Hamburg. Die Gartenstadt Steenkampsiedlung wurde 100 Jahre alt. Zum Geburtstag bekommt sie eine facettenreiche Dokumentation.

Es ist eine besondere Siedlung – und nun setzt ein besonderes Buch dem Steenkamp ein Denkmal. Das Buch der Heimstättervereinigung Steenkamp e.V. blickt mit einer kleinen Verzögerung auf den 100. Geburtstag der Gartenbaustadt in Bahrenfeld zurück, der 2020 gefeiert wurde. Herausgeber des 500 Seiten starken Wälzers ist der Grafiker Sebastian Buchholz. Er hat in Zusammenarbeit mit Max Lips und vielen Steenkampern umfangreiches Material aus einem Jahrhundert gesammelt, gesichtet und faszinierend aufbereitet.

„Alles begann bei einem Sommerfest, bei dem ich Max Lips angesprochen habe“, erzählt Buchholz. „Wir haben uns dann getroffen, und rasch haben uns die Bewohner ihre Schatzkisten geöffnet.“ Schnell sammelte der Familienvater, der mit Frau und zwei Kindern seit 2017 in der Siedlung lebt, so viel Material, dass sich das eigentlich geplante 250-Seiten-Buch im Umfang verdoppelte. „Die kleinere Version wäre dem Thema nicht gerecht geworden.“ Ehrenamtlich stemmten sie das Projekt: „Es war viel Arbeit, die Puzzlestücke zusammenzustecken“, sagt Buchholz. „Mit dem Buch wollen wir kein Fachpublikum, sondern alle erreichen.“

Gartenstadt Steenkampsiedlung in historischen Fotos

Das Ergebnis ist ein Bilderbogen voller historischer Fotos, ein Kaleidoskop aus Korrespondenzen, Kommentaren und Kulturveranstaltungen. Und mit 25 Euro dank mancher Förderung auch überraschend günstig. Die Grundrisse der Siedlungshäuser finden sich ebenso in der Festschrift wie historische Mietverträge, alte Einladungen zum Siedlerfest mit buntem Programm (Lieder zur Laute, Rezitationen, Volkstänze) und allgemeine Aufrufe. Die Siedlungszeitung „Der Steenkamper“, die seit 100 Jahren erscheint, wird immer wieder zitiert und dokumentiert. Der „Steenkamp“,plattdeutsch für „Steinacker“, war eben immer mehr als eine Siedlung – sie war Heimat und Weltanschauung zugleich. „Die Gartenstadt war ein besonderes, zukunftsweisendes Projekt – fast revolutionär in einer revolutionären Zeit“, sagt Buchholz.

Seine Fundstücke belegen das besondere Zusammenleben in der oftmals als „Dorf in der Stadt“ gelobten 22 Hektar großen Siedlung – und zeigen zugleich, dass auch in der heilen Welt Nachbarschaftsstreitigkeiten zum Alltag gehören, etwa wenn die Saga in den Fünfzigerjahren die Bewohner dringend vor „lauter Nachtarbeit, Motoren­geräusch sowie der Benutzung von Rundfunkgeräten, Grammophonen, Akkordeons und dergleichen“ warnt.

Steenkampsiedlung ist Musterbeispiel des Städtebaus der Zwischenkriegszeit

Heute gilt die Steenkampsiedlung als Musterbeispiel des Städtebaus der Zwischenkriegszeit. In Bahrenfeld entstanden zwischen 1914 und 1926 insgesamt 760 Mietwohnungen und Häuser, in denen heute rund 2500 Bewohner leben. Die überwiegend zweigeschossigen Reihen- und Doppelhäuser mit Satteldach bieten zwar ohne Aus- und Anbauten nur zwischen 58 und 92 Quadratmetern Wohnfläche, kosten aber heute inzwischen schnell zwischen 600.000 und 750.000 Euro.

Die ersten Mieter waren vor allem Familien mit wenig Geld. Beeinflusst durch die Lebensreform und Gartenstadtbewegung haben die Häuser Gärten für den Anbau von Gemüse und Obst. „Hier hatten wir Licht und Luft und Sonne, einen kleinen Vorgarten vor dem Haus und einen etwas größeren hinter dem Haus“, schrieb einer der ersten Mieter, Robert Anthony, der „durch Gottes Fügung“ nach Bahrenfeld ziehen konnte.

