Hamburg. 2021 wurde das rot-grüne Planziel erreicht. Aber die Baukosten steigen, die Flächen werden knapp – und es drohen drei Volksinitiativen.
Der frühere Erste Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hat der Stadt und vor allem seinen hiesigen Parteifreunden ein politisches Mantra hinterlassen, an das er sich auch als Bundeskanzler voller Überzeugung hält. „Bauen, bauen, bauen“ lautet das einfache, vielfach wiederholte Rezept, das den Bedarf an Wohnraum befriedigen und nicht zuletzt aufgrund des größeren Angebots auch die Mieten in erträglichem Rahmen halten soll. Im September, mitten im Bundestagswahlkampf, twitterte der damalige Kanzlerkandidat Scholz: „Wie ich es schaffen will, dass ein Vater mit drei Kindern eine bezahlbare Wohnung findet? Wir müssen bauen, bauen, bauen: 400.000 Wohnungen pro Jahr – 100.000 davon gefördert.“
Inzwischen sind die 400.000 Wohnungen pro Jahr als Zielzahl im „Ampel“-Koalitionsvertrag festgeschrieben und damit Regierungspolitik geworden. Der Bundeskanzler will ein „Bündnis für das Wohnen“ mit der Wohnungswirtschaft schmieden, um das Ziel zu erreichen. Hamburg dient dabei als Blaupause. Seit Scholz 2011 als Bürgermeister ins Rathaus einzog, hat er den Wohnungsneubau in der Stadt bekanntlich angekurbelt.
Wohnen in Hamburg: Bauvolumen deutlich ausgeweitet
Zunächst galten 6000, später 10.000 neue Wohneinheiten pro Jahr als Soll, ein Drittel davon öffentlich gefördert. Und als wesentliche Bausteine des Programms galten und gelten das „Bündnis für das Wohnen“ mit der Wohnungswirtschaft sowie der „Vertrag für Hamburg“, der verbindliche Neubauzahlen für die sieben Bezirke mit diesen festlegt. Beide Vertragswerke wurden – nach erheblichem Murren und einigem Streit – im vergangenen Jahr erneuert.
Da passt es ins Bild, dass Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) bei einem Besuch im Neubaugebiet Pergolenviertel (Winterhude) am Donnerstag Hamburg als Vorbild bezeichnete. Es sei der Stadt mit den Bündnissen gelungen, das Bauvolumen deutlich auszuweiten. „Das ist genau das, was wir auch auf Bundesebene vorhaben“, sagte die Ministerin – und das war vermutlich Musik in den Ohren von Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD), die Geywitz begleitete. Nur der Protest einiger Linker wegen des laut Mietenspiegel höchsten Anstiegs der Mieten seit zwei Jahrzehnten (plus 7,3 Prozent) störte das schöne sozialdemokratische Gesamtbild.
Die Pandemie führte auch zu Verzögerungen der Planungen
Zwar konnte Stapelfeldt am Mittwoch verkünden, dass Hamburg mit 10.207 Baugenehmigungen im vergangenen Jahr das Plansoll erreicht hat, aber die Sorgenfalten auf der Stirn der Senatorin nehmen zu. „Für das Jahr 2021 haben wir erneut unser Ziel erreicht – und das unter erschwerten Bedingungen“, teilte Stapelfeldt mit. Die Lage im Baugewerbe sei angespannt, die Baustoffpreise hätten massiv angezogen, für manche Materialien bestünden Rohstoffknappheit und Lieferengpässe, und das Flächenpotenzial sei nach den Jahren des Baubooms geringer geworden. Zudem habe die Pandemie zu Verzögerungen in Planungsprozessen geführt, und Investoren seien zurückhaltender geworden.
Die Zielzahl von 10.000 Wohnungen bleibe bestehen, sagte Stapelfeldt auf Abendblatt-Nachfrage. „Wir tun alles dafür, sie umzusetzen. Auch wenn sich die Rahmenbedingungen zunehmend schwieriger darstellen, verheißen die großen Stadtentwicklungsprojekte für die nahe Zukunft erhebliche Wohnungsbaupotenziale. Das macht mich zuversichtlich, dass wir auch in den kommenden Jahren unsere ambitionierten Ziele erreichen.“ Entscheidend sei, dass alle Beteiligten „weiterhin mit nicht nachlassendem Engagement und so konstruktiv wie bisher zusammenarbeiten“.
Senat erhöht Grunderwerbssteuer auf 5,5 Prozent
Dass sich zunehmend dunkle Wolken am bislang so hellen Wohnungsbauhimmel zeigen, wurde auch am Dienstag deutlich, als der Senat eine Erhöhung der Grunderwerbssteuer von 4,5 auf 5,5 Prozent beschloss. „Das ist das falsche Signal zur falschen Zeit. Angesichts der schwierigen Situation auf Hamburgs Wohnungsmarkt wäre es nötig, Hemmnisse für den Wohnungsbau abzubauen“, sagte Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), Bündnispartner der Stadt, der die geplante Entlastung für junge Familien und die Anbieter von Sozialwohnungen immerhin begrüßte.
