Hamburg. Ousman ist aus Gambia geflüchtet und arbeitet inzwischen im dritten Lehrjahr als Azubi im Hamburger Hafen. Sein Weg war nicht einfach.
An einem grauen Mittwochmittag steht Ousman im Nieselregen mit einem Fuß auf der Reling einer Barkasse, mit dem anderen auf der Plattform der „schwimmenden Tankstelle“ von Shell gegenüber vom Musicalhaus „König der Löwen“. Tanken bei ordentlichem Wellengang auf einem wackelnden Schiff – für Ousman kein Problem. Das Wasser hat den 23-Jährigen schon immer begleitet: Die Atlantikküste in seiner Heimatstadt Banjul in Gambia, das Mittelmeer auf der Flucht zwischen Libyen und Italien – und nun die Elbe in Hamburg.
Vor sechs Jahren kam Ousman als minderjähriger Geflüchteter nach Deutschland, seit Ende 2017 lebt er in der Hansestadt. Und macht hier eine Ausbildung zum Hafenschiffer beim Rundfahrtenveranstalter und Schiffsvermieter Barkassen-Meyer. Doch der Weg hierher war nicht einfach.
Hafen Hamburg: Ousman macht eine Ausbildung zum Hafenschiffer
Etwa die Hälfte der zwei Millionen Einwohner in Ousmans westafrikanischer Heimat Gambia lebt in extremer Armut. Viele Kinder sterben noch vor dem fünften Lebensjahr, wie es auf der Internetseite des Bundesverteidigungsministeriums zu Fluchtursachen heißt. Ein Drittel der über 14-Jährigen kann weder lesen noch schreiben, das Pro-Kopf-Einkommen liegt bei knapp 400 Euro. Für Ousmans Flucht gibt es mehrere Gründe. Doch einer davon war es auch, seine Familie zu unterstützen: „Ich komme nicht aus einer besonders reichen oder armen Familie, aber das Leben war schwer“, sagt Ousman.
„Vor Ort konnte ich nichts tun. Wenn es eine Möglichkeit in Gambia gegeben hätte, meiner Familie zu helfen, hätte ich das getan“, sagt er. Viele junge Menschen hätten sich damals auf den Weg nach Europa gemacht. „Ich habe es also auch riskiert, und es hat geklappt.“ Sechs Monate war er insgesamt unterwegs: Von Gambia ist er mit dem Bus in den Senegal gefahren, von dort aus weiter nach Mali. Über Burkina Faso und Tschad führte sein Weg durch die Sahara-Wüste nach Libyen. Nachts in der Kälte zu schlafen und teilweise am Abend nicht zu wissen, ob es am nächsten Tag wie geplant weitergehen kann – das gehörte zu seiner Flucht dazu, erzählt Ousman. Doch schließlich schaffte er es übers Mittelmeer nach Italien und weiter nach Hamburg.
Die Ausbildung läuft unter Corona-Bedingungen anders ab
Hier lebte Ousman erst in einer betreuten Jugendwohnung des Arbeiter-Samariter-Bundes in Barmbek. Und machte ein Praktikum als Krankenpfleger – doch das war nichts für ihn. „Ich bin am Atlantik geboren, ich kenne mich mit dem Wasser aus. Wie man schwimmt und fischt“, sagt Ousman. Sein Vater und Bruder haben in seiner Heimatstadt als Fischer gearbeitet, als Junge hat er in den Ferien ausgeholfen, wie er erzählt. Und, dass er immer in ihre Fußstapfen treten wollte.
- Elbvertiefung ist abgeschlossen – nun droht neuer Ärger
- Die skurrilen Fälle eines Schiedsmannes
- Bau des Köhlbrandtunnels könnte in weite Ferne rücken
Das hat in Hamburg zwar nicht geklappt, aufs Schiff kam er aber trotzdem: 2018 empfahl ihm ein Betreuer in Barmbek ein zweiwöchiges Praktikum bei Barkassen-Meyer. Hier stellte er sich gut an und konnte im August 2019 offiziell mit der Ausbildung zum Hafenschiffer starten.
