Hamburg. Die Geschäfte der „Druckerei“ gehen gut – trotzdem wird hier nach dem 31. Januar kein Spielzeug mehr verkauft werden. Die Gründe.
Es klaffen bereits einige Lücken in den mit Holzbrettern versehenen schwarzen Regalreihen, die sich durch den verwinkelten Spielzeugladen an der Schanzenstraße ziehen. Der Ausverkauf hat begonnen. Am 31. Januar schließen die beiden Geschäftsführer des beliebten Spielzeuggeschäfts „Die Druckerei“ die Tür für immer ab – nach über 40 Jahren.
„Ist es den Zeiten geschuldet?“, fragt eine Kundin, die bereits kurz nach Ladenöffnung das Geschäft betritt und ungläubig die Aushänge über die bevorstehende Schließung im Schaufenster betrachtet. „Nein, einfach weil wir alt sind“, sagt Eva Kurt, die zusammen mit Rainer Burmester die Geschäftsführung innehat. „Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass wir wegen Corona schließen.“
Einzelhandel Hamburg: Kein Spielzeugverkauf mehr in der Sternschanze
Bereits seit ein paar Jahren hätten die beiden Geschäftsleute nach einem Nachfolger gesucht. „So eine Entscheidung wächst ja auch langsam“, sagt Burmester. Zwar hätten sie immer mal wieder Gespräche mit Interessenten geführt, aber letztendlich sei es nicht gelungen, den Laden zu übergeben. „Corona hat keine Schuld, aber die Suche auch nicht einfacher gemacht.“ Mit der „Druckerei“ verlässt erneut ein Geschäft mit einer traditionsreichen Geschichte das Szeneviertel.
„Es ist schon auch ein großer Verlust für das Viertel und die Nahversorgung der Familien“, sagt Burmester, der den Spielzeugladen 1981 mit drei Freunden gegründet hatte. „Es war eine spontane Idee“, erinnert sich der 66-Jährige an die Anfänge. Um die Stadtteilarbeit mit Kindern zu finanzieren, die sie damals in Hamm geleistet hätten, sei die Idee entstanden, pädagogisch wertvolles Spielzeug zu verkaufen. Was als Hobby begann, wurde Burmesters Lebensaufgabe.
In der Schanze sind sie eher zufällig gelandet
Während die anderen Gründungsmitglieder weiterzogen, ist er geblieben. 1990 stieß Eva Kurt hinzu. Seither leiten sie das Geschäft gemeinsam. „Bei mir sind es also auch schon fast 32 Jahre“, sagt sie und lacht. Dass es das Gründungskollektiv in den 80ern ausgerechnet in das damals noch völlig unhippe Schanzenviertel zog, sei Zufall gewesen. „Wir wollten natürlich schon rein in die Stadt, und hier war ein paar Häuser weiter ein Laden frei, der günstig war“, sagt Burmester. „Sicher sind wir auch ein hohes Risiko eingegangen.“ Schließlich sei das Viertel früher ein anderes gewesen. „Das Publikum war viel älter, aber über unser ansprechendes Sortiment haben wir uns schnell einen Namen gemacht.“
Den Wandel, den das Schanzenviertel vollzogen hat, bekamen die beiden Geschäftsführer stets unmittelbar zu spüren. „Wir haben hier auch ganz schlimme Zeiten erlebt“, sagt Kurt. „Als das Viertel eine offene Drogenszene war, da mussten wir natürlich auch finanziell sehr stark die Backen zusammenkneifen. Das war kurz vor knapp.“ Mitte der 90er-Jahre sei das gewesen, sagt Burmester. Doch die beiden hielten durch – und wurden belohnt. „Ende der 90er haben wir dann gemerkt, dass das Durchhalten sich lohnt.“ Anschließend habe sich das Viertel stark gewandelt. „Es wurde viel neu gebaut, und junge Familien sind hergezogen.“
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Die leuchtenden Kinderaugen werden sie vermissen
Bis heute stehe der Laden finanziell gut da. Was ihr Geschäft ausmacht? „Die Kunst liegt im Weglassen“, sagt Kurt. „Wir haben schon immer Wert auf hohe Qualität gelegt und sind auf der Suche nach besonderen Sachen, die man nicht in jedem Kaufhaus findet.“ Ihre Expertise im Spielzeugbereich hätten sie sich selbst erarbeitet. „Wir sind Autodidakten“, sagt Burmester. Mit großem Erfolg, wie nicht zuletzt der Zuspruch der Kunden zeigt. Umso schwerer falle nun der Abschied. „Hier sind schon Tränen geflossen, und ich bin völlig überwältigt von der Reaktion der Kunden. Mit so einer starken Trauer haben wir nicht gerechnet“, sagt Kurt sichtlich gerührt.
