Hamburg. Wie das Abendblatt erfuhr, gibt es eine hohe zweistellige Zahl von Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft. Die Hintergründe.

  • Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat eine hohe zweistellige Zahl von Anzeigen vorliegen.
  • Eine Strafanzeige richtet sich auch gegen die früheren SPD-Politiker Johannes Kahrs und Alfons Pawelczyk sowie den Mitinhaber des Bankhauses Warburg, Christian Olearius.

Die Ermittlungen im Zuge der Cum-Ex-Affäre ziehen deutlich weitere Kreise als bislang bekannt. Wie die Staatsanwaltschaft Hamburg auf Anfrage des Abendblatts erklärte, hatte sie nicht nur Vorermittlungen gegen den früheren Bürgermeister und heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz sowie seinen Nachfolger als Bürgermeister Peter Tschen­tscher (beide SPD) geführt, sondern hat zudem Strafanzeigen gegen die früheren SPD-Politiker Johannes Kahrs und Alfons Pawelczyk sowie den Mitinhaber des Bankhauses Warburg, Christian Olearius, vorliegen.

„Bei der Staatsanwaltschaft Hamburg ist zwischenzeitlich eine hohe zweistellige Anzahl von (überwiegend wortgleichen und offenbar auf einem Internetaufruf basierenden) Strafanzeigen gegen Olaf Scholz und mögliche weitere Beteiligte anhängig“, teilte Oberstaatsanwältin Mia Sperling-Karstens mit. „Eine unter Bezugnahme auf die Berichterstattung im ,Manager Magazin‘ aus ­April 2021 fußende Strafanzeige richtet sich auch gegen Johannes Kahrs, Alfons Pawelczyk und Christian Olearius.“ Diese Strafanzeigen seien aber bislang allesamt lediglich erfasst worden. Eine Entscheidung über die Aufnahme von Ermittlungen sei mit Blick auf andere Voruntersuchungen in der gleichen Angelegenheit zunächst zurückgestellt worden.

Cum-Ex: Strafanzeigen gegen Scholz und Tschentscher

Mithilfe von Cum-Ex-Geschäften hatten sich Finanzakteure jahrelang Kapitalertragssteuern erstatten lassen, die sie gar nicht gezahlt hatten. Der Schaden für den Fiskus ging in die Milliarden. In Hamburg untersucht ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss (PUA) der Bürgerschaft, warum die Stadt 2016 darauf verzichtet hatte, rund 47 Millionen Euro an Steuern von der Warburg-Bank zurückzufordern. Dabei geht es unter anderem um mehrere Treffen von Scholz mit Olearius. Dieser hatte in seinen Tagebüchern geschildert, dass er vor den Treffen im Herbst 2016 den damaligen Bundestagsabgeordneten Kahrs sowie den früheren Innensenator Pawel­czyk zurate gezogen hatte.

Wie berichtet, waren nach Medienberichten aus dem Februar 2020 über diesen Vorgang neun Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft Hamburg eingegangen, die sich unter anderem gegen Scholz und Tschentscher richteten. Die Vorprüfungen hätte aber „keine zureichenden Verdachtsmomente für Straftaten“ ergeben, so die Staatsanwaltschaft. Daher seien sie am 7. September 2021 eingestellt worden. Eine Beschwerde dagegen habe die Generalstaatsanwaltschaft am 29. November abgewiesen.

Durchsuchungen in der Finanzbehörde

Dass auch Strafanzeigen gegen andere Beteiligte vorliegen, überrascht insofern nicht, als diese auch im Fokus von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln stehen. Diese ist bundesweit federführend bei Thema Cum-Ex. Wie das „Handelsblatt“ berichtet, sind allein in Köln mittlerweile 105 Verfahren anhängig. Die Zahl der Beschuldigten sei auf 1350 gestiegen. Die zuständige Staatsanwältin Anne Brorhilker hatte Anfang Dezember im Untersuchungsausschuss ausgesagt und dabei ihr Unverständnis darüber geäußert, dass die Hamburger Finanzbehörden die Steuern nicht zurückgefordert hatten. Überrascht habe sie auch, dass die Steuerfahndung in der Hansestadt den Fall Warburg nicht an sich gezogen habe – angeboten habe man das. So sei die Zuständigkeit in Nordrhein-Westfalen geblieben.

Von dort waren Ende September Durchsuchungen in Hamburg veranlasst worden: Betroffen waren davon unter anderem die Finanzbehörde, eine Finanzbeamtin sowie die Wohnung von Johannes Kahrs. Auch Mails des früheren Finanzsenators Tschentscher wurden beschlagnahmt. Dieser sowie Scholz haben stets beteuert, sie hätten keinerlei Einfluss auf den Steuer-Fall Warburg genommen.

Kahrs wird nicht im PUA aussagen

Alle an der Entscheidung, die Steuern nicht zurückzufordern, beteiligten Mitarbeiter im Finanzamt sowie in der Finanzbehörde hatten im PUA ausgesagt, dass die Politik keinen Druck auf sie ausgeübt habe. Kahrs selbst will unter Verweis auf die laufenden Ermittlungen gegen ihn nicht im PUA aussagen.

Zumindest ein Aspekt seiner Rolle wurde in der Ausschusssitzung am Freitag dennoch ausführlich beleuchtet. Es ging um ein Telefonat mit dem damaligen Chef der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Felix Hufeld. Dieser räumte als Zeuge ein, dass er am 1. September 2016 auf dessen Wunsch mit Kahrs telefoniert habe. Der langjährige Haushaltsexperte der SPD-Bundestagsfraktion, in dessen Wahlkreis Hamburg-Mitte die Warburg-Bank ihren Sitz hat, habe sich nach dem Fall erkundigt und darauf hingewiesen, dass Warburg in Hamburg „ein wichtiges Institut“ sei, so Hufeld.

Cum-Ex: PUA forderte Akten der Staatsanwaltschaft an

Man habe dann über die möglichen Folgen der Cum-Ex-Thematik auf das Eigenkapital der Bank gesprochen. Aber als es konkreter wurde, habe er sein „Standardsprüchlein“ aufgesagt, so Hufeld: „Einzelaufsichtsrechtliche Maßnahmen kommentieren wir nicht.“ Später habe es wohl ein kurzes zweites Telefonat gegeben. Solche Gespräche mit Politikern seien nicht ungewöhnlich, sagte der Ex-BaFin-Chef. Beeinflussen lasse man sich davon dennoch nicht. Welche Motive Kahrs verfolgte, darüber könne er nur spekulieren. Mit Scholz oder Tschentscher habe er nie über Warburg gesprochen.

Im weiteren Verlauf beschloss der PUA einvernehmlich, die Akten der Staatsanwaltschaft Hamburg anzufordern. Die Opposition aus CDU, Linkspartei und AfD hatte zuvor kritisiert, dass der Senat diese bislang zurückgehalten habe. Tschentscher hatte dagegengehalten, dass er von den Vorermittlungen gegen seine Person überhaupt nichts gewusst habe.