Landkreis Harburg. So kreativ Musikschulen waren kreativ, um den Unterricht aufrecht zu erhalten. Obwohl Niedersachsen Schlusslicht bei der Förderung ist.

Eine Chorprobe während einer Pandemie auf die Beine zu stellen, war und ist kompliziert – besonders dann, wenn der Chor 40 Mitglieder zählt wie der Pop Secret, den Angela Maack an der Winsener Musikschule leitet. Zu viele Aerosole gelangen beim gemeinsamen Singen in die Luft, weswegen nach wie vor nur virtuelle Räume Sicherheit bieten.

Aber diese bringen das nächste Problem mit sich: Die Sänger und Sängerinnen können sich nicht gegenseitig hören. „Somit sangen die Laien dann bei unseren Zoom-Proben immer mit mir mit, egal welche Stimme ich gerade sang“, erinnert sich die Chorleiterin aus dem Landkreis Harburg schmunzelnd an die Proben im Frühjahr 2020.

Winsener Musikschule im Landkreis Harburg extra verkabelt

Ihr Lebensgefährte, ein Veranstaltungstechniker, brachte eine zündende Idee ins Spiel: Im Hause Maack wurden Kabel durch Türen und Fenster gelegt. Und nach einem Soundcheck konnten die Geübteren unter den Chormitgliedern in unterschiedlichen Räumen, aber im selben Haus, beziehungsweise im Auto und Wohnmobil davor, gemeinsam singen. Die Laien-Sänger waren ihren „Säulensängern“, wie Maack sie nennt, von zu Hause aus zugeschaltet.

Das Konzept hatte Erfolg. Es erhielt eine derart positive Resonanz, dass der Chor während der Pandemie sogar Mitglieder hinzugewinnen konnte, und die Winsener Musikschule das Konzept übernahm. Mit einem Unterschied: Im Musikschulgebäude bohrte Bernd Günther, der Lebensgefährte von Angela Maack, tatsächlich Löcher in die Wände, um die Räume miteinander zu verkabeln. Der Fernsehsender RTL dokumentierte im Dezember die ersten Proben, die wieder in der Schule stattfanden. Positiver Nebeneffekt: Von nun an kann hier auch professionell Musik aufgenommen werden. „Ohne den Mann unserer Chorleiterin wäre so etwas nicht möglich gewesen“, sagt der Winsener Musikschulleiter Michael Nix und spielt auf ein Problem an, das die Musikschulen im Land Niedersachsen vereint: Die schlechte Fördersituation.

Mit Corona und den Maßnahmen während der Pandemie habe sein Unbehagen nur wenig zu tun, erläutert Nix: „Die Winsener Musikschule ist mit eineinhalb blauen Augen davongekommen.“ Von rund 1500 Schülern sind 1300 geblieben, 100 kamen neu hinzu. Nach einer langen Phase, während der Unterricht digital stattfinden musste, könne man auch in puncto Unterrichtsform aufatmen, berichtet Nix: 95 Prozent des Unterrichts finden aktuell wieder in Präsenz statt.

Zuschuss für Musikschule Winsen erhöht – doch dies reicht nicht

Außerdem erhielt die Winsener Musikschule Ende Januar die gute Nachricht, dass sich der Zuschuss pro Schülerkopf, von der Stadt und den Gemeinden Stelle, Drage und Marschacht, 2022 erhöht. 190 Euro hatte Schulleiter Nix beantragt und 190 Euro soll seine Schule auch erhalten. Somit erhöht sich der Betrag – wohlgemerkt nach 15 Jahren – um 25 Euro. Ein Grund zur Freude, könnte man annehmen. Die bewilligte Fördersumme sei noch viel zu gering, sagt Nix.

Den Musikschulen im Land Niedersachsen fehle es generell an finanziellem Spielraum und dass sei durch die Pandemie besonders sichtbar geworden. Etwa daran, dass das Haushaltsgefüge, wie Nix es nennt, ins Ungleichgewicht geraten sei. Denn eigentlich sollen die Einnahmen durch den Gruppenunterricht ausgleichen, was der Einzelunterricht an Lücken verursacht. Dieses System wurde während der Pandemie hinfällig. Schließlich erhält der Lehrer immer denselben Betrag für seine Unterrichtseinheit – auch wenn sich die Größe der Gruppe und somit auch die eingenommene Gebühr halbiert. Das große Problem: Für bedürftige Familien, die den Unterricht nicht aus eigener Tasche bezahlen können, lasse der Haushalt der Schule kaum eine Ermäßigung zu.

Förderung kommt in Niedersachsen aus Glückspielabgaben

Dass die Chorproben von Pop Secret trotz Corona in gewohnter Größe stattfinden konnten, ist eine Besonderheit. Von sieben Chören, die an der Musikschule Winsen angesiedelt waren, ist neben dem Popchor nur ein achtköpfiger Kinderchor übriggeblieben. Auch Gruppenangebote in Kooperation mit Grundschulen und Kindergärten brachen weg.

Klaus Bredl, Geschäftsführer des Landesverbands der Musikschulen in Niedersachsen, kann die Unzufriedenheit des Winsener Musikschulleiters sehr gut nachvollziehen: „Niedersachsen ist mit Schleswig-Holstein Schlusslicht, was die Förderung von Musikschulen anbelangt.“ Lediglich zirka 1,4 Prozent der Betriebskosten würde Niedersachsen übernehmen, dabei liege der Bundesdurchschnitt bei zehn Prozent. „Gerade aktuell sind Musikschulen allerdings so wichtig im Hinblick auf Ganztagsschulen“, wirft Bredl ein, „ob als Verein oder kommunale Einrichtung: Ihre Strukturen müssen gesichert werden.“

74 öffentliche Musikschulen gibt es im Land. Hiervon befinden sich 33 in kommunaler oder anderweitiger Trägerschaft und 41 werden von Vereinen getragen. Letzteres trifft auf alle öffentlichen Musikschulen im Landkreis Harburg zu. Die Finanzhilfe des Landes für alle 74 beläuft sich auf rund eine Million Euro jährlich, die Mittel stammen aus Glückspielabgaben. Im Durchschnitt erhalten alle niedersächsischen Musikschulen, die von einem Verein getragen werden, 184 Euro von Kommunen und Landkreisen. Wobei sich ihre Kosten pro Kopf auf 467 Euro belaufen.

