Hamburg. Schulen in sozial schwieriger Lage haben zu wenig Pädagogen – in wohlhabenden Stadtteilen von Hamburg gibt es dagegen einen Überhang.

Haben Schulen in sozial schwieriger Lage größere Probleme, genug Lehrerinnen und Lehrer zu finden, als Standorte in wohlhabenden Stadtteilen? Die Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bürgerschaftsfraktionschefin Sabine Boeddinghaus legt das nahe. Zum Stichtag 15. September 2021 waren an den staatlichen Schulen mit dem Sozialindex 1 (besonders schwierige sozioökonomische Verhältnisse) im Durchschnitt 1,48 Lehrerstellen nicht besetzt, an Schulen mit dem Sozialindex 2 waren es 0,58 Stellen.

Umgekehrt verzeichneten die Schulen mit dem Sozialindex 5 und 6 (privilegierte sozioökonomische Verhältnisse) einen „Überschuss“ von durchschnittlich 0,57 bzw. 0,53 Lehrkräften pro Standort. Das heißt, an diesen Schulen wurden mehr Lehrerinnen und Lehrer beschäftigt, als ihnen nach der Bedarfsplanung zustehen.

Schule Hamburg: Lehrermangel in Vierteln mit sozial schwieriger Lage

An den Schulen mit Sozialindex 1 und 2 fehlten per saldo rund 80 Lehrkräfte. Gut 143 Stellen waren nicht besetzt, aber es gab auch Schulen mit einem Lehrer-„Überschuss“ von insgesamt 63 Lehrerstellen. Umgekehrt war die Lage an Schulen mit Sozialindex 5 und 6: Hier wurden Pädagogen auf gut 130 Stellen beschäftigt, obwohl den Schulen diese Stellen eigentlich nicht zustanden, während lediglich 65 Stellen nicht besetzt waren – per saldo also ein Plus von 65 Stellen.

Der Senat weist in seiner Antwort darauf hin, dass die Zahl der Einstellungen von Lehrkräften seit 2011 über der Zahl der Abgänge liege. „Dies schließt allerdings nicht aus, dass es auch an einzelnen Hamburger Schulen zu temporären Engpässen in einzelnen Fächern oder an einzelnen Standorten kommt“, schreibt der Senat in seiner Antwort auf die Boeddinghaus-Anfrage. Und weiter: „Dieses Phänomen gibt es bereits seit Jahren, es bezieht sich auf sogenannte ,Mangelfächer‘, aber auch auf Schulen in Randlagen und/oder in sozial schwieriger Lage.‘ Über alle staatlichen Schulen ergebe sich eine „strukturelle Lücke“ von 32 Stellen. „Dies sind durchschnittlich 0,09 Stellen pro Schule. Damit hat sich die Versorgungslage im Vergleich zu den Vorjahren leicht verbessert“, heißt es in der Senatsantwort.

Die Opposition wirft der Schulbehörde Untätigkeit vor

Linken-Politikerin Sabine Boeddinghaus wirft dem Senat vor, nicht genug gegen das Ungleichgewicht zu unternehmen. „Dort, wo sie besonders gebraucht werden, fehlen die meisten Lehrerinnen und Lehrer und wird das Recht auf Bildung der Kinder und Jugendlichen am meisten vernachlässigt“, sagt Boeddinghaus. „Schlimm genug ist, dass die soziale Spaltung der Stadt sich in der ungleichen Verteilung der Schulformen Stadtteilschule und Gymnasium ausdrückt – in reichen Nachbarschaften mit dem Sozialindex 6 gibt es keine Stadtteilschulen. Verschärfend kommt die ungleiche Besetzung von Lehrerstellen hinzu“, sagt die Linken-Politikerin.

„Schulen in sozial benachteiligten Stadtteilen haben in der Regel ohnehin bis zu 50 Prozent mehr pädagogisches Personal, sodass scheinbar größere Vakanzen gar nicht ins Gewicht fallen. Eine Schule mit Sozialindex 1 beispielsweise hat eineinhalbmal so viele Lehrkräfte wie eine Schule mit Sozialindex 6“, sagt Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde.

Über die Besetzung der Stellen einer Schule entscheidet die Schulleitung eigenverantwortlich. „Schulleitungen halten mitunter bewusst und geplant Stellen vorübergehend unbesetzt, weil sie diese etwa für einen guten Referendar oder eine Rückkehrerin aus Elternzeit, einem Sabbat- oder Auslandsjahr freihalten wollen oder weil es schlicht zurzeit keinen geeigneten Bewerber gibt“, sagt Albrecht.

Bei Vakanzen können temporäre Lehraufträge helfen

Grundsätzlich gelte für die ausgewiesenen Personalüberhänge nicht automatisch, dass auch zu viel Personal vor der Tafel stehe, da auch Langfristkranke und Lehrkräfte im Mutterschutz statistisch zum Stammpersonal gezählt würden. Im Gegenzug bedeute Personalunterhang nicht, dass in diesem Umfang Personal an den Schulen fehle, da die Schulen Vakanzen mit temporären Lehraufträgen ausgleichen könnten.

Sabine Boeddinghaus überzeugt die Argumentation der Schulbehörde nicht. „Grundsätzlich anerkenne ich die Personalverantwortlichkeit der Schulen, aber vor dem Hintergrund der Ungleichheit sehe ich einen dringenden Handlungsbedarf, bei dem die Behörde unterstützend und steuernd wirken muss. Wir brauchen schnell mehr Lehrkräfte dort, wo sie gebraucht werden“, sagt die Linken-Politikerin.