Hamburg. Bei der Kollision mit einem Lkw starb im vergangenen Jahr ein 76-jähriger Radfahrer. Ein Gutachten war für die Richterin entscheidend.
Der eine Kollege vernahm noch ein „metallisches Quietschen“. Der andere bemerkte, dass der Müllwagen über irgendetwas hinweggerollt war. Und auch der Fahrer des tonnenschweren Fahrzeugs bekam mit, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Doch da war es schon zu spät. Der Müllwagen hatte einen Radfahrer erfasst. Das 76-jährige Opfer erlag noch an der Unfallstelle seinen schweren Verletzungen.
Dieses Unglück vom 13. Januar 2020 an der Kreuzung Rüterstraße/Wendemuthstraße ist eines von jenen tragischen Unfällen, wie sie in den vergangenen Jahren in Hamburg und bundesweit immer wieder geschehen sind: Ein Lkw will an einer Kreuzung rechts abbiegen. Neben ihm ist ein Radfahrer unterwegs, der gleichzeitig geradeaus fahren möchte. Der Radfahrer hat Vorfahrt, wird aber vom abbiegenden Lkw-Fahrer nicht bemerkt — mit tödlichen Folgen.
Müllauto fährt Radfahrer in Hamburg tot – Fahrer verurteilt
Jetzt hat das Amtsgericht entschieden, dass der Fahrer des Müllfahrzeugs an jenem Januarmorgen seine Sorgfaltspflicht verletzte und sich somit der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht hat. Die Richterin verhängte eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 60 Euro, also 5400 Euro, für den Angeklagten Sebastian D.
Es handele sich bei dem Unfall, den der 24-Jährige verursacht hatte, um ein „Augenblicksversagen“, erläuterte die Vorsitzende in der Urteilsbegründung. Sie betonte aber auch: Der Angeklagte hätte bei Einhaltung der gebotenen Sorgfaltspflichten „die Kollision vermeiden können“, wenn er sich maximal mit Schrittgeschwindigkeit „in die Kreuzung hinein getastet hätte“. Mit dem Urteil folgte die Richterin im Wesentlichen dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die 120 Tagessätze zu 60 Euro gefordert hatte. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert.
Unfallfahrer war nach dem Unglück fassungslos
Unfallfahrer Sebastian D. war nach dem Unglück fassungslos um sein Fahrzeug herumgelaufen und hatte immer wieder: „O Gott, O Gott, O Gott!“ gestammelt. Das Erlebte habe ihn entsetzt, betonte der 24-Jährige im Prozess. Nach dem Unfall war er für zwei Wochen arbeitsunfähig, war dann längere Zeit auf seinen Touren mit dem Müllfahrzeug ausschließlich als Beifahrer unterwegs, bis er sich schließlich wieder hinters Steuer wagte. Noch heute, erzählte der Hamburger dem Gericht, sei er durch die furchtbare Erfahrung sehr schockiert und belastet und befinde sich in psychologischer Beratung.
Allerdings, so beteuerte er, habe er seinerzeit vor dem Abbiegen sorgfältig in die Fahrzeugspiegel geblickt und sei langsam in die Kurve hineingefahren. „Den Radfahrer habe ich nicht gesehen.“ Ein Kollege von ihm hatte die Geschwindigkeit des Fahrzeugs als „angemessen“ bezeichnet. Und ein Fahrer, der mit seinem Auto hinter dem Müllwagen an der Kreuzung stand, hatte gesagt: „Ich dachte für mich: Der Lkw-Fahrer sieht den Radfahrer nicht.“
Verteidigerin: „Verkettung unglücklicher Umstände“
Der Radfahrer habe nicht gebremst, sondern nach seinem Eindruck „unbedingt vor dem Lkw rübergewollt. Er schrie zweimal ,hey’, hob die Hand. Er wollte sein Recht auf Vorfahrt durchsetzen.“ Ein Sachverständiger hatte ermittelt, dass der Müllwagen seinerzeit mit Tempo 12 rechts abgebogen war, teilweise auch auf 14 km/h beschleunigt hatte — und dass bis zu dem Unglück nicht gebremst worden sei.
Der Staatsanwalt betonte in seinem Plädoyer, es sei richtig, dass ein Lkw-Fahrer beim Rechtsabbiegen sehr viele Faktoren im Blick behalten müsse: entgegenkommende Fahrzeuge beispielsweise, aber eben vor allem auch den rückwärtigen Verkehr. Man dürfe nicht weiterfahren, „wenn man das Gefühl hat, man hat die Szenerie nicht mehr im Blick“. Dagegen sprach die Verteidigerin von einer „Verkettung unglücklicher Umstände“, die zu dem Unfall geführt hätten.
Die Anwältin argumentierte in ihrem Plädoyer, weil bei einem Abbiegemanöver, wie ihr Mandant es vollziehen musste, so viel gleichzeitig beachtet werden müsse, müsse „praktisch jeder Lkw-Fahrer mit dieser Situation überfordert sein“. Verhindert werden könnten solche Unfälle allein dann, „wenn man den Verkehr einfriert“, wenn also rechts abbiegende Autofahrer und geradeaus fahrende Radfahrer nicht gleichzeitig „Grün“ hätten. Vor allem sei Sebastian D. ein „besonnener Autofahrer, kein Crashfahrer“.
Lkw überfährt Radfahrer in Wandsbek: Geschwindigkeit war entscheidend
Die Richterin sagte in ihrer Urteilsbegründung, es sei nicht entscheidend, ob und in welchen Positionen der Radfahrer sichtbar gewesen sein könnte. Entscheidend sei „allein die gefahrene Geschwindigkeit“, die in diesem Fall mit Tempo 12 beziehungsweise Tempo 14 zu hoch gewesen sei.
Bedeutsam sei zudem, „dass es kein Hineintasten in die Kreuzung gegeben hat“. Die Rechtsprechung sei da eindeutig. Demnach dürfe ein Lkw beim Rechtsabbiegen nur mit Schrittgeschwindigkeit unterwegs sein und sich zentimeterweise vortasten. Gleichzeitig müsse er „stets bremsbereit“ sein. Das Sachverständigen-Gutachten habe zweifelsfrei ergeben: Wenn Sebastian D. an jenem Tag so an der Kreuzung gefahren wäre, hätte er den Lkw rechtzeitig anhalten können.
Und der Radfahrer könnte noch leben.