Hamburg. Victoria Butova ist Fotografin und lebt schon lange in der Stadt. Sie verurteilt den Krieg – und wird doch angefeindet.

Auf der Straße wurde sie noch nicht bepöbelt, aber in den sozialen Netzwerken schlägt Russen wie Victoria Butova Hass entgegen, egal in welchen Kommentarspalten. „Dort hasst jeder jeden. Ukrainer Russen, Russen Ukrainer. Alle haben sich radikalisiert, und es ist nur noch Feindseligkeit“, sagt Victoria Butova. Zum ersten Mal schämt sich die Tierfotografin aus Barmbek-Süd für ihre Nationalität. Für das, was im Namen Russlands in der Ukraine geschieht. Und doch kann sie und auch ihre Familie in Russland nichts dafür. „Wenn dort steht: Alle Russen müssen sterben, geht mir das sehr nah.“

Tatsächlich hat die Antirassismus-Beauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, die Diskriminierung von Russen in Deutschland seit Beginn des Ukraine-Krieges beklagt. „Teilweise trauen sich Menschen nicht mehr, Russisch auf der Straße zu sprechen. Das besorgt mich sehr“, sagte Alabali-Radovan dem Abendblatt. „Es gab auch Angriffe auf russische Lebensmittelmärkte, Kinder werden in der Schule beleidigt. Das dürfen wir nicht dulden.“ Der Ukraine-Krieg sei der Krieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin und nicht der Krieg der Russinnen und Russen, so Alabali-Radovan.

Victoria Butova hat Hemmungen, in Hamburg russisch zu sprechen

Bei der Abteilung Staatsschutz des Landeskriminalamtes Hamburg wurden vom 24. Februar bis zum 10. März sechs politisch motivierte Straftaten gegen russische Einrichtungen, Geschäfte oder Staatsangehörige registriert – es ging um Sachbeschädigungen, Beleidigungen und Bedrohungen. Auch Oxana Li vom Hamburger Verein der Deutschen aus Russland berichtet, dass die Stimmung gegen Russlanddeutsche und russischsprachige Menschen rauer werde. Sie befürchtet vor allem, dass Kinder und Jugendliche mit russischem Hintergrund nach den Hamburger Märzferien an den Schulen in den Konflikt reingezogen werden könnten. Sie berichtet von Mobbingfällen an Schulen in Schleswig-Holstein. „Diese Entwicklung ist für uns als Verein, der sich für die Russlanddeutschen einsetzt, besorgniserregend und traurig. Kinder bräuchten besonderen Schutz in diesen Tagen, das bereitet uns große Sorgen.“ Erwachsene hingegen kämen meist allein mit möglichen Anfeindungen zurecht.

Vielleicht. Aber auch an erwachsenen Russinnen wie Victoria gehen die Ressentiments nicht spurlos vorbei. Sie ist zutiefst verunsichert: „Ich merke, dass ich schon eine Hemmung habe, russisch zu sprechen, wenn ich unterwegs bin, wenn ich zum Beispiel mit meinem Bruder telefoniere. Ich habe eine Freundin aus Weißrussland in Hamburg. Ich habe schon gedacht, dass es wahrscheinlich komisch sein wird, wenn wir uns treffen und russisch in der Öffentlichkeit sprechen.“ Und gleichzeitig sprechen viele Ukrainer russisch, auch untereinander, sagt sie. „Und die meisten Deutschen würden wahrscheinlich einen Ukra­iner nicht von einem Russen unterscheiden können.“

Zwei Tage nach Kriegsbeginn flog Butova nach Hamburg

Aber seitdem Krieg ist, ist jegliche Unbefangenheit verschwunden. Als der Angriff auf die Ukraine begann, war Victoria bei ihrer Familie in Moskau. „Es war ein schöner Familienabend. Meine Großeltern sind schon sehr alt, und ich habe mir Gedanken gemacht, wann ich sie wohl wiedersehen werde“, erzählt sie. Dreimal im Jahr besucht die 33-Jährige ihre Verwandten, ihren fünf Jahre jüngeren Bruder, Tanten, ihre Großeltern. Ihre Eltern sind schon tot. Weil der 23. Februar in Russland ein Feiertag, genauer „Männertag“, ist und alle frei haben, bot sich eine Reise in die Heimat an.

