hagenbeck. Im Epizentrum: Geschäftsführer Dirk Albrecht. Seit seinem Amtsantritt vor zwei Jahren liefert er sich einen offenen Kampf mit großen Teilen der Belegschaft, das Arbeitsklima: vergiftet. Zuletzt schrieben „die Hagenbecker“ einen offenen Brief, warfen dem Chef „Respektlosigkeit, Demütigungen, Diffamierungen, Diskriminierung“ vor und forderten seine Absetzung. „Unerträglich“ sei der Umgang mit ihnen.
Die zu Albrecht halten, sagen, es gehe nicht anders. Nach Jahren des Stillstands brauche es einen wie ihn, der die Zügel anziehe. Albrecht nennt sich „Teamplayer“ und das Opfer einer „Kampagne“. Belegt ist, dass Albrecht bei einer Begehung des Betriebsrates die Polizei rufen ließ. Die Arbeitnehmervertreter zeigten ihn wegen angeblich geöffneter Schreiben an.
Schwere Vorwürfe im Tierpark Hagenbeck
Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Dazwischen berichten Mitarbeiter immer wieder von inakzeptablem Verhalten ihres Chefs. Aufbrausendes Temperament, Herabwürdigung – schwere Vorwürfe, die über Unstimmigkeiten hinausgehen. Albrecht sagt, er sei „zuweilen dominant“, aber nie unfair.
Am 7. Mai wird der Tierpark 115 Jahre alt. Angesichts der Spannungen zwischen Geschäftsführer und Belegschaft dürfte den Eigentümern aber kaum zum Feiern zumute sein. Die verfeindeten Familienstämme Weinlig-Hagenbeck und Hering-Hagenbeck (nebst ehemaligem Seniorchef Claus Hagenbeck) geraten angesichts des Konflikts unter Druck und müssen sich die Frage stellen: Ist ein Patriarchat, das seit 1907 im Familienunternehmen gepflegt wird, im Jahr 2022 noch zeitgemäß?
Tierpark Hagenbeck: Die Rolle der Mitarbeiter
Die Einschläge kommen im Tierpark meist per DIN-A4-Zettel. Zuletzt waren es mehrere: Erst der anonyme Brief, unterschrieben mit „Die Hagenbecker“. Dann ein Antwortschreiben Albrechts, nun ein „dringender Appell“ des Geschäftsführers. Darin fordert der Chef alle Mitarbeiter auf, die Organisatoren einer vermeintlichen Demo am Ostermontag dazu zu drängen, diese „unsägliche und beschädigende“ Aktion abzusagen.
In dem Brief zuvor hatte er angeboten, Einzelgespräche mit allen Mitarbeitern über die Situation zu führen. Wie das aufgenommen worden sei? „Blanke Panik, was sonst“, sagt eine Mitarbeiterin. „Fast niemand will mit ihm allein sein. Das ist eher eine Drohung.“
Immer wieder schilderten Mitarbeiter, wie sie nach Gesprächen mit Albrecht den Tränen nah waren. Wie er die Mitglieder des Betriebsrates einzeln ein Dokument unterschreiben ließ, in dem sie versprachen, während Corona keine „betriebsfremden Personen“ auf das Gelände zu lassen. Wie er in einem Gespräch sagte: „Denken Sie daran, was für Sie und Ihre Familie das Beste ist.“ Wie er nur Meinungen aus der Belegschaft hören wolle, um sie dann abzubügeln – mit dem Verweis, dass nur er das Sagen habe. Wie er mit Vorliebe nachts Mails mit Anweisungen und Kritik schreibe. Und wie herablassend er Frauen behandele.
Viele Kündigungen im Tierpark Hagenbeck
Seit Albrecht Geschäftsführer ist, trat die Mehrheit der knapp 160 Mitarbeiter in die Gewerkschaft IG Agrar – Bauen – Umwelt ein. Als Gegengewicht zu seiner Herrschaft, heißt es intern. „Etwa 40 Leute haben in den vergangenen zwei Jahren gekündigt“, sagt IG Bau-Regionalleiter Dirk Johne. Darunter der technische Leiter, die Personalchefin, der Cheftierpfleger.
Frustriert seien so gut wie alle, sagen mehrere Mitarbeiter unabhängig voneinander. Ein offener Aufstand, gar ein Streik, sei aber nicht die Lösung. „Die große Sorge ist, den Job zu verlieren, weil man Albrecht nicht wegbekommt.“ Sie hingen mit dem Herzen am Tierpark. Für ausgebildete Tierpfleger gibt es kaum attraktivere Jobs in Hamburg.