Bauverein Altona-Ottensen musste um Siedler werben

Anna Zülch vom Denkmalrat erinnert daran, dass der Gemeinnützige Bauverein Altona-Ottensen zu Beginn noch um Siedler auf diesem Gelände der Gartenbausiedlung werben musste. Doch schon wenige Jahre später lobten Zeit­genossen die Gartenstadt als „eine der größten und bedeutendsten Siedlungen“ des Landes. „Als der Krieg vorbei war, in einer Zeit, in der fast überall in Deutschland jeder Mut zum Bauen gelähmt war, hat die Stadt Altona die große Siedlung Steenkamp gebaut“, schrieb 1929 Gustav Oelsner, der als Stadtbaurat die Entwicklung in Bahrenfeld vorangetrieben hatte.

Zu einem ähnlichen Urteil kommt heute Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) in seinem Grußwort: „Die Steenkamp­siedlung zeigt beispielhaft, wie sich nach dem Krieg eine soziale Reformpolitik in unserer Stadt entwickelte.“

Die Science City soll vom Steenkamp lernen

Besonders geblieben ist die Siedlung rund um die Ebertallee auch in den Folgejahren, wie das Buch zeigt. Allerdings hatte die Siedlung, in der heute manche in der vierten oder gar fünften Generation leben, auch schwere Zeiten. Überraschend schnell färbte sich der lange rote Stadtteil im „Tausendjährigen Reich“ ins Bräunliche. Nach dem Krieg ließ die Saga, die ihr erstes Büro hier in der Vogelweide hatte, die Siedlung lange Zeit verfallen, investierte zu wenig in den Erhalt. Zwischenzeitlich stand sogar der Abriss der Siedlung zur Debatte, um an derselben Stelle Hochhäuser zu errichten. Doch die Mieter wehrten sich früh gegen solche Gedankenspiele, auch die Gründung einer Genossenschaft stand im Raum. Schließlich verkaufte die Saga 2001 die Häuser, wobei die Mieter ein Vorkaufsrecht bekamen.

Damit nahm der Wildwuchs in der Siedlung noch zu. Schon zuvor hatten die Bewohner auf eigene Faust beispielsweise die prägenden Sprossenfenster ersetzt oder die Holztüren herausgerissen, manche Vorgärten wurden zu Carports umfunktioniert. Prof. Peter Michelis, Vorsitzender der Gustav-Oelsner-Gesellschaft, kritisiert, es sei ein Fehler gewesen, die Gesamtverantwortung 2001 an die einzelnen Hausbesitzer abzutreten. Zwar gilt seitdem eine Erhaltungs- und Gestaltungsverordnung, doch er erkennt „bauliche Veränderungen“ zum Nachteil der Gartenstadt. Der Stadtentwicklungsexperte plädiert dafür, die Steenkampsiedlung unter Denkmalschutz zu stellen. In den letzten Jahren indes wurden manche Häuser behutsam restauriert. Und die Gemeinschaft lebt – nicht zuletzt durch traditionsreiche Feste, die regelmäßige Publikation „Der Steenkamper“, Gemeinschaftseinrichtungen wie den Steenkampsaal oder Freiflächen wie die „Vogelweide“. Bis heute hat die Heimstättervereinigung Steenkamp e.V. rund 500 Mitglieder.

„Das Besondere ist die Einheit von Gebäuden, die Geschlossenheit und die Nachbarschaft. Hier können die Kinder auf den Straßen spielen“, sagt Buchholz. „Die Gemeinschaft ist wichtig.“ Auch für die kommenden Jahre mischen sich die Steenkamper ein. In unmittelbarer Nachbarschaft entsteht mit der Science City eines der ambitioniertesten Stadtentwicklungsprojekte. „Das gibt einen neuen Blickwinkel.“ Zu diesem Zweck haben die Anwohner eine Zukunftswerkstatt gegründet. „Wir sind nicht dagegen, sondern wollen uns einbringen und den Prozess konstruktiv begleiten.“ Buchholz ist sich sicher: „Die Science City kann einiges vom Steenkamp lernen.“

Heimstättervereinigung Steenkamp, Sebastian Buchholz: „Festschrift 100 Jahre Steenkamp“, 500 Seiten, 25 Euro, zu bestellen unter www.steenkamper.de