Hamburg. Der Botanische Garten lockt mit Rosengarten, dem Alpinum – und dem Urvater aller Bäume. Auch im November lohnt ein Besuch.
Wer sich auskennt, findet das lebende Denkmal trotz der massiven Bauarbeiten am Dammtor: Am Eingang von Planten un Blomen, wenige Schritte vom Nordausgang der U-Bahn-Station Stephansplatz entfernt, ist ein Baum mit besonderer Geschichte im Erdreich verankert. Der Stamm mit der knubbeligen Rinde steht majestätisch stabil. Es handelt sich um die „Lehmann-Platane“ – und um die Wurzeln des Botanischen Gartens in der Hansestadt.
Das herzförmige Wurzelwerk macht diesen Baum besonders robust. Das passt. Als Johann Georg Christian Lehmann, Professor der Naturgeschichte am Akademischen Gymnasium, diesen Baum am 6. November 1821 eigenhändig pflanzte, begründete er ein stark wachsendes Stück Hamburger Historie.
Lehmann-Platane feiert 200. Geburtstag in Planten un Blomen
Acht Jahre zuvor hatten Napoleons Truppen die ersten Blüten eines solchen Gartens komplett zerstört. Typisch für die Metropole der Pfeffersäcke war der Start dieses Botanischen Gartens als Aktiengesellschaft. Mit Dividende in Form freien Eintritts. Dass sich aus dem botanischen Urwuchs neben der Staatsbibliothek und der Sternwarte die älteste wissenschaftliche Institution der Hansestadt entwickelte, basierte auf der Durchsetzungskraft leidenschaftlicher Botaniker.
Persönlichkeiten von der Art eines Hans-Helmut Poppendieck. Der promovierte Botaniker, langjähriger Kustos der hiesigen Universität, gilt als Grünexperte Nummer eins in unserer Stadt, natürlich im unpolitischen Sinne. Das von ihm mit herausgegebene Buch zum 200. Gründungstag des Botanischen Gartens erscheint Anfang kommenden Jahres. Der Titel ist Programm: „Gartenlust und Forschergeist“.
Loki Schmidt liebte den Botanischen Garten
Mehr als ein Grund, dieses Jubiläum im passenden Rahmen zu würdigen, bei einem fröhlichen Fachgespräch im Café Palme. Die gepflegte Restauration inmitten des Neuen Botanischen Gartens ist eine beschauliche Oase in Osdorf. Nebenan befindet sich die S-Bahn-Station Klein Flottbek. Dort gedeiht die staatliche Institution seit dem Start im Sommer 1979. Seit fast einem Jahrzehnt heißt sie offiziell Loki Schmidt Garten. Die 2010 verstorbene Ehrenbürgerin, eine Naturschützerin mit Herzblut, ließ sich hochbetagt im „Lokimobil“ durch den 24 Hektar großen Park chauffieren. Sie liebte diese paradiesische Anlage.
Als einer der wichtigen Wegbegleiter sitzt Nils Kleissenberg mit am Tisch des Freiluftcafés Palme. Im Team mit sieben festen Mitarbeitern und vier Auszubildenden verantwortet der erfahrene Gärtnermeister die Pflanzengeografie der Anlage. Speziell im Japangarten sowie in der Prairie hat Kleissenberg Heimspiel. Er lebt die Doppelrolle dieses reizvollen Parks – als populäre Gartenanlage mit höchst unterschiedlichen Welten sowie als wissenschaftliche Einrichtung.
Überall sind kleine Wunder zu entdecken
An der Dritten in der Runde, der begeisterungsfähigen Gärtnerin Bianka Schröder, hätte nicht nur Hannelore Schmidt ihre Freude gefunden. Nach ihrem Studium der Kunst organisierte Bianka Schröder ein eigenes Atelier im Stadtteil Hamm. Mit Ende 30 absolvierte die heute 40-Jährige eine Ausbildung zur Gärtnerin. Im Idealfall kann sie beide Neigungen kombinieren: Im Parkladen angebotene Tassen und Taschen sind mit ihren Pflanzenmotiven bedruckt.
