Hamburg. Während der frühere Amtsleiter Harald Rösler zum Bestechungsvorwurf schweigt, hält Familienvater Tom O. einen langen Monolog.

Die ehemalige Staatsrätin Elke Badde und die frühere designierte Leiterin des Bezirksamts Nord, Yvonne Nische, hat die Stones-Ticket-Affäre ihre Karriere gekostet. Sie wurden bereits wegen Vorteilsannahme zu Geldstrafen verurteilt, wenn auch nicht rechtskräftig. Andere Beamte niederen und höheren Ranges erhielten Strafbefehle oder kauften sich von einer Strafe frei. Sie alle dürften den Tag längst verflucht haben, an dem sie sich dazu verleiten ließen, eine der insgesamt 100 Freikarten für das Rolling-Stones-Konzert im Stadtpark am 9. September 2017 oder eine der 300 Vorzugs-Kaufkarten anzunehmen. Die Karten waren toxisch, das reinste Kryptonit.

Zweieinhalb Jahre ermittelte die Staatsanwaltschaft, bevor sie die aus ihrer Sicht vier Hauptverantwortlichen für die Ticket-Affäre anklagte, das war im März 2020. Weitere 18 Monate später hat jetzt der Prozess begonnen. Vor Gericht stehen der einstige Bezirksamtsleiter Nord, Harald Rösler, sein Stellvertreter Tom O. und zwei Mitarbeiter der Firma FKP Scorpio, die im September 2017 den Auftakt der „No Filter“-Europatournee der Stones veranstaltete.

Ex-Bezirksamtschef wegen Bestechlichkeit im Amt angeklagt

Rösler kommt am Mittwoch als letzter in den Saal, begleitet von seinem Verteidiger, dem für seinen Kampf mit harten Bandagen berühmten wie berüchtigten Star-Anwalt Johann Schwenn. Für Rösler steht aber auch einiges auf dem Spiel. Die Staatsanwaltschaft hat ihn unter anderem wegen Bestechlichkeit im Amt und Untreue angeklagt. Sollte er zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt werden, könnte der 71-Jährige seine Ruhebezüge verlieren.

Als Chef der für das Konzert zuständigen Genehmigungsbehörde, dem Bezirksamt Nord, soll Rösler Frei- und Vorzugs-Kaufkarten gefordert und dem Veranstalter im Gegenzug dafür in Aussicht gestellt haben, ihm beim Nutzungsentgelt für die Festwiese im Stadtpark entgegenzukommen.

Ausgelassene Fans beim Stones-Konzert im Stadtpark.
Ausgelassene Fans beim Stones-Konzert im Stadtpark. © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Nach einigem Hin und Her einigten sich die Parteien im Mai 2017 auf 100 Freikarten im Wert von rund 15.000 Euro und weiteren 300 Kaufkarten, so die Anklage. Für die Festwiese zahlte FKP Skorpio demnach nur einen Betrag von 196.000 Euro – nach Auffassung der Staatsanwaltschaft wäre die Nutzung aber mehr als das Dreifache wert gewesen. Dem städtischen Haushalt seien dadurch Einnahmen in Höhe von 436.422, 22 entgangen, so die Anklage. FKP Scorpio droht deshalb die Einziehung des sogenannten Tatertrags in eben dieser Höhe.

Vorwürfe wegen Bestechlichkeit „aus der Luft gegriffen“

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Freikarten gingen an 40 Mitarbeiter des Bezirksamtes Nord

Die Freikarten, jeweils zwei, gingen laut Anklage an 40 Mitarbeiter des Bezirksamtes Nord – in „stillschweigender Übereinkunft“ und als „Dank für bereits geleistete oder künftige Dienste“. Von den 300 Kaufkarten wiederum profitierten „Freunde des Hauses“. Rösler selbst soll mit seiner Ehefrau Konzert-Karten (Premium-Gold) mit Einladung zu einem VIP-Empfang im Wert von 1400 Euro angenommen haben.

Neben den Amtsträgern stehen auch zwei in die Stones-Verhandlungen involvierte Mitarbeiter von FKP Scorpio vor Gericht, wegen Bestechung. Die beiden Angeklagten schweigen zu den Vorwürfen, so wie Rösler auch.