Am 24. Februar begann der Krieg, der für Victoria und ihre Familie genauso überraschend kam wie für die meisten. „Mit dieser Eskalation hat niemand gerechnet.“ Und ja, sie spricht von Krieg. Wie vor allem die jüngeren Menschen in Russland bezieht auch Victoria ihre Informationen aus dem Internet, von oppositionellen Journalisten, von der Plattform Meduza und hier in Hamburg aus den deutschen Medien. Auch wenn in Russland laut offizieller Sprachreglung von „spezieller Operation“ gesprochen wird, wüssten die Menschen, dass es ein Krieg ist. Obwohl die sozialen Medien in Russland durch die Sanktionen blockiert sind, bekämen die Jüngeren weiterhin ihre unabhängigen Informationen, berichtet Victoria. Etwa über eine VPN-Verbindung.

Zwei Tage nach Kriegsbeginn flog Victoria nach Hamburg. „Am nächsten Tag gab es schon keine Flüge mehr.“ Wann sie ihre Familie wiedersehen wird, weiß sie nicht, und hofft doch auf den Sommer, hofft, dass dieser Krieg schon sehr viel früher beendet sein wird. Denn seit ihrer Rückkehr ist alles anders. „Die ersten Tage zurück in Hamburg habe ich immer noch nicht verstanden, was da passiert. Ich konnte nur noch Nachrichten lesen.“ In diesen ersten Tagen musste sie viel weinen.

Spendenaktion: Butova verzichtet auf Einnahmen

Um nicht weiterhin passiv und traurig zu sein, hat Victoria eine Spendenaktion ins Leben gerufen. Sie hat sich entschieden, einen Monat lang auf Einnahmen zu verzichten. Vor zehn Jahren war Victoria zum Kunststudium nach Kiel gekommen, hat dann als Webdesignerin gearbeitet und nun als Fotografin. „Auch wenn meine Familie in Russland von den Sanktionen betroffen ist. Aber vielen Menschen geht es viel schlechter als mir.“ Auf ihrem Instagram-Account Fotofell schreibt sie: „Als ich 2007 in Kiew meine ukrainischen Freunde besuchte, wäre es mir nie in den Sinn gekommen, dass diese wunderschöne Stadt, unsere Nachbarn, von Russland angegriffen werden könnte. Umso besorgter bin ich darüber, was nun passiert. Traurig, wie viele unschuldige Menschen darunter leiden.“

Wer mag, kann bei ihrer Aktion Geld für die Ukraine-Nothilfe der UNO Flüchtlingshilfe Deutschland spenden. Danach fotografiert sie die Spender in ihrem Studio in Bahrenfeld. Ob als Porträt, mit Hund oder ohne. „Jede kleine Spende ist wichtig, deswegen biete ich auch ein Mini-Shooting für eine Spende von 50 Euro an.“

Und auch wenn Victoria das aus Respekt vor den Kriegsopfern niemals sagen würde, gehört auch ihre Familie in Russland zu den Opfern. Durch die Sanktionen etwa bekomme ihre über 80-jährige Großmutter nicht mehr ihre Herzmedikamente. Dass die Menschen auf die Straßen gehen und dass diese Proteste etwas ändern könnten, daran würden die Jüngeren nicht glauben. „Bei der jungen Generation gibt es eine große Enttäuschung, nachdem in Weißrussland so viele auf die Straße gegangen waren und es nichts gebracht hat.“ Es sei sehr gefährlich zu protestieren. „Einige meiner Freunde machen das. Ich finde das super mutig.“

Demnächst fährt Victoria nach Göttingen. Dort ist eine Freundin aus Kiew mit ihrem Sohn untergekommen, ohne ihren Mann. Sie hat alles verloren. Victoria war unsicher und hat gefragt, ob sie als Russin noch willkommen sei. Ist sie.