Hamburg. Hamburg ändert die Maßnahmen zum dritten Mal innerhalb weniger Wochen. Wirtschaftsverbände reagieren mit Verständnis und Kritik.
Während die Corona-Infektionszahlen und die Auslastung der Krankenhäuser steigen, überschlagen sich die Ereignisse. Bevor Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) am Dienstag um 13 Uhr in die virtuellen Bund-Länder-Beratungen über härtere Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie ging, beschloss er mit seinem rot-grünen Senat bereits, die Regeln für die Hansestadt weiter zu verschärfen – zum dritten mal innerhalb von drei Wochen.
Nachdem die 2G-Regelung (Zugang nur für Geimpfte und Genesene) zunächst nur für einige wenige Branchen wie die Gastronomie gegolten hatte, dann auf viele weitere Bereiche wie Hotels, Kultureinrichtungen und Fitnessclubs erweitert wurde, wird sie künftig auch im Einzelhandel gelten.
Ausgenommen sind dann nach Angaben von Senatssprecher Marcel Schweitzer nur noch Bereiche, „die als lebensnotwendige Grundlage benötigt werden“, also etwa Supermärkte, Apotheken und Frisöre. Die exakten Formulierungen werden voraussichtlich am Freitag bekanntgegeben, bevor die verschärften Maßnahmen am Sonnabend in Kraft treten.
Hamburg verschärft Corona-Regeln – in Clubs gilt 2G plus
Darüber hinaus wird für Clubs und auf Tanzveranstaltungen die 2G-Plus-Regel, wonach auch Geimpfte und Genesene einen aktuellen negativen Test benötigen, eingeführt. Im Behördendeutsch wird diese Regelung für „Tanzlustbarkeiten“ gelten, was Schweitzer mit „überall da, wo getanzt wird“ übersetzte. „Es ist egal, ob es in einer Hochzeitshalle in Wilhelmsburg ist oder in einem Club auf dem Kiez.“ Ebenfalls neu: Die Ausnahmen für Kinder und Jugendliche bei der 2G- und 3G-Regel gelten nur noch für Unter-16-Jährige statt wie bislang für Unter-18-Jährige.
Der Senat komme zu der Einschätzung, dass weitere Maßnahmen erforderlich sind, um die Pandemie eindämmen zu können, sagte Schweitzer. Ziel der weiteren Einschränkungen sei es, einen Anreiz zur Impfung zu schaffen. „Wer geimpft oder genesen ist, kann auch weiterhin shoppen gehen.“ Wer nicht geimpft sei, werde es schwer haben – das entspreche der oft wiederholten Ansage des Bürgermeisters.
Corona: Bedarf an Testkapazitäten in Hamburg steigt
Da nun auch Geimpfte für bestimmte Veranstaltungen einen Test benötigen, wird auch der Bedarf an Testkapazitäten weiter steigen. Wie berichtet sind diese jedoch bereits vielerorts überlastet. Seit alle Bürgerinnen und Bürger wieder Anspruch auf einen kostenlosen Antigen-Schnelltest pro Woche haben, hat sich die Nachfrage laut Testzentrum-Betreiber Axel Strehlitz, der acht Standorte in der Stadt leitet, innerhalb eines Monats verfünffacht. „Es ist schon so, dass die Testkapazitäten nicht überschwänglich vorhanden sind“, räumte Schweitzer am Dienstag ein. „Wir rechnen aber damit, dass sie ausgebaut werden können.“ Die Stadt setze dabei auf Marktregulierung. „Jetzt ist die Nachfrage wieder da, also wird das Angebot wieder gedeckt werden können.“
Dass der Senat von seiner lange eingeübten Praxis abweicht, die Wirkung neuer Maßnahmen erstmal zwei Wochen zu beobachten und dann gegebenenfalls anzupassen, räumte der Senatssprecher ein: „Wir sehen, was im Süden Deutschlands los ist und wir würden uns diese Situation gerne in Hamburg ersparen“, sagte Schweitzer. Daher komme die Verschärfung der Regeln früher als üblich.
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Tschentscher schließt allgemeine Impfpflicht nicht aus
Am frühen Abend kündigte Bürgermeister Tschentscher nach den Bund-Länder-Beratungen weitere Beschränkungen an. Es sei vereinbart worden, dass Ungeimpfte ihre Kontakte reduzieren sollen (auf einen Haushalt plus zwei Personen), dass bei gewissen Veranstaltungen wie im Kulturbereich zusätzlich zu 2G eine Maskenpflicht gelten soll und dass die Zuschauerzahl bei Sport-Großveranstaltungen (also vor allem im Profi-Fußball) reduziert werden sollen.
Sobald das auf Bundesebene konkret geregelt und beschlossen sei, werde Hamburg sich diesen Regeln anschließen. Auch eine allgemeine Impfpflicht schloss Tschentscher nicht aus: Er habe die Beratungen so wahrgenommen, dass es einer Impfpflicht bedarf und diese nun durch den Bund vorbereitet werde.
Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:
- Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
- Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
- Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
- Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
- Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).
2G im Einzelhandel: Minusgeschäft zur Weihnachtszeit?
In der Wirtschaft stoßen diese Verschärfungen nur eingeschränkt auf Zustimmung. „Leider scheint an erneuten Maßnahmenverschärfung zur Eindämmung des Infektionsgeschehens kein Weg vorbeizuführen“, sagte Norbert Aust, Präses der Handelskammer Hamburg. „Für viele Unternehmen ist ein so eingeschränktes Wirtschaftsleben weiterhin besser als erneute pandemiebedingte Schließungen wie im vergangenen Winter.“ Für die Firmen bringe das aber zusätzliche Lasten, etwa durch Zugangskontrollen, mit sich. „Unverständlich“ sei, dass nicht schon bei der Ankündigung neuer Maßnahmen am Dienstag Klarheit über die Regeln geschaffen werde, sondern immer erst am Freitag. Viele Betriebe hätten dann nur noch wenige Stunden für die Umsetzung.
Dass nur noch Geimpfte und Genesene mit einem entsprechenden Nachweis einkaufen können, sah auch der Präsident des Handelsverbands Nord, Andreas Bartmann, letztlich als kleineres Übel. „Die 2G-Regel im Einzelhandel ist besser als komplett zu schließen oder die 2G-Plus-Regel“, sagte er dem Abendblatt. Aber angesichts der schon jetzt niedrigen Kundenfrequenzen sieht der Handelsexperte, der auch Geschäftsführer des Outdoor-Ausrüsters Globetrotter ist, „die wirtschaftliche Auskömmlichkeit in vielen Läden nicht mehr gegeben. Uns fehlen die nicht immunisierten Kunden.“
Nach seiner Prognose ist nach Verschärfung der Zugangsbeschränkung mit einem Umsatzminus von 30 bis 40 Prozent im Vergleich zum Dezember 2019 zu rechnen. „Das Weihnachtsgeschäft sollte eigentlich ein Umsatzbringer sein, jetzt kann es zum Minusgeschäft werden“, so Bartmann.
CDU fordert: Impfpflicht für alle darf kein Tabu sein
Deutliche Kritik an der 2G-Regel kam von Brigitte Nolte, Geschäftsführerin des Handelsverbands Nord. „Besonders für große Geschäfte ist es sehr aufwendig, die Zugänge zu kontrollieren. Das ist eine erneute Belastung, die zu weiteren wirtschaftlichen Einbußen führen wird.“ Es habe sich in den vergangenen Monaten gezeigt, dass der Einzelhandel kein Pandemietreiber sei. Wenn jetzt mit der Verschärfung der Zugangsregeln die Impfbereitschaft erhöht werden solle, passten Ursachen und Maßnahmen nicht zusammen. „Die Auswirkungen wird man in der Stadt spüren, weil die Menschen mehr online bestellen. Da hilft auch kein Neustartfonds.“
CDU-Fraktionschef Dennis Thering sagte, seine Fraktion trage die vom Senat beschlossen Verschärfungen zwar mit. Dennoch kritisierte er: „Tatsächlich wäre es sinnvoll gewesen, wenn der Senat 2G als Regelmodell in Hamburg schon einige Wochen früher eingeführt hätte, dann wären manche Verschärfungen vielleicht gar nicht erst nötig gewesen.“ Die Einführung weiterer Testpflichten müsse der Senat jetzt umgehend organisieren. „Bereits jetzt sind freie Termine in den Testzentren kaum noch vorhanden, die Kapazitäten reichen dafür Stand jetzt nicht aus“, so Thering.
Er forderte: „Ein sogenannter Lockdown für Ungeimpfte muss besser heute als morgen in Kraft treten. Es kann nicht sein, dass am Ende auch alle Geimpften von weiteren Beschränkungen betroffen sind, nur weil es immer noch einige gibt, die eine Impfung ablehnen. Auch eine generelle Impfpflicht darf kein Tabu mehr sein.“
Linke fordern noch schärfere Corona-Regeln in Hamburg
Deniz Celik, Gesundheitsexperte der Linkespartei, sagte: „Ohne ausreichend Testzentren ist Hamburg doch gar nicht nicht auf 2G Plus vorbereitet. Da scheitert jede ‚Tanzlustbarkeit‘ dann ganz schnell am Testfrust.“ Um vor die vierte Welle zu kommen, seien die Maßnahmen nicht ausreichend: „Wir brauchen jetzt drastische Kontaktreduzierungen, Abstand und Maskenpflicht in Innenräumen auch für Geimpfte sowie flächendeckende Impfangebote.“
Thomas Reich (AfD) kritisierte: „Im zweiten Coronawinter fällt Rot-Grün nichts Besseres ein, als Einschränkungen in der Endlosschleife zu erlassen. 2G im Einzelhandel bedeutet ein Lockdown für Ungeimpfte und die gnadenlose Ausgrenzung. Das ist unverantwortlich.“