Hamburg. Würde Helmut Schmidt Schwarzfahren? Neue, interaktive Karte im Internet klärt auf – und führt zu weiteren spannenden Wegmarken.

Akkurat wie sie war, hatte Hannelore Schmidt den Brief vom 29. April 1949 in ein privates Fotoalbum geklebt. Daher fiel das offizielle Schreiben der Hamburger Hochbahn an Herrn Helmut Schmidt erst jetzt auf. Da war der spätere Polizeisenator und Bundeskanzler doch tatsächlich beim Schwarzfahren erwischt worden – in einem Bus der Linie 30, an einem Freitag. Das erhöhte Fahrgeld in Höhe von fünf D-Mark, nach der Währungsreform eine Menge Geld, musste binnen acht Tagen im Büro der Verkehrsgesellschaft an der Steinstraße beglichen werden.

Auch andere Fundstücke aus dem Vermächtnis der verstorbenen Ehrenbürger Loki und Helmut Schmidt gelangen mit Verzögerung an die Öffentlichkeit. Kein Wunder bei mehreren 1000 Ordnern und Akten. Dazu gehört ein Schriftstück aus dem Weltkriegsjahr 1943. Darin teilt Helmut Schmidt förmlich mit, dass ein von ihm geliehenes Klavier in der Barmbeker Mietwohnung bei einem Luftangriff „vernichtet“ wurde. Oberleutnant Schmidt unterzeichnet zeitgemäß mit „Heil Hitler“.

Schmidt-Map: Interaktive Karte verfolgt das Leben von Hamburgs Ehrenbürgern

Beide Dokumente sind Bestandteile einer neuen „Schmidt-Map“ im Internet, die von der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung Anfang dieser Woche freigeschaltet wird (https://map.helmut-schmidt.de). Mehr als 60 Stationen kann man sich durch das Leben der beiden namhaften Hanseaten klicken. Bekannte wie unerwartete Wegmarken lassen sich auf unterschiedlichen Routen passieren. Garniert sind die Haltepunkte mit Texten zum Thema, passenden Fotos oder Filmspots. Das gesamte Programm, hinter dem eine Idee steckt, ist liebevoll aufbereitet.

Eine entscheidende Markierung ist natürlich das Schmidt-Haus am Neubergerweg 80 in Langenhorn, einer seit dem Tod Helmut Schmidts im November 2015 praktisch unveränderten Gedenkstätte mit Museumscharakter. Eben dort nimmt die Stiftung am heutigen Montag eine weitere Würdigung vor: Das berühmte Doppelhaus im Norden Hamburgs wird offiziell zur Geschichtsstätte.

Das Schreiben der Hochbahn Aktiengesellschaft Hamburg vom 29. April 1949 an Helmut Schmidt.
Das Schreiben der Hochbahn Aktiengesellschaft Hamburg vom 29. April 1949 an Helmut Schmidt. © map.helmut-schmidt.de

Hamburg war stets Schmidts Heimathafen

Eine Plakette weist das Rotklinkergebäude, in dem während der Schmidt-Ära Staatsoberhäupter, Politiker und Chefdenker aus aller Welt weilten, als bemerkenswerten „Ort der Demokratiegeschichte“ aus. Mit dieser Aktion soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass unsere Staatsform hart erkämpft wurde – und tagtäglich zu verteidigen ist. Bundesweit sind mehr als 100 historische Stätten in der Liste enthalten. Diese Einstufung des ehemaligen Wohnhauses der dreiköpfigen Familie Schmidt ist für die Stiftung ein willkommener Anlass, den Start der „Schmidt-Map“ zu präsentieren.

„Die interaktive Entdeckungsreise durch Schmidts Leben begeistert mich selbst“, sagt Dr. Meik Woyke, Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer der Bundesstiftung. Zwar habe es den Staatsmann in alle Welt gezogen, doch sei „Hamburg stets sein Heimathafen gewesen“, sein Ruhepol – mit Langenhorn als Basis.

Stadt-Tour: Iserbrook bis Bergedorf, von Langenhorn bis Wilhelmsburg

Die 60 Stationen der Karte im Internet dokumentierten eine besonders intensive Bindung an die Hansestadt. Ein Drittel der Markierungspunkte hat private Anlässe. Neben dem Fahren ohne Fahrschein im Alter von 30 Jahren als diplomierter Volkswirt und dem in der Wohnung Gluckstraße zerstörten Piano handelt es sich beispielsweise um die Rudergesellschaft Hansa, um die frühere Wohnung am Zickzackweg in Othmarschen oder um die Reisebuchhandlung Dr. Götze am Alstertor, dessen treuer Kunde Helmut Schmidt zeitlebens war.

Abgebildet ist auch ein köstliches Foto von einem Besuch der Familie Schmidt bei einem Beatles-Konzert 1966 in der damaligen Ernst-Merck-Halle. Während Loki sich die Ohren zuzuhalten scheint und Tochter Susanne aufmerksam zuhört, ist nicht ganz klar: Genießt Helmut Schmidt das Konzert konzen­triert mit geschlossenen Augen? Oder machte er tatsächlich ein Nickerchen?

Andere Quellen sind eindeutiger. Die 60 Meilensteine ziehen sich durch die gesamte Stadt – von Iserbrook bis Bergedorf, von Langenhorn bis Wilhelmsburg. Die katastrophale Sturmflut von 1962, im Februar vor sechs Jahrzehnten, versetzte den Jungpolitiker Schmidt erstmals in die Lage, seine Fähigkeiten gekonnt umzusetzen.

Die Umsetzung der Schmidt-Map dauerte etwa ein halbes Jahr

„Es musste eine Menge Papier umgedreht werden, um spannende Lebensstationen zu recherchieren“, weiß Meik Woyke. Verantwortlich dafür sind Projektleiter Johannes Zechner und sein Team. Der promovierte Zeithistoriker arbeitete rund ein halbes Jahr an der Umsetzung der Schmidt-Map. Die Studien im Archiv des akribischen Sammlers Helmut Schmidt währten wesentlich länger.

Ein Extrakt ist in der aktuell geöffneten Dauerausstellung „Schmidt! Demokratie leben“ am Kattrepel 10 in der Hamburger Innenstadt zu sehen. Mehr als jeder andere deutsche Nachkriegspolitiker, weiß Johannes Zechner aus Erfahrung, habe der Stratege aus dem Neubergerweg seine Heimatstadt als Bühne benutzt. Beispiele, privat wie politisch, bereichern die interaktive Erlebnistour im Internet.

Die Schmidt-Map führt zu 60 Orten, die in Zusammenhang mit dem Hamburger Ehrenbürger stehen.
Die Schmidt-Map führt zu 60 Orten, die in Zusammenhang mit dem Hamburger Ehrenbürger stehen. © HA Grafik, HA Infografik, F. Hasse

Begleitend sind auch Gruppenführungen zu markanten Orten angedacht. Einer könnte das Traditionsrestaurant Old Commercial Room sein. Vis-à-vis des Michels pflegte sich Helmut Schmidt an seiner Leibspeise Labskaus zu laben. Nach seinem Premierenbesuch in der Gastwirtschaft an seinem 62. Geburtstag am 23. Dezember 1980 kehrte er dort immer wieder ein. Vom Wirt lernte er augenzwinkernd die hanseatische Lebensweisheit: „Wer Labskaus isst, bleibt im Kopf klar fürs ganze Leben.“