Hamburg. Michael und Alexander Otto sprechen über ihre Kindheit, den Einstieg ins Familienunternehmen und die neuen Pläne für die Büros.

Der eine ist Jahrgang 1943 und hat vom Vater einst den Versandhändler Otto übernommen. Der andere ist Jahrgang 1967 und folgte dem Papa als Chef von ECE nach, das früher vor allem Shoppingzentren betrieb und heute auch ein weltweit agierendes Immobilienunternehmen ist. Michael und Alexander Otto gehören nicht nur zu den erfolgreichsten Unternehmern des Landes, sie sind auch große Stifter und Vordenker.

Der älteste und der jüngste Sohn von Werner Otto (1909–2011) haben noch nie gemeinsam ein Interview gegeben – bis jetzt. Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider traf die Ottos zur Aufzeichnung des ersten gemeinsamen Gesprächs vor rund 100 Gästen im Hotel Grand Elysée. Das sagen Michael und Alexander Otto über …

… ein Brudergefühl, das sich anders entwickeln muss, wenn man nie zusammen gelebt hat.

Alexander Otto: „Ich habe gute Erinnerungen daran, dass wir am Wochenende zu meinem Bruder gefahren sind, wo er studiert hat. Die Fahrt dorthin war immer eine große Freude, aber wir hatten auch eine Sorge. Denn das waren die wenigen Strecken, die mein Vater selbst gefahren ist. Er hatte nicht besonders viel Fahrpraxis, da ging es auch schon mal über den Bordstein, meine Mutter hatte manchmal richtig Angst.“

Michael Otto: „Nach dem Studium und der Promotion bin ich nach Hamburg zurückgekommen, von da an haben wir uns häufiger gesehen. Alexander war dann auch schon älter, und wir haben ein starkes Familiengefühl entwickelt, obwohl wir als Brüder nie zusammen in einem Haushalt gelebt haben.“

Alexander Otto: „Mein Bruder spielt eine wichtige Rolle in meinem Leben. Ich trete in mehrfacher Hinsicht in große Fußstapfen. Einmal in die meines Vaters, der für uns beide ein Vorbild war. Und ich fand es enorm, was mein Bruder alles geleistet und aufgebaut hat. Wir beide haben uns schon früh dafür interessiert, was in der Firma passiert, wir haben beide viel Freude daran gefunden. Auch dadurch ist eine besondere Verbindung entstanden.“

… den eigenen Weg in die Unternehmen, die ihr Vater Werner Otto gegründet hat:

Michael Otto: „Ich bin mit dem Unternehmen aufgewachsen. Ich war nach dem Krieg täglich in der Schuhfabrik, die mein Vater gegründet hatte. Damals war ich sechs Jahre alt und habe die Lederreste, die in einem Extraraum gesammelt wurden, auf große Stücke untersucht. Die habe ich genommen und an den Schuster in der Nachbarschaft verkauft, dadurch habe ich etwas Geld verdient. Mein Vater hat mir früh gesagt, dass ich das Unternehmen eines Tages übernehmen würde, und tatsächlich habe ich nach dem Abitur nur einmal darüber nachgedacht, ob das Leben als Unternehmer wirklich etwas für mich sei. Ich hätte mir auch vorstellen können, Medizin zu studieren. Am Ende habe ich mich für das Unternehmertum entschieden und habe das bis heute nicht bereut.“

Alexander Otto: „Mein Vater hat mich in seinem zweiten Unternehmen, der ECE, auch früh mitgenommen. Wir haben uns zum Beispiel gemeinsam Shoppingcenter in den USA angesehen. Es schien gesetzt zu sein, dass ich eines Tages seine Nachfolge antrete, da war die Entwicklung sehr ähnlich wie bei meinem Bruder. Mir macht es einfach viel Spaß zu arbeiten und dabei sowohl analytisch als auch kreativ zu sein.“

… die Frage, wann man als Kind merkt, dass man in einer besonderen Familie aufwächst:

Michael Otto: „Das habe ich eigentlich bis heute nicht bemerkt. In den ersten vier Jahren in Hamburg haben wir zu viert in einer Zweizimmerwohnung gelebt, vorher waren wir als Flüchtlinge in Bad Segeberg untergebracht. Die Wohnung hatte kein Badezimmer, wir Kinder wurden einmal in der Woche in der Zinkwanne abgeschrubbt, und über den Hof war das Plumpsklo. Von der Seite war das definitiv keine besondere Familie, das hat sich nach und nach entwickelt und kommt einem dann ganz normal vor.“

Alexander Otto: „Ich bin sicherlich privilegiert aufgewachsen. Auf der anderen Seite gab und gibt es auch eine Menge Erwartungen.“