Der Betriebsrat stecke nicht hinter dem anonymen Schreiben, könne die Beweggründe aber nachvollziehen, heißt es auf einem Zettel. „Wir sind weiterhin für jeden von Euch da und stehen fest an Eurer Seite“, steht fettgedruckt darunter. Auch die Gewerkschaft bestreitet, zum Putsch aufzurufen. Der Zeitpunkt der Palastrevolution sei sogar ungünstig, sagt Regionalleiter Dirk Johne. Schließlich müsse er demnächst mit Albrecht über einen neuen Haustarifvertrag verhandeln. Wie zugewandt die Stimmung dann sei, könne man sich ja denken.
Hagenbeck-Chef hat auch Unterstützer
Chef Albrecht hat aber auch Unterstützer, und zwar auf allen Ebenen. Sie regten sich darüber auf, dass „die Hagenbecker“ im offenen Brief eben nicht für alle sprechen.
Die Gegner Albrechts reden über diese Kollegen wiederum wie über die Lakaien eines Diktators. Von einer Demo am Ostermontag wissen Mitarbeiter nichts – aber irgendjemand könnte es dem Chef gesteckt haben. Man müsse aufpassen, wem man sich anvertraue.
Dirk Albrecht ist 73 Jahre alt, und fragt man ihn, was ihn noch antreibe, holt er aus. Fängt in den 80er-Jahren in seiner Zeit als Funktionär beim HSV an, spricht über seine Erfahrung als Manager. Im Tierpark halte ihn die Freundschaft zu Claus Hagenbeck, bis 2004 selbst Geschäftsführer. Vor gut einem Jahrzehnt brach dessen erbitterte Fehde mit seinem angeheirateten Neffen Joachim Weinlig-Hagenbeck aus. „Ich habe Claus Hagenbeck versprochen, dass ich ihn nicht im Stich lasse“, sagt Albrecht.
Tierpark-Chef erklärt seinen Führungsstil
Vielleicht sei der Vortrag von Marketing-Trainerin Nicola Meier ein gutes Beispiel, sagt der Geschäftsführer. „Ich bin klar und ehrlich in der Kommunikation. Mir erschien die Präsentation unprofessionell. Das habe ich zum Ausdruck gebracht.“ Im Gespräch mit dem Abendblatt ist Albrecht sanft und ruhig, um Contenance bemüht. Ein anderer Mann, als ihn Mitarbeiter beschreiben.
Für ihn sei das der rote Faden seiner Amtszeit: Er äußere direkte Kritik und hole Menschen aus ihrer Wohlfühlzone, weil er etwas voranbringen will, voranbringen müsse. „Der Tierpark war in keinem guten Zustand, als ich anfing – und die Mitarbeiter an Stillstand gewöhnt. Eine Kuschel-Führung funktioniert da nicht.“ Wer ihn aus dem Tierpark jagen wolle, müsse wissen, dass die Probleme nicht einfach verschwänden.
Albrecht sagt, er könnte „eine Million“ solcher Baustellen aufzählen. Allein das Arbeitszeitsystem: Unzulässig viele bezahlte Überstunden in vielen Bereichen – aber „nach 14 Uhr ist für den Geschäftsführer kein Mitarbeiter der Buchhaltung mehr anzutreffen, das geht nicht“. Wer dann wie er ein Schichtsystem einführen wolle, sei schnell der Böse. Und dann die Corona-Misere: Zehn Millionen Euro Einnahmeverlust, die durch Staatshilfen nicht aufgefangen worden seien. „Ich glaube, bei vielen ist nicht angekommen, was das bedeutet.“
Öffnete Albrecht Post des Betriebsrates?
Er meint vor allem den Betriebsrat, die Gewerkschaft. Noch immer dauern staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen Albrecht an, weil er Post des Betriebsrates geöffnet haben soll. Eine Falschbehauptung, sagt Albrecht. Jeder Einzelne müsse sich hinterfragen, welchen Anteil man an dem Konflikt habe.
Und sein Anteil? Vielleicht sei er zuweilen zu schroff aufgetreten, auch Corona sei mitverantwortlich. „Der persönliche Kontakt war nicht so möglich. Und ich hatte als plötzlich alleiniger Geschäftsführer viel zu viel zu tun“. In seinem aktuellen Brief schreibt Albrecht, ihm liege das Wohlbefinden aller Mitarbeiter am Herzen, er beschwört ein „positives Wir-Gefühl“ statt Angriffen.
Tierpark Hagenbeck: Die Rolle der Eigentümer
Joachim Weinlig Hagenbeck und sein Widerpart Claus Hagenbeck sind so etwas wie „lame ducks“. Beide dürfen keine direkten Befehle im Tierpark mehr erteilen, als Teil des Burgfriedens. Mehr als 120-mal haben sich die Familien verklagt. Beide Gesellschafter leben auf dem Tierpark-Gelände – nur getrennt vom Eismeer. Dem Vernehmen nach grüßen sie sich nicht und sprechen nicht miteinander, genauso wenig wie mit Medien.
