Hetlingen. Eltern und Politiker wollen Unterschriften sammeln, damit alle Grundschüler im Ort unterrichtet werden können. Was sie fordern.
Ein Brandbrief, adressiert an Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) – ein bislang unbeantworteter Hilferuf, unterzeichnet von Hetlingens Bürgermeister Michael Rahn. Dabei kann sich die Gemeinde das Warten nicht leisten, denn bereits im Februar schneien die ersten Anmeldungen für das kommende Schuljahr herein. Doch welche Perspektive die kleine Dorfschule hat, ja ob sie überhaupt noch eine Perspektive hat, das ist zurzeit ungewiss. Der Reihe nach.
Die kleine Grundschule liegt direkt hinterm Deich, genau genommen ist sie gar keine echte Grundschule mehr. Denn vor gut zwölf Jahren musste sie sich aufgrund der Mindestgrößenanforderung des Landes mit der Grundschule im benachbarten Haseldorf zusammenschließen. Fortan existiert sie nur noch als Außenstelle. Solarpanels auf dem Dach, Glasfaseranschluss, digitale Tafeln, ein sandiger Beachvolleyballplatz und ein sattgrüner Kunstrasenplatz: Modern und zugleich vertraut ist sie, auch wegen des uralten, heute wieder als innovativ erachteten Modells der Familienklassen.
Der Unterricht ist jahrgangsübergreifend, die Großen helfen den Kleinen. Direkt nebenan liegt der Kindergarten, eng verknüpft mit der Schule. Doch die Kita-Kinder können zurzeit nicht selbstverständlich davon ausgehen, in Hetlingen eingeschult zu werden. Grund dafür ist der Lehrermangel, von dem Hetlingen, genauso wie etliche andere Schulen in Schleswig-Holstein betroffen ist.
Wer im Nachbardorf unterrichtet wird, baut sich dort ein Leben auf
Die beiden Lehrerinnen stoßen mit je 25 Kindern in den beiden Klassen an ihre Grenzen, sodass zu diesem Schuljahr bereits zehn Viertklässler an die Mutterschule Haseldorf gewechselt sind. Das gefällt vielen betroffenen Kindern und Eltern nicht, das missfällt aber auch dem Bürgermeister. Michael Rahn erklärt: „Wenn Kinder im anderen Dorf zur Schule müssen, dann gehen sie vielleicht auch dort in den Sportverein und bauen sich da ein Leben auf. Das Dorf wird für junge Familien weniger interessant, die Altersstruktur verändert sich erheblich.“ Der Journalist zeichnet dieses Szenario noch weiter: „Die Jugendfeuerwehr hat weniger Leute, die Grundstückspreise sinken. Das ist ein Schritt, der ein Dorf für die Zukunft verbaut.“
Um guten Unterricht machen zu können, sehen die beiden Lehrerinnen bei um und bei 22 Kindern pro Klasse ihre Belastungsgrenze. Macht insgesamt also 44 Schüler. Für das kommende Schuljahr werden aber 56 Schüler erwartet, darunter 18 Erstklässler. Augenscheinlich geht die Rechnung so nicht auf. Neben einigen Viertklässlern müssten demnach auch mehrere Drittklässler nach Haseldorf wechseln.
2500 Schulkostenbeitrag für jeden Schüler, der nach Haseldorf muss
Pro versetztem Schüler kommen 2500 Euro Schulkostenbeiträge auf die kleine Gemeinde Hetlingen zu - bereits in diesem Jahr summierte sich das auf 25.000 Euro plus zusätzlich 10.000 Euro für den Schulbusverkehr. „Für eine Gemeinde wie unsere ist das ein großes Problem“, bemerkt Rahn.
Um das zu verhindern, will die Gemeinde handeln: Gebraucht werden möglichst viele Unterschriften von den Einwohnern, die sich Eltern, Politiker und andere Unterstützer bis Mitte Januar direkt von den Haustüren abholen wollen. Ihr Ziel: mehr Lehrerstunden für Hetlingen zu bekommen, also noch eine weitere Lehrkraft. Derweilen dürfen Lehrer in Schleswig-Holstein für höchstens 27 Unterrichtsstunden pro Woche eingeteilt werden.
Mehr Stunden würden eine dritte Familienklasse ermöglichen, damit wäre auch der Betreuungsschlüssel wieder im Rahmen. „Das ist die Bedingung, dass die Dorfschule erhalten bleibt. Die Lösung kann ja nicht sein, dass die Schule dann keine zusätzlichen Kinder mehr aufnimmt. Die Hauptlast tragen immer noch die Hauptamtlichen, die Lehrer“, sagt Bürgermeister Rahn.
Lehrer werden erst im Mai zugewiesen
Kurz vor dem Sommer gab es schon mal einen Aufruf, um Lehrkräfte für Hetlingen zu gewinnen. Problem dabei: Die Zuweisung der Lehrer steht erst am Ende des Schuljahres fest: „Bis Mai fliegen wir sozusagen im Blindflug“, sagt Michael Rahn. Für die Planung des weiteren Schuljahres komme das aber viel zu spät: „Das ist für jede Schule wichtig, für eine kleine Schule aber existenziell.“
Die Grundschule Hetlingen hofft jetzt auf Unterstützung der gesamten Gemeinde. Bürgermeister Rahn bekräftigt zuletzt das gemeinsame Ziel: „Alle Kinder, die in Hetlingen wohnen, sollen auch hier zur Schule gehen können.“ Glücklicherweise laufe es nach Auskunft der Lehrer bei den zehn Hetlinger Kindern, die jetzt den Weg nach Haseldorf antreten müssen, gut, berichtet Rahn.
Das ist den Eltern nicht genug. Für die 37-jährige Lisa Cassel, deren Tochter Charlotte in Hetlingen die dritte Klasse besucht, ist es selbstverständlich, dass ihre jüngste Tochter im nächsten Jahr ihrer älteren Schwester folgen wird: „Wir wollen alle unsere Schule hier weiter erhalten.“