FKP Scorpio: Das sagt der Prozessbevollmächtigte

In seinem Eröffnungs-Plädoyer weist der Prozessbevollmächtigte der Firma, Oliver Pragal, die Vorwürfe am Mittwoch indes „vollumfänglich und nachdrücklich“ zurück: Es habe keinen Zusammenhang zwischen der Vergabe der Freikarten und dem Nutzungsentgelt für die Festwiese gegeben. FKP Scorpio habe 255.000 Euro für die Wiese gezahlt, und das sei „nicht wenig“. So wären für die Miete der Trabrennbahn nur 140.000 Euro fällig geworden.

Zusätzlich habe Scorpio auch noch die Infrastruktur aufbauen müssen (Toiletten, etc.) und 380.000 Euro für die Instandsetzung der nach dem Konzert stark beschädigten Festwiese gezahlt. Insgesamt beliefen sich die Kosten auf 635.000 Euro – nie zuvor habe die Firma so viel für eine Konzertfläche gezahlt.

Ausgabe von „Venue-Karten“ ist übliche Praxis

Auch sei die Ausgabe von sogenannten „Venue-Karten“ an die Genehmigungsbehörden gängige Praxis in der Branche. Es habe bisher deshalb kein einziges Strafverfahren gegeben. So sei beispielsweise auch in der Elbphilharmonie das Vorhalten von Dienstplätzen üblich, und beim Stones-Konzert seien lediglich 0,125 Prozent des Karten-Kontingents Venue-Tickets gewesen.

Der einzige Angeklagte, der sich am Mittwoch zu den Vorwürfen einlässt, ist Röslers einstiger Stellvertreter Tom O., angeklagt wegen Beihilfe zur Bestechlichkeit und Vorteilsgewährung. Sichtlich bewegt vom Druck, der auf ihm und seiner Familie seit Aufnahme der Ermittlungen lastet, gerät sein 70-minütiger Monolog zu einer bitteren Generalabrechnung mit der Staatsanwaltschaft, die „nicht ergebnisoffen“ ermittelt habe.

„Ich weise die Vorwürfe zurück“, sagt der 49-Jährige. Allein, es mangele schon am Motiv. „Wer glaubt ernsthaft, dass ich als Familienvater für ein Konzert, das mir nichts bedeutete, für Freikarten mit einem virtuellen Marktwert von ein paar tausend Euro, über die ich nicht verfügen konnte oder wollte und für einen Konzertbesuch, auf den ich auch gut hätte verzichten können, ein solches Risiko eingegangen sein soll?“ Eine Straftat seines früheres Chefs vermöge er nicht zu erkennen, insofern könne er gar auch keine Beihilfe dazu geleistet haben.

Stellvertreter spricht von "Riesendummheit"

An der Vertragsverhandlung sei er gar nicht beteiligt gewesen. Die 255.000 Euro für die Wiese seien ihm allerdings auch „unverdächtig“ vorgekommen. So zahlten etwa die Schausteller auf dem Dom für 13 Tage Nutzung lediglich 180.000 Euro. Die von der Staatsanwaltschaft als angemessen erachtete Summe von mehr als 600.000 Euro für die Wiese bezeichnet er als „Mondgebühr“.

Nach seiner damaligen Prüfung seien die Freikarten ohne Gegenleistung als „Sponsoring“ der Stadt genehmigungsfähig gewesen. Dass er den Genehmigungsantrag vom 15. Mai auf den 9. Mai 2017 zurückdatiert habe, sei indes eine „Riesendummheit“ gewesen. Er selbst habe drei Freikarten erhalten, das Konzert aber nur in „dienstlicher Funktion“ besucht. Und dass Amtsträger kulturelle Veranstaltungen besuchen sollten, sei vom Senat ausdrücklich gewollt. „Meine Familie und ich fühlen uns um vier Jahre unseres Lebens betrogen“, sagt er. „Wir haben nur noch den Wunsch, wieder ein normales Leben zurück zu bekommen.“