Nur sie könnten den geschundenen Mitarbeitern Erlösung bringen, nicht grundlos war der offene Brief auch an sie adressiert. Ein Machtwort von Joachim Weinlig-Hagenbeck dürfte reichen. Traditionell haben beide Familienstämme einen Geschäftsführer ernannt. Weinlig-Hagenbeck duldet nun aber die Alleinherrschaft von Dirk Albrecht. „Zur Not frisst der Teufel Fliegen“, sagt ein langjähriger Hagenbecker.
Tierpark Hagenbeck: Wie es zum Sanierungsstau kam
Weinlig-Hagenbeck, so heißt es aus seinem Umfeld, ist in Sorge um die Zukunft des Tierparks. Die Anlage verfällt, Familienstreit und gegenseitige Blockaden führten zum Sanierungsstau. Die gemeinnützige Hagenbeck-Stiftung, durch Spenden im Besitz einer formidablen Kriegskasse, war jahrelang zur Untätigkeit verdammt. Andere Zoos rüsteten auf, Hagenbeck löste sich auf.
Der betriebswirtschaftliche Blick sei es, der Weinlig und Albrecht eine, heißt es aus beiden Lagern. Auch dass die beiden Eigentümer aktuell nicht mehr vor Gericht streiten, sei zumindest auch ein Verdienst von Dirk Albrecht. Und mit dem Geschäftsführer kämen bei der Sanierung die „Räder langsam ins Rollen“.
Weinlig-Hagenbeck bekomme mit, wie Angestellte unter Albrecht litten, heißt es. Aber erstens gefalle ihm der Stil von anonymen Schreiben nicht, zweitens habe er kaum eine Wahl.
Albrecht ist als enger Vertrauter von Claus Hagenbeck der dünne Faden, an dem alle Projekte hängen. „Dass er die Mitarbeiter gut behandelt, glaubt nur er selbst. Aber wenn es um Geld für Investitionen geht, ist er der reine Sonnenschein“, sagt ein „neutraler“ Hagenbecker.
Tierpark Hagenbeck: Die Aussichten im Konflikt
Die Fortschritte sind noch nicht sichtbar – aber dass etwas passiert, sei ein großer Schritt. Für die Klimatechnik im Tropen-Aquarium gibt es eine Finanzierungszusage über eine Million Euro, das Geld kommt von der Hagenbeck-Stiftung. Es warten noch rund ein Dutzend Projekte, unter anderem ein neues Giraffenhaus und ein Betriebshof. Wie Phönix aus der Asche soll der Tierpark auferstehen, hat Albrecht intern gesagt.
Das ist seine Mission, sagen Mitarbeiter: der große Retter. Zwei Jahre werde er noch im Amt bleiben, sagt Albrecht selbst. Und schiebt nach: „Ich werde nicht wegen anonymer Anschuldigungen gehen.“ Er plant eine Mitarbeiterversammlung, eine offene Aussprache.
Die Tage seien „nur noch fürchterlich“, hat eine Mitarbeiterin gesagt. Schon so lange dominierten Streit und Missmut den Tierpark. „Alle warten, dass es besser wird, aber dann wird es noch mal schlimmer“. Und die Aussichten blieben finster. Albrecht genieße seine Macht zu sehr, um freiwillig zu gehen.
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Den Eigentümern sei das Geld und die Sanierung des Tierparks wichtiger, also würden sie auch nichts tun. Nur falls die Staatsanwaltschaft tatsächlich eine Anklage gegen Dirk Albrecht erheben sollte, könnte sich die Lage ändern. Bis dahin gelte: „Man kann nur aushalten, aushalten, aushalten. Oder gehen, was viele schon gemacht haben.“
Tierpark Hagenbeck: Kündigung nach 40 Jahren
Einer, der gegangen ist, war eine kleine Legende. Walter Wolters, 40 Jahre im Tierpark, jahrelang Chef-Tierpfleger. Die „Hagenbecker“ nannten seinen Weggang als einen wesentlichen Grund für ihren offenen Brief und die Rücktrittsforderung. Auch Wolters habe es nicht mehr ausgehalten. Dirk Albrecht ließ Wolters dagegen ein Dokument unterzeichnen, in dem versichert wird, sein Abgang habe nichts mit internen Spannungen zu tun.
Eine Vorsichtsmaßnahme gegen die „Kampagne“, sagt Albrecht. Passagen in dem von Albrecht veröffentlichten Memo sind geschwärzt. Welche Version stimmt, hat Walter Wolters auch engen Wegbegleitern nicht verraten. Sicher sei, sagen sie: „Er wollte einfach Frieden.“