Hamburg. Das Bekenntnis zur Bekämpfung des Antisemitismus soll in die Präambel – warum die Verhandlungen kompliziert werden.
Der Start war sehr ungewöhnlich und gegen die parlamentarischen Gepflogenheiten. Drei erfahrene Bürgerschaftsabgeordnete – André Trepoll (CDU), Mathias Petersen (SPD) und Farid Müller (Grüne) – präsentierten im Mai 2021 einen Antrag, in dem sie die Aufnahme eines Bekenntnisses zur Bekämpfung des Antisemitismus, Nationalsozialismus und Extremismus in die Präambel der Verfassung vorschlugen.
Unüblich ist, dass drei einzelne Abgeordnete eine derart grundsätzliche Initiative starten und nicht deren Fraktionen insgesamt. Für Stirnrunzeln vor allem in den Koalitionsfraktionen von SPD und Grünen sorgte zudem, dass die drei ihren Vorstoß vorher nicht in ihren jeweiligen Fraktionen abgestimmt hatten.
Bürgerschaft Hamburg: Der komplizierte Weg der Verfassungsänderung
Das mag dazu beigetragen haben, dass es fast neun Monate dauerte, ehe am Donnerstag eine Expertenanhörung zur Präambel-Ergänzung im Verfassungsausschuss der Bürgerschaft erfolgte. Mit einer Ausnahme unterstützten alle befragten Juristen, Historikerinnen und Sozialwissenschaftler den Vorschlag und regten Präzisierungen an. So schlugen mehrere Fachleute vor, statt des umstrittenen Begriffs „extremistisch“ besser „rassistisch“ zu verwenden.
Deutlich wurde aber auch, dass Trepoll, Petersen und Müller mit ihrer Initiative eine Leerstelle der Hamburgischen Verfassung offengelegt haben. Denn im hiesigen „Grundgesetz“ aus dem Jahr 1952 fehlt im Gegensatz zu fast allen anderen Landesverfassungen ein direkter oder auch nur indirekter Hinweis auf die nationalsozialistische Gewaltherrschaft. Man muss das Bekenntnis zum Aufbau des demokratischen Rechtsstaats ja nicht so dramatisch begründen, wie es die Verfassung des Freistaats Bayern macht.
Hamburg als „Mittlerin zwischen allen Erdteilen und Völkern der Welt“
„Angesichts des Trümmerfeldes, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden des zweiten Weltkrieges geführt hat, in dem festen Entschlusse, den kommenden deutschen Geschlechtern die Segnungen des Friedens, der Menschlichkeit und des Rechtes dauernd zu sichern, gibt sich das Bayerische Volk, eingedenk seiner mehr als tausendjährigen Geschichte, nachstehende demokratische Verfassung“, lautet der erste Satz der bayerischen Verfassung, der einem Fanfarenstoß gleicht.
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Die Väter und Mütter der Hamburger Verfassung richteten den Blick ausschließlich in die Zukunft. Die Freie und Hansestadt „will im Geiste des Friedens eine Mittlerin zwischen allen Erdteilen und Völkern der Welt sein“, lautet der wohl bekannteste Satz der Präambel. Gerade in Zeiten antisemitischer Attentate und einer wachsenden Zahl antisemitischer Straftaten und Übergriffe fast 77 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist eine Ergänzung der Präambel jedoch sinnvoll, vielleicht sogar notwendig. Der Auftrag zur Erinnerung an die NS-Verbrechen und deren Vergegenwärtigung ist umso wichtiger, als es bald keine Zeitzeugen mehr geben wird.
Für eine Änderung der Verfassung braucht es eine Zweidrittelmehrheit
Der Vorstoß der drei trifft grundsätzlich auf eine breite Zustimmung in den Fraktionen – mit Ausnahme der AfD, die verfassungsmäßige Bedenken gegen eine Änderung der Präambel durch die Bürgerschaft hat. „Wir sind auf einem guten Weg. Es wäre auch merkwürdig, wenn es für dieses Thema keine große Mehrheit gäbe“, sagte Carola Veit (SPD), Vorsitzende des Verfassungsausschusses und Bürgerschaftspräsidentin, dem Abendblatt. Die Vorlage der drei Abgeordneten sei die Grundlage der weiteren Beratungen. „Die Formulierungen sind nicht in Stein gemeißelt“, betonte Veit.