Der Klimaschutz ist ein weiterer Risikofaktor für das Wohnungsbauprogramm. Mitte Dezember hatte der Klimabeirat der grün geführten Umweltbehörde vorgeschlagen, die Zahl der zu bauenden Wohnungen von 10.000 auf 5000 jährlich abzusenken. Auch der Wohnungsbau belastet eben das Klima. „Das wäre verheerend und ein schlechtes Signal für sozialverträglichen Klimaschutz. Wer jetzt Wohnungsbau reduzieren will, macht das auf Kosten der Mieterinnen und Mieter in Hamburg“, entgegnet SPD-Bürgerschaftsfraktionschef Dirk Kienscherf mit deutlichen Worten.
Volksinitiativen wollen Bauen in Hamburg verhinden
Und auch die Grünen machen sich den Vorschlag des Klimabeirats offensichtlich nicht zu eigen. „Wir halten an dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziel von 10.000 neuen Wohnungen pro Jahr weiterhin fest. Nur so können wir in Zukunft bezahlbares, gutes Wohnen in Hamburg sicherstellen“, sagt Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen.
Doch es gibt noch weitere Unwägbarkeiten für das Wohnungsbauprogramm: Drei Volksinitiativen verfolgen in den kommenden Monaten Ziele, die das Bauen in der Stadt eher behindern. Die beiden Initiativen der Mietervereine könnten nach den Sommerferien ihre Volksbegehren durchführen, wenn es nicht vorher noch eine Einigung mit Senat und Bürgerschaft gibt. Die Initiativen „Boden & Wohnraum behalten – Hamburg sozial gestalten!“ und „Neubaumieten auf städtischem Grund – für immer günstig“ firmieren unter dem gemeinsamen Untertitel „Keine Profite mit Boden & Miete“. Bei der einen Initiative geht es darum, dass die Stadt keine öffentlichen Liegenschaften mehr verkaufen darf, bei der anderen um den Bau von Wohnungen ausschließlich mit einer Eingangsmiete von 6,60 Euro pro Quadratmeter auf städtischen Grundstücken.
Verbandschef übt harte Kritik an den Volksinitiativen
„Die Volksinitiativen legen die Axt an den Bau bezahlbarer Wohnungen in Hamburg. Sie bedrohen im Kern das erfolgreiche kooperative Wohnungsbauprogramm“, sagt VNW-Direktor Breitner. Derzeit koste der Bau einer Wohnung in Hamburg rund 4000 Euro pro Quadratmeter. Um das zu refinanzieren, so Breitner, müsse als Miete 13 Euro pro Quadratmeter verlangt werden. „Wer eine Einstiegsmiete von 6,60 Euro pro Quadratmeter für alle neu gebauten Wohnungen gesetzlich vorschreiben will, der muss erklären, woher das fehlende Geld kommen soll“, sagt Breitner. Die Steuerzahler müssten die rund 2000 Wohnungen, die jährlich auf städtischem Grund geplant werden, „mit hohen Millionenbeträgen subventionieren“.
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SPD und Grüne geben die Hoffnung auf einen Kompromiss mit den Initiativen, der die Volksbegehren abwenden könnte, nicht auf. „Wir sind mit den Mietervereinen im Gespräch. Wir haben ein gemeinsames Ziel: bezahlbares Wohnen für Hamburg“, sagt SPD-Fraktionschef Kienscherf. Grünen-Amtskollege Lorenzen möchte den „vertraulichen Gesprächen nicht vorgreifen“.
Wohnen in Hamburg: Volksinitiative bedroht Wohnungsbau
Deutlich kritischer ist die Haltung der Koalition zur Volksinitiative „Rettet Hamburgs Grün – Klimaschutz jetzt“, die die erste Hürde der Volksgesetzgebung im Dezember genommen hat. Ihr Ziel ist, alle Grün- und Landwirtschafts- sowie Sport- und Freizeitflächen ab einer Größe von einem Hektar vor einer Bebauung zu schützen. Derzeit läuft noch eine Prüfung, ob das Anliegen verfassungskonform ist. Kienscherf und Lorenzen weisen aber darauf hin, dass es bereits eine anspruchsvolle vertragliche Regelung mit dem Nabu zur Sicherung von Naturschutz- und Grünflächen gebe. Breitner befürchtet, dass „die Errichtung bezahlbaren Wohnraums zum Erliegen kommt“, wenn Grundstücke, die größer als ein Hektar sind, nicht mehr bebaut werden dürfen.
Und auch die Stadtentwicklungssenatorin wird deutlich. „Die Grundhaltungen der Initiativen teile ich nicht. Da treibt mich dann die Sorge um, welche Perspektiven unser Gemeinwesen in Hamburg hat, wenn Partikularinteressen überhandnehmen“, sagt Stapelfeldt. Die Frage ist, ob das die Hamburgerinnen und Hamburger bei einer Abstimmung auch so sehen.