Hamburg. Initiative mit 64 Mitgliedern wendet sich gegen Bebauung einer Garagenanlage. Klage eingereicht – „wenn nötig, durch alle Instanzen“.

Wieder einmal gibt es im Hamburger Westen Proteste gegen ein neues Bauvorhaben – aber der Widerstand formiert sich diesmal so entschlossen und so gut organisiert wie nur selten. Am Tönninger Weg haben sich gleich 64 Anwohnerinnen und Anwohner, viele davon Eigentümer, zu einer Initiative mit Sprecherausschuss zusammengeschlossen, die den Bau von zwei neuen Mehrfamilienhäusern anstelle einer Garagenanlage verhindern will. Insgesamt vertritt die Initiative sogar die Interessen von rund 90 Beteiligten aus der unmittel­baren und entfernteren Nachbarschaft.

Beim Treffen vor Ort ist die besondere Dynamik der Gruppe deutlich zu spüren. Die Stimmung ist zornig-kämpferisch, von Fatalismus keine Spur. Ein Spruchband wird enthüllt, auch um weitere Mitstreiter zu rekrutieren – vielleicht hamburgweit. „Wir sind agil, solidarisch, schnell und digital aufgestellt“, sagt Sprecher Daniel Stern, „dadurch sind wir zusammengewachsen wie nie zuvor.“ Laut Stern seien bei den nachbarschaftlichen Videokonferenzen mittlerweile Kinder und 85 Jahre alte Ehepaare dabei – „das macht richtig Spaß“.

Neue Wohnungen: Initiative zweifelt Rechtsgrund­lage an

Konkret geht es um einen Garagenhof am Tönninger Weg auf Höhe der Hausnummer 73, der abgerissen und durch zwei Bauten mit insgesamt 22 Wohneinheiten ersetzt werden soll. Da der zugehörige Bebauungsplan (Osdorf 39) dort ausschließlich Garagen in nur eingeschossiger Bebauung festschreibt, sieht die Initiative keine Rechtsgrund­lage für das Bauvorhaben.

Trotzdem ging bei der Planung zuletzt alles ganz schnell: Im Widerspruch zu dem nach wie vor unveränderten Bebauungsplan erteilte der Bauausschuss der Bezirksversammlung Altona in seiner nicht öffentlichen Sitzung Ende November einen Bauvorbescheid, womit dem Investor eine erste Hürde aus dem Weg geräumt wurde. Die Initiative befürchtet nun unter anderem einen massiven Eingriff in die gewachsene Nachbarschaftsstruktur und ein Verkehrschaos vor Ort.

Initiative schaltet Anwälte ein

Ihr Protest ist aber letztlich viel tiefer begründet. Die Grundzüge der Planung hätten die einzuhaltenden Vorschriften „elementar verletzt“, und die neuen Baukörper seien „mit vielen planungsrechtlichen Vorschriften unvereinbar“, heißt es auf der Homepage toenningerweg.info. Denn: „B(au-)Pläne sind Gesetze, die Bürger wie auch staatliche Organe binden.“

Die Gruppe hat jetzt eine der renommiertesten, auf Baurecht spezialisierten Anwaltskanzleien Hamburgs damit beauftragt, das Projekt zu verhindern – „wenn nötig, durch alle In­stanzen“, so Daniel Stern. Ihr wurde außerdem ein Vorvertrag zwischen der Stadt und dem Investor zugespielt, der offenbar bereits im Herbst 2020 geschlossen wurde – also schon vor dem offiziellen Planungsbeginn. Die Gruppe sieht hier eine mögliche unzulässige Absprache – ein Thema, das nun ebenfalls die Anwälte beschäftigen wird.

Bauvorhaben schon das dritte Projekt in Nachbarschaft

Von der „einseitigen Bevorzugung von Individualinteressen“ ist jetzt vor Ort die Rede, von einem „höchst zweifelhaften Genehmigungsverfahren“ und sogar von einem möglichen Rechtsbruch. Dass der Zorn der Anwohner jetzt so hoch kocht, hat aber noch einen anderen Grund: Das Bauvorhaben wäre schon das dritte vergleichbare Projekt in der unmittelbaren Nachbarschaft innerhalb von nur drei Jahren.

Und: Nach Einschätzung der Initiative könnten in der nächsten Zeit in der Gegend insgesamt sogar bis zu 280 Garagen- beziehungsweise Stellplätze wegfallen. „Bürger, Nachbarn und Eigentümer wurden hier vorab weder informiert, noch wurden ihre rechtmäßigen Interessen und Ansprüche bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt “, kritisiert Michael Hammerbeck.

Bezirksamt weist Vorwürfe zurück

Vor der Entscheidung des Bauausschusses im November hatte die Initiative an alle Mitglieder geschrieben und ihre Bedenken mitgeteilt. Die Reaktionen auf das Schreiben waren überschaubar. Das Bezirksamt weist die Vorwürfe entschieden zurück. Die Baukommission habe den Bauherrn von der Planfestsetzung befreit, was im Klartext bedeutet, dass vor Ort nun nicht mehr nur eingeschossig gebaut werden darf.

Begründet wird das damit, dass dies „der Schaffung dringend benötigten Wohnraums dient und städtebaulich als vertretbar zu erachten ist“. Darüber hinaus würden die Abstandsflächen eingehalten, und: „Da sich links neben dem Vorhabengrundstück zweigeschossige Reihenhäuser und rechts dreigeschossige Mehrfamilienhäuser befinden, würde das Bauvorhaben zwischen der umgebenden Bebauung vermitteln“.

Immer wieder Proteste gegen Nachverdichtungen

Immer wieder hat das Abendblatt in den vergangenen Monaten über Anwohnerprotesten gegen Nachverdichtungen berichtet – fast flächendeckend in zahlreichen Stadtteilen. Albertiweg, Ohlenkamp, Blankeneser Bahnhofstraße Wesselburer Weg, Bahrenfelder Kirchenweg – das sind nur einige Beispiele von vielen. Die Protestierenden sehen sich häufig dem Vorwurf ausgesetzt, nur ihre Partikularinteressen im Blick zu haben.

„Sind Bauvorhaben, die aus 20 Wohnungen bestehen, wirklich ein Beitrag zur Bekämpfung der Wohnungsnot“, hält Martin Lagoda dem entgegen, „oder werden hier einfach nur Investoren bedient, während die Zustimmungsbereitschaft unter den Bürgern der Stadt nachhaltig erstickt wird?“ Die Initiative präsentiert Statistiken: In den kommenden Jahren werden Tausende zusätzliche Wohnungen in Altona gebaut, unter anderem an der Science City in Bahrenfeld und auf dem Areal des jetzigen Fernbahnhofs Altona, der verlegt wird. Trotzdem laufe parallel die Nachverdichtung ungebremst weiter.

Stadt "missachtet zunehmend geltendes Recht"

„Zur Aufbesserung ihrer Wohnungsbaubilanz zieht die Stadt immer mehr das Tempo an“, sagt Jan-Hennig Lau vom Sprechergremium. „Um langwierige Genehmigungsverfahren zu umgehen, missachtet sie zunehmend geltendes Recht.“