Trotz der generellen Übereinstimmung dürften den Abgeordneten noch komplizierte Verhandlungen bevorstehen. Im Wesentlichen aus zwei Gründen, wobei der erste die leichter zu lösende Aufgabe ist. Bislang wurde die Präambel von 1952 erst zweimal verändert. „Die natürlichen Lebensgrundlagen stehen unter dem besonderen Schutz des Staates“, wurde 1986 eingefügt und 2020 um den Satz ergänzt: „Insbesondere nimmt die Freie und Hansestadt Hamburg ihre Verantwortung für die Begrenzung der Erderwärmung wahr.“
Rot-Grün will umstrittenes Parité-Gesetz auf den Weg bringen
Die Zurückhaltung offenbart die hohe Schwelle, vor der jede Änderung der Verfassung, der Präambel zumal, nicht nur wegen der erforderlichen Zweidrittelmehrheit steht. Prof. Markus Kotzur von der Uni Hamburg hatte in der Anhörung davor gewarnt, „zu häufig kosmetische Änderungen der Verfassung vorzunehmen“, und einen „breiten Kontext“ angemahnt. So könnte es dazu kommen, dass mit der Einfügung einer Antisemitismus-Passage gleich weitere Ergänzungen vorgenommen werden. Jurist Kotzur selbst hatte vorgeschlagen, ein Bekenntnis zu Europa oder zur Europäischen Einigung aufzunehmen, das es in zahlreichen anderen Landesverfassungen längst gibt.
Während dieser Vorschlag als unstrittig gilt, ist eine andere Idee durchaus heikel. Rot-Grün will ein Parité-Gesetz auf den Weg bringen, dass die gleiche Zahl männlicher und weiblicher Abgeordneter in Bürgerschaft und Bezirksversammlungen verbindlich vorschreiben würde. Die Verfassungsgerichte in Brandenburg und Thüringen haben entsprechende Gesetze schon kassiert. Das Vorhaben genießt bei den Grünen, besonders bei Justizsenatorin Anna Gallina, große Sympathien. Etliche Sozialdemokraten sehen das Gesetz sehr skeptisch.
„Der erste wichtige Schritt ist die Verankerung in der Verfassung“
Ein Ausweg könnte nun sein, das Bekenntnis zur Parität zunächst in die Verfassung zu schreiben und in einem zweiten Schritt (irgendwann) ein Parité-Gesetz folgen zu lassen. Das Problem: Die CDU würde diesen Weg nicht mitgehen, eine Koppelung mit den anderen Verfassungsänderungen würde scheitern. SPD und Grüne verfügen allein zwar über eine Zweidrittelmehrheit, wollen sie aber erklärtermaßen nicht für Verfassungsänderungen nutzen.
Rot-Grün könnte sich mit der Linken inhaltlich wohl auf eine Parité-Klausel einigen und die Mehrheit so verbreitern, aber es gibt Stimmen bei SPD und Grünen, die bei Verfassungsänderungen eine Einigung mit der konservativen Seite des Hauses aus grundsätzlichen demokratischen Erwägungen für erforderlich halten. „Die Parité ist mir ein Anliegen“, sagt Carola Veit. „Der erste wichtige Schritt ist die Verankerung in der Verfassung. Aber das sollte nicht mit den anderen Anliegen vermengt werden.“
Bei den Verhandlungen wird viel Fingerspitzengefühl nötig sein
Kompliziert werden die Verhandlungen über das Bekenntnis zur Bekämpfung des Antisemitismus aus einem weiteren Grund. Der CDU ist die Ächtung des Extremismus – von rechts wie links – wichtig. Das sehen vor allem viele Grüne (und Linke) sehr kritisch, weil sie dahinter die von ihnen abgelehnte Hufeisentheorie wittern – die Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus. Sollte der Begriff „Extremismus“ gestrichen und nur durch die Bekämpfung des Rassismus ersetzt werden, wäre die CDU wohl nicht dabei. Es wird auf das Fingerspitzengefühl vor allem der Fraktionsvorsitzenden ankommen, Formulierungen für einen breiten Konsens zu finden.
Aus dem Umfeld von Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne), die im Senat für das jüdische Leben zuständig ist, ist zu hören: Sie begrüße die parlamentarische Initiative, sich auch in der Hamburgischen Verfassung explizit gegen jede Form von Antisemitismus und Rassismus auszusprechen ...