… Werner Otto, den Vater und Unternehmensgründer, und was ihm wichtig war:

Michael Otto: „Sein Antrieb war die unternehmerische Aufgabe, das war es, was ihm Spaß gemacht hat. Wenn irgendwo einer eine Idee hatte, hat er die Idee gleich weitergesponnen, sodass es Freunde gab, die manchmal schon gedacht haben, er wolle ihnen die Ideen klauen …

Alexander Otto: „Ihn hat immer die Zukunft interessiert. Er war kein Mikro-Manager, sondern eher einer für die großen Linien. Sein Ziel war, ein Unternehmen aufzubauen und es in gute Hände zu geben, um dann zu schauen, was das nächste Projekt ist.“

Michael Otto: „Über die Vergangenheit zu reflektieren, kann mal ganz interessant sein, aber das ist ja nichts, was einen weiterbringt. Entscheidend ist, sich immer wieder mit der Zukunft auseinanderzusetzen, denn in der Zukunft gedenken wir zu leben.“

Alexander Otto: „Mein Vater war bis ins hohe Alter im Unternehmen tätig, aber das in einer sehr angenehmen und motivierenden Weise, gerade, weil er sich in Details eben nicht eingemischt hat. Er wollte uns als Söhne nicht kontrollieren, sondern weiter teilhaben am Unternehmen und Impulse geben. Das hat die Zusammenarbeit leicht gemacht. Am liebsten hätte er mich schon mit 27 Jahren in den Chefsessel gesetzt. Das zeigt, dass er ein sehr starkes Vertrauen in mich hatte, genauso, wie er es zuvor in meinen Bruder gehabt hatte.“

Michael Otto: „Es konnte ihm eigentlich gar nicht schnell genug gehen, dass ich ins Unternehmen komme. Zu mir hat er gesagt: Ach, Abitur musst du nicht machen, fang doch gleich bei mir an. Aber ich wollte erst mal unabhängig werden, habe deshalb eine Banklehre gemacht, dann studiert und mich selbstständig gemacht. Für unseren Vater war es selbstverständlich, dass Alexander und ich in die Unternehmen kommen. Aber wenn wir grundsätzlich etwas anderes hätten machen wollen, hätte er es auch akzeptiert, so wie bei seinen übrigen Kindern.“

Unter Brüdern: Michael Otto (l.) und Alexander Otto bei „Entscheider treffen Haider“ im Hotel Grand Elysée in Hamburg.
Unter Brüdern: Michael Otto (l.) und Alexander Otto bei „Entscheider treffen Haider“ im Hotel Grand Elysée in Hamburg. © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services

… den ersten Job im Familienunternehmen als normaler Angestellter:

Alexander Otto: „Ich muss zugeben, das war eine anstrengende Zeit. Diese ersten sechs Jahre, in denen ich unter anderem als Projektentwickler bei ECE gearbeitet habe, waren die härtesten, weil ich meinen Job sehr gut erledigen musste – mindestens so gut wie die Kolleginnen und Kollegen, eigentlich sogar besser, und gleichzeitig gute Beziehungen in einem Unternehmen aufbauen musste, in dem mein Weg vorgezeichnet war. Mein Vorgänger als ECE-Chef, Heinrich Kraft, hat mich sehr eng begleitet und auf eine freundliche, aber bestimmte Art auch mal Hinweise gegeben, so was wie: ,Das hätte ich jetzt anders gemacht.‘ Das war sehr hilfreich.“

… Transparenz und Öffentlichkeit:

Michael Otto: „Wir haben sehr früh gesagt, dass wir transparent sein wollen, weil wir als Unternehmen ein Teil der Gesellschaft sind. Deshalb haben wir entschieden, unseren Jahresabschluss zu veröffentlichen. Es gibt ja bis heute große Familienunternehmen, von denen man nicht weiß, welche Gewinne sie machen, weil sie diese nicht veröffent­lichen. Das ist nicht unser Stil.“

… Nachhaltigkeit und den Kampf gegen den Klimawandel:

Michael Otto: „Mich hat 1972 der erste Bericht des Club of Rome, ,Die Grenzen des Wachstums‘, sehr beeindruckt. Mir war damals klar, dass man nicht nur Bewusstsein für die ökologischen Veränderungen entwickeln, sondern dass man vor allem etwas dagegen tun muss. Und da muss jeder Bürger und jeder Unternehmer bei sich selbst anfangen. 1986 habe ich Umweltschutz zum Unternehmensziel erklärt, und Unternehmerkollegen haben damals freundlich gesagt, dass ich schon ein Exot sei … Auch die Meinungen bei uns in der Firma waren geteilt, weshalb es wichtig war, gute Vorschläge aus dem Unternehmen zum Thema Umwelt sehr schnell umzusetzen, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter merkten, dass es uns, dass es mir damit ernst war. Es dauert zehn bis 15 Jahre, bis man so etwas in die DNA eines Unternehmens hineinbekommt, aber da wir früh angefangen haben, ist es jetzt Teil unserer Unternehmenskultur. Heute ist der Vorteil, dass die Bereitschaft auch in der Öffentlichkeit, sich mit ökologischen Fragen zu beschäftigen, viel größer ist.“

