Hamburg. Das Karree am Bahrenfelder Kirchenweg blieb bislang weitgehend unberührt. Nun sollen die Bagger anrollen – doch Anwohner machen mobil.

Es ist eine dieser unauffälligen Ecken, die von spektakulären Bauvorhaben bislang verschont blieben – die nicht viele Hamburgerinnen und Hamburger kennen und die noch ein bisschen heile Welt zu sein scheinen. Das Karree zwischen Bahrenfelder Kirchenweg, Zöllner-, Händel-, und Hegarstraße bilden vor allem Saga-Wohnungen und ältere Stadthäuser – seit Jahrzehnten hat sich hier nur wenig verändert.

Dabei wird ansonsten in Bahrenfeld und im benachbarten Ottensen aktuell mehr geklotzt als gekleckert. Nur knapp 100 Meter entfernt entsteht das riesige Kolbenhof-Quartier, gleichzeitig läuft unter ohrenbetäubendem Lärm der Rückbau des ehemaligen Euler-Hermes-Gebäudes, an dessen Stelle ebenfalls neue Wohnungen gebaut werden.

Wohnungsbau in Bahrenfeld schon abgesegnet

Und mittlerweile ist auch besagtes Karree ins Blickfeld von Investoren gerückt. Mitten im Innenhof sollen zwei große Wohnblöcke entstehen, die sich wie Riegel zwischen die bestehenden Häuser schieben werden. Die Bauanträge wurden von der Bezirkspolitik bereits durchgewinkt, und entsprechend mies ist die Stimmung vor Ort. Anwohner haben nun eine Initiative gegründet, die die neuen Häuser vor Ort unbedingt verhindern will.

Die Sonne bescheint die Terrasse von Sabine Howe und Florian Borkenhagen an der Händelstraße. Der Blick fällt auf hohe Bäume, Vögel zwitschern. Doch genau auf dieser Sichtachse soll einer der beiden Wohnblöcke entstehen – drei Stockwerke plus Dachterrasse.

Dahinter, weiter in Richtung Süden, wird dann Block zwei folgen – als weitere Beispiele für die vielzitierte Nachverdichtung, wie sie mittlerweile überall in Hamburg praktiziert wird. Gemeinsam mit Nachbarn, einige auch aus den anderen angrenzenden Straßen, hat das Ehepaar jetzt einen Anwalt eingeschaltet. „Wir werden im Eilverfahren Widerspruch gegen die Bebauung einlegen“, kündigt Howe gegenüber dem Abendblatt an, „das können wir uns nicht bieten lassen.“

Anwohner fürchten Einschränkung der Privatsphäre

Neben Verschattung befürchten die Anwohner auch eine starke Einschränkung ihrer Privatsphäre. Auf Plänen, die dem Abendblatt vorliegen, ist deutlich zu erkennen, dass die bestehenden Häuser nach der Fertigstellung der Neubauten nur noch wenige Meter von diesen entfernt stehen würden. Die Initiative will nicht als Meckerverein verstanden werden, der Wohnraum nur deshalb verhindern will, weil er vor der eigenen Haustür entstehen soll. Die Anwohner stellen Fragen zur aktuellen Wohnungsbaupolitik. Fragen, die weit über ihr Quartier hinausgehen und die ihnen aus der Politik nicht beantwortet werden.

Beim Gang in den großen Innenhof zeigt sich, was ein Teil des Problems ist. Die Flächen – hinter den Häusern Bahrenfelder Kirchenweg 33 und 37, sind zurzeit mit alten Garagen bebaut. Dass diese logischerweise einst dicht bei den Wohnhäusern errichtet worden waren, wird für die Anwohner jetzt zum Nachteil. Denn Bezirkspolitiker verweisen darauf, dass die Flächen, um die es vor Ort geht, ja letztlich bereits versiegelt seien. Eine Neubebauung würde also quasi nur auf bereits verdichtetem Grund aufbauen.

Die Initiative will das so nicht gelten lassen. „Das ist eine ganz einfache Asphaltschicht, teilweise gesprungen und wasserdurchlässig“, sagt Lieven Brunckhorst im Innenhof auf Höhe der Nummer 33. „Hier soll nun eine Tiefgarage angelegt werden, auf die dann die massive Bebauung gesetzt wird, das ist ja wohl eine ganz andere Art der Nachverdichtung.“

Bebauungspläne stammen noch aus alten Zeiten

Grundlage für die Rechtmäßigkeit einer Bebauung sind Pläne aus den 1950er-Jahren, die wiederum noch auf Pläne aus der NS-Zeit zurück gehen. „Derart alte Bebauungspläne sind relevant dafür, was und wo heute gebaut werden darf, also in einer völlig veränderten Zeit“, kritisiert Florian Borkenhagen, „das versteht doch kein Mensch.“

Doch die Kritik der Initiative geht noch weiter. Die Gruppe verweist auf die enorme Nachverdichtung in Bahrenfeld und im benachbarten Ottensen. Außer auf dem Quartier Kolbenhöfe wird unter anderem auch an der Gasstraße gebaut, und am Bahrenfelder Kirchenweg/Ecke Von-Sauer -Straße entsteht im kommenden Jahr „Emils Quartier“ mit 300 Wohneinheiten.

Anwohner kritisieren Neubauten in Altona

Erst im Sommer hatte, wie berichtet, die Initiative Architects for Future Hamburgs Wohnungsbaupolitik scharf kritisierst. Unter anderem fordern die Architekten, Klimaziele im Bausektor konsequent zu verfolgen, den Klimaschutz zum Oberziel der Bauleitplanung zu machen und Flächenversiegelung zu stoppen. Vorher müsse die Sanierung und Umnutzung vorhandener Gebäude geprüft und realisiert werden, Eingriffe in die Natur seien zu vermeiden und eine grüne Infrastruktur mit zu planen.

So sieht es auch die Anwohnerinitiative. „Man muss doch mal klar sagen, dass vieles von dem, was jetzt gebaut wird, schlichtweg Investorenmodelle sind“, sagt Sabine Howe. „Da lässt sich schnell viel Geld verdienen, und die Politik segnet alles ab.“ Und Nachbarin Natalie Landerschier ergänzt: „Wenn es hier um den Bau von Sozialwohnungen ginge, würden wir uns gar nicht wehren.“

Wohnungsbau in Bahrenfeld sei rechtlich zulässig

Bezirkspolitiker weisen die Vorhaltungen der Anwohner zurück. „Rechtlich ist die Bebauung absolut zulässig“, sagt der Altonaer CDU-Fraktionschef Sven Hielscher. „Und die Schaffung von mehr Wohnraum ist erklärtes politisches Ziel in Hamburg.“ Ähnlich der Altonaer Bauexperte Gregor Werner. „Ökologisch ist die Nachverdichtung in der Stadt ja wohl deutlich sinnvoller als auf der grünen Wiese“ sagt Werner.

Außerdem nehme die Bewohnerzahl in den Quartieren gar nicht so eklatant zu, wie oft kolportiert werde. „Der Punkt ist eher, dass die Einzelnen für sich mehr Wohnfläche reklamieren, was man ihnen ja nun nicht verbieten kann.“ Sabine Howe hält dagegen: „Wie diese Baupolitik mit den Zielen einer klimaneutralen Stadt vereinbar sein soll, konnte uns bislang noch kein Mensch schlüssig erläutern.“