Unter Corona-Bedingungen läuft die Ausbildung anders ab als normal, Barkassen-Meyer ist wie andere Eventveranstalter stark von der Pandemie betroffen. Aktuell fahren nur zwei der zehn Schiffe regelmäßig. Alle Veranstaltungen neben den Hafenrundfahrten wurden seit Ende November von den Kunden storniert. Ousman und seine Azubikollegen arbeiten zwar in Vollzeit, aber nur nach Bedarf. Auch den Hafengeburtstag, der in diesem Jahr wieder abgesagt wurde, hat der junge Mann noch nie live erlebt.
„Den Willen, etwas auf den Weg zu bringen, muss man unterstützen“
„Die Erfahrung im Alltag fehlt. Es wird schon etwas eng, wir müssen uns Mühe geben, um im Sommer unsere Abschlussprüfungen zu bestehen“, sagt er. Dafür nimmt er gerade auch Nachhilfe. Im inzwischen dritten Lehrjahr kennt Ousman trotz der aktuellen Lage alle Abläufe, weiß, wie man den Schlauch zum Tanken ansetzt und an welchem Poller man die Barkasse am besten festmacht. Aber auch Schiffs- und Maschinenpflege gehören zum Alltag, das Scheibenputzen und Ölstandkontrollieren. Und, sich tagesaktuell über den Hafen zu informieren. Denn auf den Rundfahrten betreuen die Azubis auch Gäste. „Wir erklären ja auch jedem Gast unseren Hafen und unsere Stadt“, sagt Ousmans Chef Hubert Neubacher.
Im Moment traut Ousman sich aber noch nicht, vor einer Gruppe zu sprechen, obwohl sich seine Sprache seit Beginn der Ausbildung schon sehr verbessert hat. Deutsch sei zwar am Anfang eine Hürde gewesen, sagt Chef Neubacher. „Aber wenn der Wille da ist, und der ist hier absolut gegeben, dann schafft man das. Man darf auch nie vergessen: Diese Menschen sind bewusst nach Deutschland gekommen, um etwas zu erreichen im Leben“, sagt Neubacher, der noch einen weiteren geflüchteten Azubi betreut. „Da ist ein großer Wille da, etwas auf den Weg zu bringen. Ich finde, das muss man unterstützen.“
Wer fleißig ist, darf die Barkasse fahren
Ihm ist es wichtig, dass das Unternehmen Ousman auch über die Arbeit hinaus Sicherheit gibt. „Er ist natürlich ein erwachsener junger Mann und nicht hilflos. Aber in einem neuen Land alleine zu sein, ist nicht so einfach. Wir möchten eine Basis bieten, auf die er sich jederzeit berufen kann.“ So hat Neubacher Ousman auch bei der Suche nach einer neuen Unterkunft geholfen. Jetzt lebt er in einer eigenen Wohnung.
Auf der Rückfahrt vom Tanken sitzt Ousmann selbst am Steuer der Barkasse. Wer fleißig ist, darf fahren – das passiert bei Ousman inzwischen öfter. „Bei der Arbeit gibt es jetzt so viele Unterschiede zu damals“, sagt er. „Auf der Barkasse arbeite ich mit einem großen Motor und Technik, man fühlt sich am Steuer wie beim Autofahren. Zu Hause hatte das Boot nur einen kleinen Außenmotor und wir haben viel mit der Hand gemacht. Das war sehr schwer.“
Ousman: „Ich fühle mich hier einfach frei und wohl“
Einer seiner zwei Brüder arbeitet in Gambia auch heute noch als Fischer. Ousman telefoniert jeden Tag mit ihm, den vier weiteren Geschwistern und seinen Eltern zu Hause. Von seinem Ausbildungsgehalt kann er ihnen jeden Monat auch etwas Unterstützung schicken. Inzwischen fühlt er sich angekommen, sagt Ousman. In seiner Freizeit spielt er Fußball, im Januar half er ehrenamtlich in einem Sozialkaufhaus in Steilshoop aus.
Er möchte bei Barkassen-Meyer bleiben, im ersten Schritt nach der Ausbildung wohl als Decksmann. Und in Hamburg – seine aktuelle Aufenthaltserlaubnis gilt bis vorerst 2024. „Ich fühle mich hier einfach frei und wohl“, sagt Ousman. „Das hat mir geholfen, viele der Schwierigkeiten und schlechten Dinge aus der Vergangenheit zu vergessen.“