Alexander Otto: „Wir merken, wie wichtig vielen Bewerberinnen und Bewerbern Themen wie Umweltschutz, soziales Engagement und Nachhaltigkeit sind. Wer da nicht vorn mit dabei ist, wird langfristig Probleme haben, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. Für mich war es toll, dass ich in diesen Fragen mit meinem Bruder ein Vorbild hatte, von dem ich viele gute Dinge übernehmen und für die ECE weiterentwickeln konnte. Es liegt aber nach wie vor ein riesiger Weg vor uns. Entscheidend ist, dass wir jetzt schnell ins Handeln kommen, um Verbesserungen und Fortschritte zu erzielen. Und es ist wichtig, dass wir möglichst viele Menschen dabei mitnehmen, damit der Kampf gegen die Klimakrise die Gesellschaft nicht spaltet, wie wir das zum Teil in den USA erlebt haben, wo ein Klimawandel-Leugner wie Donald Trump Präsident werden konnte.“

… die Pläne der Ampel-Regierung zur künftigen Energieversorgung:

Michael Otto: „Wenn wir unsere Zielsetzungen zum Klimaschutz erreichen wollen, brauchen wir jetzt eine Beschleunigung in unseren Anstrengungen. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung sind die wichtigsten Punkte aufgeführt. Es geht jetzt darum, wie schnell wir sie umsetzen.“

Alexander Otto: „Als Unternehmer versucht man bei einer Strategieänderung erst einmal die Voraussetzung zu schaffen, dass diese Veränderung auch funktioniert. Insofern sind die energiepolitischen Pläne der Bundesregierung mutig, etwa, wenn man die Kernkraft schon abschaltet, ohne zuvor die Alternativen dafür gesichert zu haben. Ich glaube, dass Kernkraft nachhaltig keine vernünftige Strategie ist, darüber sind sich alle einig. Aber wir müssen auch die nächsten zehn bis 20 Jahre in der Energieversorgung vernünftig hinbekommen. Das ist eine große Herausforderung.“

Michael Otto: „Es ist ambitioniert, was die Ampel vorhat, aber es ist machbar, zumal wir Gas als Übergangslösung haben. Was wir brauchen, ist ein deutlicher Ausbau der erneuerbaren Energien, bei denen die technologischen Fortschritte zum Glück sehr groß sind. Die nutzen aber nichts, wenn wir die Genehmigungsverfahren nicht beschleunigen. Das ist ein Thema, bei dem die neue Regierung nicht ehrgeizig genug ist, auch wenn sie sagt, dass man die Genehmigungszeiten halbieren will. Doch wenn die Genehmigung eines Windparks statt bisher acht künftig vier Jahre dauert, werden wir unsere Ziele nicht erreichen können. Das muss viel schneller gehen, und das ist möglich, übrigens auch mit einer ausreichenden Bürgerbeteiligung.“

Alexander Otto: „Und wir müssen uns klarmachen, dass bei der Bekämpfung des Klimawandels internationale Lösungen gefragt sind und es nicht reicht, sich auf kleine, lokale Lösungen zu konzen­trieren.“

… Einkaufen in Einkaufszentren (von ECE) oder Bestellungen im Internet (bei Otto) und die Frage, was nun eigentlich nachhaltiger ist:

Alexander Otto: „Im Moment hat es der Onlinehandel leichter als der stationäre Einzelhandel. Wenn man sich mit Maske ins Einkaufscenter begeben und gegebenenfalls noch an jeder Geschäftstür den Impfnachweis vorzeigen muss, ist das kein Vergnügen. Die Pandemie hat im stationären Handel zu einem Umdenken und der Einsicht geführt, dass man sich allein auf den Verkauf im Geschäft nicht verlassen kann, sondern verschiedene Kanäle bedienen und zukünftig auch aus den Läden heraus liefern muss. Otto und ECE haben dafür ein Gemeinschaftsunternehmen gegründet, das zwar noch in den Kinderschuhen steckt. Aber die ersten Händler, die mitmachen, haben schon erstaunliche Ergebnisse erzielt. Da wird noch viel passieren.“

Michael Otto: „Was die Frage der Nachhaltigkeit angeht, gibt es mehrere wissenschaftliche Untersuchungen, die sagen, dass der Onlinehandel umweltfreundlicher ist …“