Wer sich Muße gönnt und den Botanischen Garten mit wissbegierigem Blick erkundet, entdeckt allerorts kleine Wunder. Auch im November und Dezember, wenn sich fast alle Pflanzen in der Winterruhe befinden, lohnt sich ein Spaziergang. Spätblühende, blau-violette Herbstzeitlose oder der farbenprächtige Japangarten sind echte Hingucker. „Die Natur ist in diesem Jahr spät dran“, sagt Hans-Helmut Poppendieck. Daher kommen Besucher auch in nächster Zeit auf ihre Kosten. Der asiatische Szechuanpfeffer, ein dornenbestückter Strauch, liefert nicht nur ein scharfes Gewürz, sondern trägt rote und schwarze Früchte. Zu finden ist er nördlich des Teichs beim chinesischen Tempel.
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Im botanischen Garten sind Profis am Werk
Der Zutritt durch das Haupttor an der Ohnhorststraße erfolgt nach den derzeitigen Sicherheitsvorkehrungen. Von jeher ist er kostenlos. Stadt und Universität gönnen sich den Erhalt und die Pflege einer Botanikwelt mit Seltenheitswert. In den einzelnen Bereichen steckt eine gestalterische Ordnung. Hunderte Hinweistafeln helfen auch jenen auf die Sprünge, deren Spezialgebiet die Botanik nicht ist. Der Besucher erkennt, dass Profis am Werk sind.
„Hier warten zu jeder Jahreszeit Überraschungen – praktisch an jeder Ecke“, weiß Hans-Helmut Poppendieck bei Kaffee und Franzbrötchen im Café Palme. Die charmante Bedienung im Kiosk passt sich dem guten Eindruck an. Normalerweise kommen rund 220.000 Gäste pro Jahr nach Osdorf. Die Gesellschaft der Freunde des Botanischen Gartens umfasst knapp 1000 Mitglieder. Derzeit sind etwa 30 Planstellen mit hauptberuflichen Fachleuten besetzt. 1971 waren es noch doppelt so viele.
Bürgerinitiative verhinderte 1960 die Zerstückelung
In eben diesem Jahr, also vor einem halben Jahrhundert, wurde der neue Garten angelegt. Überlegungen, den Park und den universitären Fachbereich in den Westen Hamburgs zu verlegen, sind erheblich älter. Ruß und Abgase in der Innenstadt erschwerten das Pflanzenwachstum; außerdem war der Platz begrenzt. Das Vorhaben, den Jenischpark 1939 als Standort zu wählen, scheiterte wegen des Zweiten Weltkriegs.
1960 verhinderte eine der ersten Bürgerinitiativen Hamburgs eine Zerstückelung der botanischen Anlage in Dammtornähe. Drei Jahre später bescherte die Internationale Gartenausstellung Hamburgs Naturfreunden die jetzt unter Denkmalschutz stehenden Schaugewächshäuser in Planten un Blomen. Mit der Eröffnung des neuen Parks im Sommer 1979 ergaben sich mehr Möglichkeiten. Wo sich Kleingärten und Sportplätze befanden, wurde alles umgestaltet: Hügel, Täler, Gewächshäuser, Bachläufe und ein See.
Planten un Blomen: „Ein lebendiges Lehrbuch der Botanik“
Zu den Aufgaben der Gärtnerin Bianka Schröder gehört neben der Arbeit im Steingarten des Alpinums das Sammeln von Pflanzen für Vorlesungen der Universität. Die Studienobjekte werden in einem Kühlraum gelagert. „Überall gedeiht Überraschendes“, weiß Frau Schröder. Sie schätzt besonders Hochstauden und den Magerrasen in ihrem Revier. Dort wächst alles wie in der freien Natur.
Der Garten sieht immer wieder anders aus – je nach Jahreszeit, Wetter, Stimmung. „Der Grundidee folgend, ein lebendiges Lehrbuch der Botanik zu schaffen“, sagt Gärtnermeister Nils Kleissenberg. Zu den Attraktionen zählen der Rosengarten, das Alpinum, der Japanische Garten, ein Duft- und Tastgarten, ein Staudental sowie ein Apothekergarten. Es existieren Bereiche für nord- und südamerikanische Pflanzen, eine Steppe, Beete für Nutzpflanzen und eine Sektion mit Giftpflanzen. Wer Lust hat, kann zwei Stunden oder mehr an frischer Luft verbringen, ohne sich zu langweilen. Dabei ist bis auf eine kleine Gehölzpartie im Nordwesten kein Baum älter als 50 Jahre.
Die Platane am Dammtor, quasi der Urvater aller Bäume des alten und neuen Botanischen Gartens, ist ein erhabenes Beispiel für dauerhaften Wuchs und Bodenhaftung. Als Professor Lehmann den Steckling vor 200 Jahren setzte, begründete er eine hanseatische Institution.