Hamburg. Historiker führt durch die letzten 1000 Jahre Hamburger Geschichte. Das Schmuddelwetter soll damals sogar einen Papst dahingerafft haben.

40.000 Baumstämme muss man erst einmal auf oder in die Reihe kriegen. 70.000 Ochsenkarrenladungen waren ebenfalls nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Wenn bei Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt dann noch Regen peitscht und Sturm herrscht, sollte man ein Ziel vor Augen haben.

So wie am gestrigen Sonntag. Und wie vor exakt 1000 Jahren. Damals, anno 1022, hatten unsere Vorfahren alle Hände voll zu tun, eine neue Burg in Hamburg zu errichten – am heutigen Nikolaifleet. Es galt, sich beutelustiger und blutrünstiger Feinde zu erwehren. Ein großer Gegner war außerdem die Flut. An Alster und Elbe war oft Land unter. Zumindest das hat sich also seit einem Jahrtausend nicht geändert.

Um dieser spannenden Geschichte auf den Grund zu gehen, finden sich am Sonntag um 11 Uhr ein Dutzend Interessierter neben der Hauptkirche St. Petri in der Innenstadt ein. Organisiert vom Archäologischen Museum in Harburg, macht sich Fachmann Dominik Kloss mit seinen Gästen auf den Weg in die Vergangenheit. Offizielles Motto: „Burgen in Hamburg – eine Spurensuche“. Das fürchterliche Wetter kann eine aufrechte Norddeutsche nicht erschüttern. Ist schließlich ein laues Lüftchen im Vergleich zu Freitag.

Ein Blick auf die Neue Burg, die vor 1000 Jahren entstand. Es galt nicht nur, sich blutrünstiger Feinde zu erwehren, sondern auch Fluten.
Ein Blick auf die Neue Burg, die vor 1000 Jahren entstand. Es galt nicht nur, sich blutrünstiger Feinde zu erwehren, sondern auch Fluten. © Archäologisches Museum Hamburg und Stadtmuseum Harburg | Unbekannt

Geschichte von Hamburg: Die Hammaburg wurde plattgemacht

„Schon unsere Ahnen bauten Deiche“, sagt Stadtführer Kloss kurz nach der Begrüßung. Eineinhalb spannende Stunden an seiner Seite sollen am Hopfenmarkt ausklingen. In der Gegend waren in den Jahren 1021 bis 1023 Hamburger Einwohner damit beschäftigt, ihre neue Burg zu errichten.

An der Stelle der nach und nach drei Hammaburgen auf dem Platz an der heutigen Domstraße, dem Alten Fischmarkt sowie dem Speersort wurden dann eine große Kirche und später die Gelehrtenschule Johanneum errichtet. Mit Fertigstellung der sichereren Neuen Burg hatte die Hammaburg ausgedient. Sie wurde plattgemacht. Ausnahmsweise von eigener Hand und nicht durch Eroberer.

Die präzisen Jahreszahlen lassen sich durch Baumringe im Erdreich gefundener Stämme errechnen. Bei Ausgrabungen 2014/15 auf dem Hopfenmarkt und vor zwei Jahren an der Neuen Burg am Nikolaifleet ergaben sich Fakten wie diese. In Kirchenchroniken, bis dato verlässlichste Quelle, waren über Jahrhunderte falsche Angaben enthalten. Die moderne Wissenschaft ordnet den Burgbau nun 40 Jahre früher ein.

Ausstellung „Burgen in Hamburg“

Der mit einer Palisade bestückte Burgwall schützte vor feindlichen Attacken. Und vor Hochwasser. Die untere Hälfte des gut fünf Meter hohen Walls funktionierte als Deich. Im Unterschied zur Gegenwart hatte Hochwasser niedrigere Dimensionen als heute.

Stadtführer Dominik Kloss braucht keine Schnörkel, um auf den Punkt zu kommen. 3 Euro Gebühr, das begreifen die Teilnehmer rasch, kann man durchaus als Freundschaftspreis sehen. Wer an Hamburgs faszinierender Geschichte, an mittelalterlichen Befestigungsanlagen und neuen Forschungsergebnissen interessiert ist, wird im Archäologischen Museum nahe dem Harburger Rathaus fündig. Die Ausstellung „Burgen in Hamburg“ läuft noch bis Ostern.

Die nächsten Innenstadt-Führungen mit Dominik Kloss stehen am 6. März und 3. April auf dem Programm. Der 37 Jahre alte Althistoriker, gebürtiger Hamburger mit Faible für die Wurzeln seiner Heimatstadt, verfügt über das Talent, Fakten fesselnd und anschaulich zu vermitteln. Zwischenfragen aus der Gruppe würzen den Rundgang. Oberlehrer sind nicht dabei.

Ein Papst soll  durch Hamburger Schietwetter gestorben sein

Statt eines stabilen Schirms trägt Kloss eine Aktentasche. Darin befinden sich farbige Computersimulationen in Klarsichtfolien. An passender Stelle werden sie herumgereicht. Jeder kann sich ein Bild machen: So sah es hier vor 1000 Jahren oder mehr aus. Vom Fundament des alten Bischofsturms abseits von St. Petri geht es über den Speersort auf die Grünanlage vis-à-vis, den Domplatz. Dort verstarb Mitte des 10. Jahrhunderts Papst Benedikt V. – der Legende nach an den Folgen des „Hamburger Schmuddelwetters“. Genau diese Bezeichnung ist in historischen Werken nachzulesen.

Während der Tour an diesem Sonntag gut ein Jahrtausend später kann man es ansatzweise nachvollziehen. Regen und Wind nehmen zu. Drei Grad bleiben. Schwer vorstellbar ist dagegen die Leistung anno 1022, etwa 40.000 Bäume zu fällen, mit Ochsenfuhrwerken heranzukarren. Aus Holz und Klei entstand binnen zwei Jahren die Neue Burg. Neben dem knapp 40 Personen umfassenden Hofstaat des Billungerherzogs Bernhard II. lebten rund 600 bis 800 Menschen in der Siedlung nebenan – zumeist Kauf­leute und Handwerker.

Infos, über die es keine aktuellen Schulbücher gibt

Bevor Dominik Kloss die Gruppe Richtung Nikolaifleet lotst, erklärt er die Bedeutung von originellen Straßen­namen wie Kattrepel, Schopenstehl oder Kleine Reichenstraße. Es gibt unterschiedliche Deutungen. Die Informationen kommen gut an. Und stoßen auf lebhafte Diskussionen. Vorübergehend wird das Schietwetter vergessen.

Mit einem Hauch Fantasie erwacht die Kindheit der heutigen Hansestadt zum Leben. Umso erstaunlicher, dass es darüber keine aktuellen Schulbücher mehr gibt. In guter Gesellschaft mit anderen Lokalpatrioten arbeitet Dominik Kloss als Autor des „Das Hamburg-Geschichtsbuchs“ im Internet.

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