Alexander Otto: „… ich kenne auch andere Untersuchungen …“

Michael Otto: „… es gibt Untersuchungen von verschiedenen Institutionen, die die CO2-Belastung analysiert haben. Der Vorteil des Onlinehandels ist, dass bei einer Zustellung 100 bis 150 Haushalte an einem Tag beliefert werden. Dagegen stellt man in den Studien den CO2-Verbrauch, wenn diese Menschen zum Einkaufen in die Geschäfte gehen oder fahren würden, die Energiebilanz der Geschäfte, etwa die Beleuchtung von Geschäften und Einkaufszentren, etc. Der Bau der Läden ist dort noch nicht einmal eingerechnet. Dann würde es für den stationären Handel noch schlechter aussehen.“

Alexander Otto: „In unserer idealen Welt kommen die meisten Menschen mit dem ÖPNV oder dem Fahrrad ins Einkaufszentrum …“

Michael Otto: „… dann braucht man ja keine Parkplätze mehr …“

Alexander Otto: „… und erledigen dort ihre Einkäufe gebündelt, was im Moment auch stimmt, weil zurzeit kaum noch jemand zum Bummeln in ein Einkaufszentrum kommt. Und ich widerspreche meinem Bruder selten und ungern, aber die Zustellung verläuft nicht überall so effizient wie bei Otto. In den USA, wo wir sehr stark in Wohngebäude investieren, haben sich die Aufbewahrungs­räume für Pakete von Onlinehändlern in den vergangenen Jahren verdreifacht, eigentlich müsste man Amazon dort eine Miete abverlangen.“

… die Zukunft der Innenstädte und des Wohnungsbaus:

Alexander Otto: „Was dabei am meisten helfen würde, wäre der Bürokratieabbau. In vielen der Bereiche, in denen wir investieren, gibt es in Deutschland große bürokratische Hürden. Allein der Lärmschutz spielt eine gigantische Rolle. In den USA bauen wir unsere Wohnungen für knapp die Hälfte dessen, was wir in Deutschland dafür rechnen müssen. So wird das Ziel der Bundesregierung, jedes Jahr 400.000 Wohnungen zu bauen, die auch bezahlbar sein sollen, schwierig zu erreichen sein. Braucht man immer einen Architekturwettbewerb für jeden Standort, oder wollen wir schnell Wohnraum schaffen? Das ist nur eine von vielen Fragen, die wir uns in Deutschland stellen müssen und die alle viel mit Bürokratieabbau zu tun haben.“

… Homeoffice und Veränderungen der Unternehmenskultur in der Pandemie:

Alexander Otto: „Uns war es wichtig, dass der Mitarbeiter und die Mitarbeiterin die Wahl haben, wie sie in der Pandemie arbeiten wollen. Und wir sehen, wo wir langsam aus der Pandemie herauskommen, dass die Menschen nicht komplett ins Büro zurückkehren. Wir müssen jetzt schauen, dass wir in einem knappen Arbeitsmarkt den neuen Bedürfnissen gerecht werden.“

Michael Otto: „Wir hatten bereits vor Corona einen Homeoffice-Anteil von 20 bis 30 Prozent. Deshalb ist uns der Übergang auf 95 Prozent Homeoffice leichter gefallen als anderen. Das hat reibungslos funktioniert, zumindest in der Verwaltung. Wir gehen davon aus, dass wir nach Corona einen Homeoffice-Anteil zwischen 40 und 50 Prozent haben werden. Wie das geregelt wird, stellen wir den Bereichen frei. Wir brauchen aber einen Anteil an Präsenz. Für die Unternehmenskultur ist es wichtig, dass man sich auch persönlich trifft, und das gilt für kreative Diskussionen und Prozesse ganz besonders. Das ist über Videokonferenzen mühselig.“

Alexander Otto: „Wir sind tatsächlich dabei, unsere Bürowelt umzugestalten, weil wir künftig weniger Fläche benötigen werden.“

Michael Otto: „Das machen wir auch. Wir überarbeiten unsere Büroausbau­flächen, weil wir bei Weitem nicht mehr den Platz brauchen, mit dem wir noch 2019 gerechnet haben. Das wird sich übrigens auch auf dem Markt für Gewerbeimmobilien bemerkbar machen.“

Alexander Otto: „Wir haben den Umstieg aufs Homeoffice geschafft, ohne großartig viele Regeln einzuführen. Die Leute können sich in den jeweiligen Teams weitgehend selbstständig organisieren.“

Michael Otto: „Im Grunde ist Homeoffice eine Frage der Unternehmens­kultur und des Vertrauens zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die man nicht jetzt erst aufbauen muss, sondern die schon da sein sollte.“