Hamburg. Die Kinderarztpraxis von Sigrid Renz bietet am Wochenende Impfungen an. Hilfe bekommt sie von ihrer Tochter und deren Freund.
Normalerweise hat die Arztpraxis an der Osterstraße in Eimsbüttel sonnabends geschlossen. Und normalerweise behandelt Sigrid Renz mit ihren Kolleginnen Christina Saur und Inga Harms nur junge Patientinnen und Patienten, die drei Frauen sind Kinderärztinnen. Aber da die Zeiten nicht normal sind, ist am Tag vor dem dritten Advent alles anders: Die Praxis hat geöffnet, und alle fünf Minuten kommt ein neuer, oft erwachsener Patient. Am Ende werden es 90 sein, die bei dieser ungewöhnlichen Aktion ihre Boosterimpfung erhalten haben.
Sigrid Renz ist dem Aufruf der Gesundheitsbehörde und der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) gefolgt, am Wochenende Impfungen anzubieten. „Ich habe sofort meine Unterstützung angeboten, am vergangenen Wochenende aber nicht genug Impfstoff bekommen.“ Also ging es an diesem Sonnabend los. Anmelden konnten sich Interessierte über die Internetseite der Praxis. Deshalb sind viele Eltern und Großeltern ihrer kleinen Patienten unter den Impfwilligen. Dazu kommen Männer und Frauen, die die Informationen von der Aktion weitergeleitet bekommen haben.
Corona: Hamburger Kinderarztpraxis bietet Impfungen an
Wie etwa Anna-Lena Hinrichsen. Die junge Mutter hatte den Anmeldelink von einer Freundin erhalten. „Das ist ein tolles Engagement“, sagt sie, als sie nach der Spritze warten muss. Im Kinderwagen neben ihr schlummert Edda, gerade einmal sechs Wochen alt. „Ich bin dankbar für diese unkomplizierte Möglichkeit, mir die Auffrischung abzuholen.“
Dankbar ist auch Familie Gebhard. Hans-Rix Gebhard ist mit seiner Frau und den Kindern aus Othmarschen gekommen. „Wir haben über Freunde von der Aktion erfahren“, sagt er. In seinem Stadtteil habe er kein solch schnelles und unkompliziertes Angebot gefunden. „Wir haben Großeltern, die über 90 Jahre alt sind, uns war es so wichtig, diese Impfung zu bekommen.“ Nicole Stassen hat für ihre Schwiegereltern gleich einen Termin mit ausgemacht. „Die kommen später vorbei“, sagt die Frau aus Winterhude. Auch Freunde hätten sich in den Online-Kalender eingetragen. „Das ist absolut klasse, was hier geleistet wird.“
Für Sigrid Renz ist das eine Selbstverständlichkeit. „Ich bin der festen Überzeugung, dass uns jeder einzelne Piks hilft, aus dieser Pandemie herauszukommen“, sagt sie. Und gerade um die Kinder zu schützen, die ihr erstes Anliegen sind, sei es besonders wichtig, die Erwachsenen zu immunisieren. „Wir müssen zusehen, dass wir möglichst schnell möglichst viele Erwachsene durchgeimpft bekommen.“
Ganze Familie hilft bei Booster-Aktion in Kinderarztpraxis
Unterstützt wird die 58-Jährige von ihrer Familie, ihrer Tochter Pauline und deren Freund Christoph Manthey. Das junge Paar studiert Medizin, im neunten Semester. Sie wissen also, was zu tun ist, zumal Pauline regelmäßig bei ihrer Mutter aushilft. Sie ist es auch, die an dem Vormittag den Überblick behält. „Pauline ist mein Chef“, sagt Sigrid Renz.
Die 25-Jährige nimmt die Impfwilligen in Empfang, klärt die organisatorischen Fragen und schickt ihre Mutter und ihren Freund in die Sprechzimmer. Auch Manthey darf die Spritzen setzen. „Er ist medizinisch ausgebildet. Ich habe ihn genau angelernt und mir mehrfach angesehen, wie er es macht“, sagt Sigrid Renz.
Kinderärztin: „Diese Kinder brauchen den Impfschutz dringend"
Und dann steht da plötzlich Christian (Name von der Redaktion geändert), ein schüchterner Teenager, am Tresen. „Hast du etwa verschlafen?“, fragt Sigrid Renz. „Du warst früher eingeplant.“ Der Junge entschuldigt sich: „Ich dachte, mein Termin ist eine Stunde später.“ „Macht nichts“, sagt die Ärztin. „Hauptsache, du kommst überhaupt.“ Christian ist einer ihrer chronisch kranken Patienten.
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Er hat bereits zwei Impfungen erhalten, heute gibt es den Booster. „Die Stiko hat nach wie vor keine Empfehlung für diese größeren Kinder und Jugendlichen über 16 zum Thema Boostern herausgegeben“, sagt Sigrid Renz. Was sie als Versäumnis empfindet. „Diese Kinder brauchen den Impfschutz dringend.“ Deshalb boostere sie alle ihre Patienten über 16 Jahre auch ohne eine entsprechende Empfehlung auf Bitten der Eltern.
Spontane Impfwillige stehen auf Abruf bereit
Was passiert aber nun, wenn wirklich einer der angesagten Impfwilligen nicht zum vereinbarten Termin kommt? Sigrid Renz will keine Spritze verfallen lassen. „Ich habe eine Warteliste mit Männern und Frauen, die kurzfristig vorbeikommen würden, wenn ich sie anrufe.“ Zu wertvoll sei der Impfstoff.
Auch an anderen Impftagen habe sie eine Warteliste vorliegen. „Als ich vergangene Woche drei Dosen überhatte, bin ich auf der Osterstraße in zwei Geschäfte gegangen und habe gefragt, ob jemand eine Impfung haben will.“ Wollten drei Frauen – und so waren drei weitere Hamburger vor dem Coronavirus geschützt.