Corona brachte kaum Einbußen, macht aber schlechte Förderung sichtbar

In der Musikschule Hollenstedt sei man relativ unbeschadet durch die Pandemie gekommen, berichtet Schulleiter Claus Schröder. Man habe kaum Schüler verloren, eher Gegenteiliges ist der Fall: „Viele Erwachsene haben sich neu angemeldet und wollen ein Instrument lernen“. Bei manchen Instrumenten wie etwa dem Klavier, sei es allerdings schwierig, Abstand im Präsenzunterricht einzuhalten: „Der Lehrer hat dann ein eigenes Keyboard im Raum stehen.“

Die Leiterin der Musikschule Samtgemeinde Hanstedt, Saskia Reher, berichtet Ähnliches. Auch private Spenden halfen hier über die Runden. Verluste in der Schülerschaft gibt es in Hanstedt aber schon: Insgesamt 80 hätten sich abgemeldet. Außerdem beklagt Reher den kleinen Kreis ihres Lehrpersonals: „Nur 20 Lehrer sind für uns schon fast zu wenig.“ Die Schule könne wegen der schlechten Kulturförderung auch fast keine guten Löhne zahlen, sagt Reher und weist ebenfalls darauf hin, dass die Pandemie nicht das Problem sei: Man habe sich gewöhnt, wechsele – sobald ein Kind in Quarantäne ist – in den Online-Unterricht. Das Problem sei die allgemeine schlechte Förderung des Landes. Vonnöten sei ein Kulturfördergesetz wie es andere Länder bereits haben.

Dass noch in dieser Legislaturperiode eines verabschiedet werde – Reher ist selbst Mitglied im Vorstand des Landesverbandes niedersächsischer Musikschulen – hält die Musikschulleiterin aber für unwahrscheinlich.

„Wir sind sehr gut durch die Pandemie gekommen“, sagt Thomas Hansen, Leiter der Musikschule für die Stadt Buchholz in der Nordheide. Corona habe in Bezug auf die Schülerzahl keinen Ausschlag gegeben. „So hatten die Lehrer auch keine finanzielle Einbüßen“, berichtet er. Und das sei so wichtig gewesen, schließlich seien den Musikschullehrern, die allesamt auch als Musiker tätig sind, ansonsten alle Einnahmen weggebrochen. Die Nachfrage nach Unterricht ist in Buchholz mehr als stabil. Gerade erst hat Hansen wieder neues Lehrpersonal eingestellt. Dass zwischenzeitlich digital unterrichtet werden musste, hatte – wie in Winsen – einen positiven Beigeschmack, der auch aktuell im Präsenzunterricht einfließt: Schüler lernen, sich mithilfe von kostenloser Software aus dem Netz aufzunehmen, um dann mit sich selbst im Duett zu spielen.

In Buchholz stellt die Stadt keine Räume

Auch Hansen spricht davon, dass die Förderung für seine Musikschule seit rund 15 Jahren kein einziges Mal neu angepasst wurde. Er sei aber mit der Stadt Buchholz im Gespräch. Was Hansen die größten Sorgen bereitet, ist die Raumsituation. Eigene Räume bietet die Stadt nicht an, stattdessen wird in Grundschulen unterrichtet. Das Problem bestehe seit 30 Jahren.

Die Krux: Die Musikschule muss wie alle anderen öffentlichen Musikschulen eine bestimmte Anzahl an Jahreswochenstunden unterrichten. Bald sei indes kein Wachstum mehr möglich, sagt Hansen.

Michael Ränger, Leiter der Musikschule Seevetal, betont: Solidarität, Kreativität und Kurzarbeitergeld hätten seine Schule im ersten Pandemiejahr gerettet. „Dabei sind wir es, die den Fachlehrermangel an Grundschulen und Gymnasien ausgleichen.“ Des Weiteren verweist Ränger auf die langwierige Ausbildung eines Musikschullehrers. Dass die Sicherheit dann im Beruf fehle, sei nicht angemessen. Da der Instrumentalunterricht lange digital stattfand, sei nun viel aufzuholen, sagt Ränger: „Musizieren braucht auch Gemeinsamkeit.“ Chorproben fielen in Seevetal komplett aus. Ähnlich erging es vielen anderen Chören in der Region.

Hybridtechnik in Winsen macht Mitsingen möglich

Die Winsener Chorleiterin Angela Maack möchte für all diejenigen, die ihre Proben vermissen, einen Ausgleich schaffen: Es sei ein Mitmachkonzert, unter anderem in Kooperation mit der Stadt Winsen, für den Sommer im Winsener Stadtpark in Planung. Wer seine Stimme trainieren möchte, ist eingeladen, bei den Proben von Pop Secret teilzunehmen. Der Chor nehme jederzeit neue Mitglieder auf. Die neue Hybridtechnik biete die Möglichkeit, aus der Ferne mitzusingen.

Geprobt wird freitags zwischen 19 und 21 Uhr. Wer interessiert ist, wendet sich an die Musikschule unter Tel.: 04171/62 777 oder angelamaack1@googlemail.com