Hamburg. Die 20-Jährige arbeitet auf dem Lieger Caesar in der HafenCity. Im Team ist sie voll integriert – viele Gäste sind erst mal überrascht.
Fröhlich und auch etwas stolz stellt Carlotta Sindemann den Milchkaffee auf den Tisch, dann lächelt sie und verzieht sich in Richtung Küche. Eine ganz „normale“ junge Kellnerin in einem Hamburger Café, wie man sie überall erleben kann? Ja und nein. Denn die 20-Jährige, Lotti genannt, wurde mit dem Downsyndrom geboren, und sie ist damit eben keine alltägliche Servicekraft. Sie macht ihre Arbeit wie alle anderen, braucht aber für manches etwas länger. Sie sieht anders aus, sie spricht anders – und das war’s dann eigentlich auch schon.
Im vergangenen Sommer hatte das Abendblatt Lotti schon mal besucht. Damals jobbte sie an einem Suppenstand in Blankenese – und eroberte die Herzen der Kundinnen und Kunden schnell für sich. Mittlerweile arbeitet sie im Restaurant „Lieger Caesar“ in dem gleichnamigen Wassergefährt mitten in HafenCity. Die Küche ist gesund und sehr abwechslungsreich, das Team jung und motiviert – und Lotti voll integriert. Zwei Tage in der Woche versieht sie ihren Dienst, die Anforderungen sind eine Stufe höher als am Suppenstand.
Kellnerin mit Downsyndrom: „Lotti gehört zum Team"
Zum Gespräch mit Lotti gesellt sich ihr Chef, Steve Förster, der sich selbst lieber als „Gastgeber“ und „Teil des Teams“ bezeichnet. Die beiden starten sofort einen Dialog wie ein eingespieltes Comedy-Duo: Als Lotti von ihren täglichen Aufgaben erzählt („Besteck hinlegen, Kaffee holen…“), unterbricht Steve: „Ja ja. Und viel Urlaub machen, aus dem Fenster gucken, mich ärgern.“ Lotti wird von einem Lachanfall geschüttelt, droht spielerisch mit der Faust: „Manno, hör auf damit.“ Dann wird Förster sachlich: „Lotti gehört inzwischen zum Team – und damit basta.“
Ob man das nun Integration nennen wolle oder nicht, sei letztlich „total egal“. Neben Kolleginnen und Kollegen reagieren auch die Kunden laut Förster aufgeschlossen und gelassen auf die Kellnerin mit dem auch als Trisomie 21 bekannten Syndrom. „Manchmal setze ich mich in eine Ecke und beobachte die Reaktionen“, erzählt Förster. Und die sind fast immer gleich.
„Noch nie ist jemand Lotti dumm gekommen“
„Die meisten neuen Gäste sind erst mal sehr überrascht, wenn Lotti an ihren Tisch kommt. Dann gucken sie sich etwas hilfesuchend um, aber man sieht, dass schon ein Denkprozess läuft.“ Bestellt werde dann schon freundlich und auch etwas neugierig, nur einmal seien Leute, ein paar Entschuldigungen murmelnd, wieder gegangen. „Noch nie ist jemand Lotti dumm gekommen“, sagt Förster, und dann: „Wenn das mal so sein sollte, könnte sich derjenige meinen Laden im Handumdrehen von außen angucken.“
Lotti hat die Schule absolviert, danach ging es auf dem Campus Uhlenhorst der „alsterarbeit“, einer Bildungseinrichtung für Jugendliche mit Lernbeeinträchtigungen, weiter. Nach einer Beschäftigung, bei der sie viele Menschen kennenlernen kann, hat sie sich immer gesehnt, doch die Corona-Zeit erschwerte die Jobsuche ganz erheblich. Nachdem die IG Blankenese der jungen Frau im Sommer den ersten Job vermittelt hatte, half diesmal Nils Tönnesen, der das Geschäft „‘s Fachl“ unter anderem in Ottensen betreibt.
Ein Lieger ist etwas ganz anderes als ein Hausboot
Tönnesen hat auch im Lieger Caesar einen Fachl-Shop eingerichtet und schließlich über Lottis Mutter Christa den Kontakt zu Steve Förster hergestellt. Dass Förster, gelassen und tolerant, „in meinem vorigen Leben“ mal soziale Arbeit studiert und mit Jugendgruppen gearbeitet hat, erweist sich jetzt als glückliche Fügung. Nach einem ersten Treffen war er überzeugt, dass Lotti Potenzial habe, danach ging es so weiter, wie bei allen anderen Berufsanfängern in neuer Umgebung auch: Lotti musste fortan alleine zeigen, was sie kann.
So wenig alltäglich wie Lotti ist auch das Restaurant selbst. Als Gastro-Hausboot könnte man das Ganze spontan bezeichnen, aber korrekt wäre das nicht. Denn Hafen-Lieger sind schwimmende Anlagen wie Schuten und Pontons, die keinen eigenen Antrieb haben. Fürs Übernachten, geschweige denn Wohnen waren sie ursprünglich gar nicht gedacht. Mit 30 Metern Länge und sieben Metern Breite ist Caesar auch größer als ein klassisches Hausboot. Der Lieger ist fest verankert und hält sich dank seiner Pontonunterlage im Hafenwasser.
Lotti bewundert ihr Arbeitsumfeld
Er wurde 1902 als Arbeitsfahrzeug gebaut und jahrzehntelang zu den Bau- und Verladestellen auf den verzweigten Hamburger Wasserwegen gezogen. Das Polster des Pontons trägt eine immerhin 150 Quadratmeter große und 4,50 Meter hohe Werkshalle, nun also Heimat von Restaurant und Fachl-Shop.
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Der denkmalgeschützte Caesar ist heute vermutlich das einzige im Hamburger Hafen noch erhaltene Arbeits-, Werkstatt-, Kontor- und Wachfahrzeug in der typischen Bauweise des 19. Jahrhunderts. Die Kombination aus der Original-Ausstattung und den vielen Fächern mit den schönen Waren schafft eine ungewöhnlich anregende Atmosphäre. Lotti deutet in den weitläufigen Raum: „Toll, soviel zu gucken und so viel Holz.“ Ihr Arbeitsumfeld findet sie jedenfalls toll und cool, wie sie sagt.
Restaurant in Hamburg: Lotti poliert gerne Gläser
Was ihr beim Job am Besten gefällt? „Gläser polieren und die Küche mit Patrick.“ Der sympathische Koch kreiert Spezialitäten wie Mangold-Bulgurtaschen mit gelbem Beete-Püree, und Lotti darf dabei sein – „aber nur wenn Zeit ist“, wie sie betont. Ach ja: Oft sucht sie auch die Musik aus, die manchmal an Bord gespielt wird. Ihr Lieblingsstar: der deutsche Popsänger Wincent Weiss.
Wenn sich die Corona-Lage entspannt hat, will Steve Förster seine Catering-Aktivitäten ausbauen. Jahrelange Erfahrungen hat er bereits mit „Gorilla Gastro“ gesammelt und dabei auch TV-Produktionen beliefert. Lotti freut sich schon jetzt auf diese Zeit: „Wow, dann sehe ich wohl auch ein paar Promis.“