„Wir hätten sehr gerne einen fließenden Übergang gehabt und diesen Laden weitergegeben, weil wir uns gewünscht haben, dass er in unserem Sinne weitergeführt wird“, sagt Burmester. „Das ist unser Lebenswerk.“ Da beide Spielzeughändler kinderlos sind, fällt auch die Option einer familiären Nachfolge weg. „Das ist rein zufällig passiert, dass sich hier zwei getroffen haben, die beide keine Kinder haben“, sagt Burmester und lacht. „Deswegen haben wir mehr Zeit, um uns um die Kinder hier zu kümmern“, fügt Kurt hinzu. Was das Schönste an ihrem Beruf ist? „Die vielen leuchtenden Kinderaugen jeden Tag“, sagt Burmester. Einige von ihnen hätten auch vorgeschlagen, den Laden zu übernehmen. „Die glauben das nicht, dass sie nicht mehr herkommen dürfen“, so Kurt. „Da liegen dann aber leider zehn Jahre dazwischen, und so lange können wir nicht mehr warten.“
„Wir haben hier Generationen von Kindern groß werden sehen“
Auch wenn die Entscheidung zur Schließung nichts mit Corona zu tun hatte, ist die Pandemie dennoch nicht spurlos an den beiden Einzelhändlern vorbeigegangen. „Das war das Schlimmste während meiner gesamten Zeit im Spielzeugladen“, sagt die 65-Jährige. „Wir haben ja auch keinen Onlineshop.“ Im ersten Lockdown hätten sie vorbestellte Spielwaren an der Tür verkauft oder ausgefahren. „Aber das macht man mehr für die Kunden, um noch irgendwie präsent zu sein. Das hat nichts mit Geldverdienen zu tun.“ Vor allem die Schließung des Einzelhandels im Dezember vergangenen Jahres habe ihnen große Verluste beschert. „In den letzten sechs Wochen vor Weihnachten macht man fast ein Drittel des Jahresumsatzes“, sagt Burmester.
Die vergangenen zwei Jahre hätten sie zwar viel Geld gekostet, dennoch seien sie wirtschaftlich gesund daraus hervorgegangen. „Nach dem zweiten Lockdown sind wir richtig überrannt worden.“ Die notwendigen Zugangskontrollen forderten jedoch viel Kraft. „Das ist eigentlich ein zusätzlicher Arbeitsplatz durch Corona, den man abdecken muss.“ Neben den beiden Geschäftsführern, von denen grundsätzlich einer im Laden sei, arbeiten noch eine Teilzeitkraft oder saisonal Aushilfen mit. „Wir haben immer wenig Personal gehabt“, sagt Burmester. Durch die stetige Präsenz im Laden kennen sie auch viele ihrer Kunden. „Wir haben hier Generationen von Kindern groß werden sehen. Teilweise kommen die heute mit ihren Kindern“, sagt Eva Kurt.
Corona hat Puzzles wieder zum Trend gemacht
Ob sich die Ansprüche an Spielzeug über die Jahre gewandelt haben? „Trends haben wir gar nicht so mitgemacht. Wir sind eigentlich immer bei dem klassischen Spielzeug geblieben. Viel Holz, anspruchsvolle Spielware, die nicht nur bling, bling macht und in der Werbung ist, sondern den Kindern auch etwas bietet.“ Spielzeug müsse Kreativität erlauben und hochwertig sein, fügt Burmester hinzu.
„Das kann man unter dem Begriff ,nachhaltig‘ zusammenfassen. Die Sachen, die wir verkaufen, die kann man auch vererben. Die sind nicht heute Trend und kommen nächstes Jahr in die Plastiktonne.“ Die Pandemie habe jedoch ein bekanntes Spiel wieder zum Trend gemacht. „Es gab einen Puzzle-Boom“, sagt Kurt. „Puzzles waren über weite Strecken ausverkauft.“
„Es ist eine emotionale Zeit nach so vielen Jahren“
Größere Umbauten hätten die beiden Betreiber der „Druckerei“, deren Name daher rührt, dass die ersten bezogenen Räumlichkeiten eine Druckerei waren, über die Jahre nicht vollzogen. Auch die Fassade habe ihre Wirkungszeit überdauert. Keine Selbstverständlichkeit etwa angesichts der Ausschreitungen zum G-20-Gipfel, die direkt vor der Tür stattgefunden haben. „Das war eine furchtbare Zeit. Die Menschen sind aus Angst nicht mehr ins Viertel gekommen“, erinnert sich Burmester. „Tagelang kreiste der Hubschrauber über uns. Es war eine bedrohliche Situation.“
Die positiven Erinnerungen überwiegen jedoch bei Weitem. „Es ist eine emotionale Zeit nach so vielen Jahren.“ Der Weg in den Ruhestand sei daher kein leichter. „Das ist das berühmte lachende und weinende Auge“, sagt Rainer Burmester, der im Landkreis Harburg wohnt und sich freut, künftig mehr Zeit zum Segeln zu haben. Eva Kurt hingegen glaubt, erst mal in ein schwarzes Loch zu fallen. Sie freue sich jedoch darauf, sich künftig dem Gemüseanbau in ihrem großen Garten in den Vierlanden widmen zu können. Spielzeug würden sie jedoch keins mit nach Hause nehmen, sagt Burmester. „Wir werden Zeit unseres Lebens eine ganz starke Erinnerung haben. Und ich glaube, das genügt.“