Hamburg. 1840 richtete Schardel Berg in der Stadt einen Tierpark mit 60 verschiedenen Arten ein. Warum die Anlage nur wenige Jahre bestand.
Wenn man den offiziellen Quellen glaubt, ist die Sache eindeutig: Deutschlands erster Zoo wurde 1844 in Berlin eröffnet – so lässt es sich jedenfalls überall nachlesen. Stimmt aber gar nicht, weiß man zumindest bei der Geschichtswerkstatt Horn.
Deren Mitarbeiter Gerd Rasquin und Gerd von Borstel haben im Zuge gründlicher Forschungen herausgefunden, dass es in Horn schon einige Jahre zuvor einen richtigen zoologischen Garten mit allem Drum und Dran gab. Hinter dieser Erkenntnis steckt eine faszinierende Geschichte voller Wagemut und Tragik. Nacherzählt wurde sie kürzlich in den Hamburgischen Geschichtsblättern „Tiedenkieker“ des Vereins für Hamburgische Geschichte.
Stadtgeschichte: Horn lag noch vor dem Stadtgebiet
Rückblick. Im Jahr 1841 gehörte Horn zwar schon zu Hamburg, lag aber noch rund sechs Kilometer vor dem eigentlichen Stadtgebiet: Immerhin pendelte ein Pferdebus, im Sommer sogar stündlich, zwischen dem dort liegenden Gasthaus „Letzter Heller“ und der Petrikirche – eine relativ gute Verbindung gab es also bereits. Irgendwann muss der aus Russland stammende Schardel Heinrich Berg mit seiner fahrenden Tier-Show aus Osten kommend in Horn aufgelaufen sein. Solche „Menagerien“ kamen gerade in Mode, wie Rasquin und von Borstel schreiben.
Der Grund: Auf dem europäischen Festland gab es damals nur zwei zoologische Gärten, die für das Publikum zugänglich waren: in Wien und in Paris. Die meisten Menschen in Europa kannten exotische Tiere nur von Bildern und aus Erzählungen. Entsprechend ließ sich mit solchen Präsentationen viel Publikum anlocken – und gutes Geld verdienen. Bergs rollender Zoo war erstaunlich gut bestückt: Unter anderem gab es einen Panther, einen Jaguar, Lamas, Kängurus und einen Bären. Wie die Horner Geschichtsforscher herausgefunden haben, brachte Berg aus seiner russischen Heimat sogar ein Kamel mit.
Horn war gut an die Stadt angebunden
Irgendwann muss der Dauerreisende den Entschluss gefasst haben, sesshaft zu werden und seine Tiere an einem festen Ort zu präsentieren. Und wie es der Zufall so wollte: Der „Letzte Heller“ stand gerade leer, das anschließende zwei Hektar große Grundstück war verwaist. Für Schardel Berg schienen das ideale Voraussetzungen zu sein – hinzu kam die gute Anbindung an die Stadt.
Wie man sich vor Ort schließlich handelseinig wurde, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Fakt ist: Der kühne Unternehmer pachtete die Gastwirtschaft und ließ den Garten, so zeigt es ein historischer Plan, zu einem schönen, weitläufigen Tierpark umgestalten. Die Eröffnung wurde bereits am 30. Mai gefeiert, dem Pfingstsonntag. Die Anlage erstreckte sich von der Horner Landstraße bis zum heutigen Wall der B 5.
Der Zoo in Horn sollte die Menschen auch informieren
Doch war diese Tierschau damit auch wirklich ein richtiger Zoo? Ja – und davon ist man nicht nur bei der Geschichtswerkstatt überzeugt. „Im Unterschied zu den Menagerien oder fürstlichen Tierparks verfolgten die neu eröffneten Zoos des 19. Jahrhunderts einen Bildungsanspruch. Sie wollten wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Tierhaltung ziehen und diese an die Bevölkerung vermitteln“, lautet die Definition des Verbands der Zoologischen Gärten. Auf verblüffende Weise traf das auch auf die Anlage in Horn zu. Denn Berg stellte die Tiere nicht nur für die zahlende Bevölkerung zur Schau, sondern er ließ auch einen für damalige Verhältnisse relativ aufwendigen 16-seitigen „Führer durch den Zoologischen oder Thiergarten“ drucken, der den Besuchern vielfältige Informationen über die 60 zu sehenden Tierarten lieferte.
Bedauerlich: Von diesem Führer gibt es heute nur noch das in einem älteren Zeitungsartikel abgebildete Foto des Deckblatts, das Heft selbst ist im Archiv des Museums für Hamburgische Geschichte nicht mehr aufzufinden. Ob es von einem Nutzer unterschlagen oder schlichtweg falsch abgelegt wurde, lässt sich zurzeit nicht feststellen. Vielleicht taucht es irgendwann wieder auf, ansonsten würde man sich bei der Geschichtswerkstatt freuen, wenn sich irgendwo noch ein Exemplar auftreiben ließe.
Der Horner Zoo musste schließen
Zunächst war das Unternehmen ein Erfolg. Die Zeitung „Hamburger Anzeiger“ schrieb im Sommer 1941: „Der Zoologische Garten scheint immer mehr die Gunst des gebildeteren Publicums (...) zu gewinnen.“ Er biete die Gelegenheit „Lehrreiches mit Unterhaltendem zu verbinden“. Berg bemühte sich nach Kräften, Besucherinnen und Besucher bei Laune zu halten, indem er laufend neue Tiere hinzukaufte, darunter Schlangen, Affen, Krokodile und eine große Landschildkröte. Eine besondere Attraktion war, genau wie bei heutigen Tierparks, die öffentliche Fütterung um 18 Uhr.
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Das Ende des Horner Zoos kam unerwartet schnell. Berg war vom Pech verfolgt. Der Hamburger Brand im Jahr 1842 hatte zur Folge, dass die Besucherinnen und Besucher aus der Stadt ausblieben – man hatte schlichtweg andere Sorgen. Hinzu kamen offenbar einige länger anhaltende Schlechtwetterperioden, die der Neu-Norddeutsche Berg unterschätzt haben mag. Es hat durchaus etwas Anrührendes, dass Berg zunächst versuchte, seinen Zoo mit viel Werbung und Dumpingpreisen am Leben zu erhalten, doch auch das war letztlich vergebens. Der programmatische Name des örtlichen Gasthauses erwies sich als böses Omen: Enttäuscht und pleite zog der tapfere Zoo-Gründer schließlich zurück nach Russland.
Stadtgeschichte: Erster Zoo nicht in Berlin
Der „Letzte Heller“ überdauerte die Zeit, wurde aber, wie so viele andere historisch bedeutende Orte, im Zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstört. In der Tat müsste die deutsche Zoogeschichte nun eigentlich neu geschrieben werden. Wie Gerd von Borstel erzählt, sei Horns verschüttete Zoogeschichte in Fachkreisen zwar bekannt, allerdings werde Berlins (angebliche) Pionierstellung mittlerweile mithilfe eines Kunstgriffs verteidigt. „Mir wird dann gesagt, Berlin sei der älteste Zoo, der immer noch als solcher erhalten ist“, so von Borstel zum Abendblatt. So kann man es zur Not natürlich auch drehen, aber korrekt ist es nicht. Und auch ziemlich unfair.